»Aber sie scheint besagte Ausnahme zu sein.« | Kapitel 2

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Ein Tropfen Hilfe ist besser als ein Ozean voll Sympathie.
Unbekannt

Menschen sind undurchschaubare Wesen

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Menschen sind undurchschaubare Wesen. Und trotzdem sind sie alle irgendwie, irgendwo berechenbar. In der Schule haben wir gelernt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, aber ich hatte schon nicht mehr dran geglaubt eine zu finden. Jede Person hat einen Grund so oder so zu handeln. Wenn man diese Grundlage ausfindig gemacht hat, mit der Person vertraut ist, bestimmte Reaktionen auf Einflüsse kennt, dann kann man sie einschätzen und sie durchschauen wie ein gläsernes Getriebe. Eine Maschine, die aus tausenden von klitzekleinen Zahnrädchen besteht, die ineinander greifen, den Mechanismus am Laufen und den Menschen am Leben halten. Sobald man meint diesen Prozess mit den antreibenden Motoren und all dem Schnickschnack ansatzweise durchdrungen zu haben, kann man die Handlungen der Person vorhersehen und sogar durchschauen.
Aber sie scheint besagte Ausnahme zu sein.
Mit ihren roten, wehenden Haaren ist sie jedem in der Bibliothek von Anfang an ins Auge gesprungen. Das lustige war, dass nicht eine Person sie angesprochen hat, obwohl sie offensichtlich nicht zur Universität gehört, denn dann würden die meisten sie kennen. Ich zumindest und ich hätte sie mir gemerkt.

Menschen merke ich mir immer. Sie sind wichtig für den Beruf und sie abzuschätzen gehört nun einmal dazu. Besser man lehrt es, bevor man es auf die harte Tour im Gerichtssaal erfährt. Mittlerweile bin ich richtig gut.
Die junge, groß gewachsene Frau hingegen bereitet mir Schwierigkeiten. Im ersten Moment dachte ich sogar, sie würde genau hier her und nirgendwo sonst hingehören. Wie sie hier hineingeschneit kam, einigen kurz zunickte, mit langen Schritten zielgerichtet die Eingangshalle durchquerte und trotz ihrer auffallenden Art mit Gesamtbild verschmolz. Faszinierend.

Jetzt allerdings sticht sie heraus und macht auch keinen Hehl mehr aus ihrer Anwesenheit.

Kein Student kann den Bibliothekar Mr. Haflot wirklich leiden, das ist kein Geheimnis und jedem von Beginn an bekannt. Einige Schüler sagen, er hätte schon zu der Zeit ihrer Eltern hier gearbeitet, andere sagen, er würde sich seit Jahren nicht mehr verändern. Beurteilen kann ich das nicht, und halte das meiste für sinnloses Geschwätz. Aufgrund von Gerüchten und Erzählungen allerdings einen Menschen so grundlegend zu verachten, widert mich an und manchmal frag ich mich, wie solche Einfallspinsel als Jurastudenten und Studentinnen enden konnten und warum sie den ganzen Aufwand überhaupt erst auf sich nehmen, wenn sie sich noch nicht mal ein eigenes Bild von dem Bibliotheksleiter machen können oder wollen — das ist ungewiss.

Eigentlich kam ich gut mit ihm klar, doch innerhalb der letzten Minuten droht meine schöne Neutralität, und schwererkämpfte Objektivität ins Negative zu kippen. Und zwar mit lautem Krach und Tarar. Einem schallenden Knall. Ähnlich dem, der entstanden ist, als die Rothaarige demonstrativ den schweren Wälzer auf den Tresen fallen lässt und sich nur kurz umblickt, ehe sie erneut beginnt energisch auf ihn einzureden.

Die Bibliothek ist voller als sonst und immer weitere Schüler wehen in das riesengroße Gebäude. Sämtliche Lerntische sind von Studenten eingenommen, die angeregt tuscheln und immer wieder auffällig zu Mr. Haflot und der hübschen Frau blicken.

Angel without WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt