»Es reichen die kleinen Gesten, wenn man den Zauber erkennt.« | Kapitel 6

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Schöne Augenblicke lassen den Alltag nicht mehr als etwas Alltägliches erscheinen.
Monika Kühn-Görg

Wenn man die Zeit anhalten will, rinnt sie einem durch die Finger wie feiner Sand, der in dem warmen Licht funkelt, wie tausend kleine, diamantene Momente

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Wenn man die Zeit anhalten will, rinnt sie einem durch die Finger wie feiner Sand, der in dem warmen Licht funkelt, wie tausend kleine, diamantene Momente.
Dieser Augenblick ist so einer. Ganz langsam legt Raja ihre kalte Hand auf meinen Hemdkragen, jagt mir damit einen Schauer über den Nacken, der jedoch augenblicklich an Bedeutung verliert. Ihre Haut ist warm unter meinen Fingern und ich kann nicht anders, als sie weiter über ihre Wange wandern zu lassen. Erst als ihre Lippen meine fast berühren, ruht meine Hand und vorsichtig bringe ich unsere Gesichter zusammen. Wie ein kleiner Funke, der von einer auf die andere Sekunde ein trockenes Feld in Brandt setzt, klingt sich mein Kopf aus. Mein Atem stockt und der Muskel in meiner Brust klopft, klopft, klopft, schneller, lauter, dringlicher.

Der Druck ihrer Hand verstärkt sich. Nur noch Zentimeter trennen uns. Ich kann jeden einzelnen der Sprenkel in ihren Augen erkennen, könnte sie zählen, wenn ich noch wüsste wie das geht.

Sie lächelt, bis sie ihre Augen schließt und kurz davor ist die letzte Distanz zu überwinden.

Es poltert. Laut und schrecklich nahe. Viel zu nah.

Ich zucke zurück. Ich blicke mich um, suche Orientierung in der Realität, die mir plötzlich fremd ist.

Von der Bühne wandert mein Blick hektisch zu Raja, die wie versteinert an mir vorbei schaut und meine Hand mittlerweile so fest hält, dass ich ihr beruhigend über den Handrücken fahre, in der Hoffnung, sie würde ihren Klammergriff dann vielleicht lösen.

Ihre Wangen sind gerötet, sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und wo eben noch Schreck in ihren Augen lag, liegt nun Berechnung. Ihr Blick trifft meinen und bedeutet mir ungeduldig, mich doch endlich umzublicken. Ich muss lachen und empört schüttelt sie den Kopf. Und so drehe ich mich mit einem, vielleicht etwas zu selbstfälligen, Grinsen zum Unruhestifter um. Rajas Hand fällt von meiner Schulter. Ich könnte den jungen Putzmann verfluchen, der gerade mit einem durchaus amüsierten Gesichtsausdruck, den er noch nicht einmal zu verstecken versucht, den Schrubber aufhebt, der ihm wohl zufällig aus der Hand geglitten ist.

»Stör ich?«, spottet er und mit aller Seelenruhe tritt er auf uns zu. Langsam zieht er sich einen Kopfhörer aus dem Ohr und lässt ihn demonstrativ fallen.
Bevor er uns erreicht und die erbärmliche Bühne nutzen kann, die er sich selbst geschaffen hat, schnappe ich mir meinen langen Mantel und rutsche unruhig im Sessel hin und her.
Die Hand, die dabei immer noch in meiner liegt, lasse ich nicht los. Raja versteht den Wink und hat ihre Tasche schon in der anderen Hand. Von einem Sekundenbruchteil zum nächsten springt sie auf und zieht mich mit ihr hoch.

Wir flüchten. Hand in Hand. Durch den wie leergefegten Saal, die engen Reihen, über den Teppich bedeckten Boden, hinaus, wo unsere Schritte die leeren Gänge füllen und das schallende Gelächter, das aus uns herausplatzt, das alte Gebäude mit Leben erfüllt. Dumpf schlägt die massive Holztür zu.

Angel without WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt