»Man gewöhnt sich an Schönheit« | Kapitel 5

38 15 26
                                    

Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Christian Morgenstern

Musik ist der Spiegel der Seele, heißt es doch so schön, oder?

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Musik ist der Spiegel der Seele, heißt es doch so schön, oder?

Als die Geige ertönt und den hohen Saal mit ihrem zarten Klang flutet, sich einen Weg in die Herzen der Menschen bahnt, kann ich dieses Zitat endlich nachvollziehen.

Ehrfurcht zieht sich mit unvergleichbarer Hingabe durch meine Blutbahnen und jagt mir eine Gänsehaut auf den Körper.

Mit jedem Ton gebe ich mich der Musik mehr hin und wünsche mir, sie würde niemals enden. Mein Körper schwingt mit der Musik, wird Teil der Musik und ich, mein Selbst, trete völlig in den Hintergrund. Werde zur Betrachterin, die fassungslos die Magie des Orchesters bestaunt.
Eine Trompete erklingt, die Harfe setzt ein, eine Trommel, eine Klarinette. Bässe, Hörner, Querflöte, Oboen, Piano. All die Instrumente und viele weitere, die ich gar nicht erkenne, spielen gemeinsam und schaffen ein Ganzes, das mir für die Zeit ihres Stücks den Verstand nimmt.

Plötzlich wird mir klar, was so lange im Unbekannten lag: in allem liegt eine Geschichte. Eine Geschichte, die erzählt werden will. Die man erkennt, wenn man nur genau hinhört.

Und so horche ich, suche nach Stimmen, Erinnerungen, Gefühlen, Geschichten. Es ist, als hätten alle Instrumente, die gleiche Geschichte zu erzählen, das gleiche Anliegen. Und doch erzählen sie ihre Version, ihre Sicht, ihr Verständnis. Wie wir Menschen.

Irgendwann muss ich meine Augen geschlossen, meine Umwelt ausgeblendet haben, denn als Lewis' warme Hand meine steift, zerrt er mich zurück in meinen Körper, zurück in den Saal.
Ich blinzle und die Farben, die sich wie die Klänge zu einem vermischt haben, nehmen wieder Konturen an.

Sein Atem streift meine Wange und er flüstert mir tonlos ins Ohr: »Nah, doch nicht so altbacken?«.

Ein Lächeln zuckt an meinen Mundwinkeln, aber ich blicke ihn nicht an.
Wir sitzen im Dunkeln, alleine die Bühne vorne ist erleuchtet und die Musikerinnen und Musiker füllen die Luft mit schweren Tönen, die sich wie der rote Vorhang über uns legen.

Ganz vorsichtig öffne ich meine Hand und wie von selbst verschränken sich unsere Finger miteinander. Seine Haut ist warm. Mit der Berührung breitet sich ein warmer Strohm in meinem Körper aus. Ein Gefühl, das noch nie da war, kribbelt durch meine Adern und plötzlich ist die Musik nur noch Hintergrundrauschen. Wenn ich mich eben gerade in ihr verloren habe, so tu ich es nun in dem pulsierenden Toben und Rauschen in meinem Inneren.

»Du sagst ja gar nichts«, stellt Lewis murmelt fest und wieder zieht etwas Unbestimmtes in mir. Sein Atem tanzt weiterhin über meine Wange und ich weiß, dass ich ihm in die Augen schauen könnte, in denen ein Ozean tobt, wenn ich mich ihm nur zuwenden würde.

Nach einer Weile, die sich viel zu lange anfühlt, in der die Noten der Geige sich aneinander reihen, schneller, stürmischer werden, antworte ich ihm eben so leise: »Das muss ich wohl von dir haben«.

Angel without WingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt