11. Leere

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Ich zwang mich, aufzuhören, die Fingernägel in meine Handflächen zu graben. Die roten Abdrücke, die zurückblieben, machten mir klar, wie verkrampft ich wirklich war. Ich betrachtete eingehend  meine Finger in einem verzweifelten Versuch, Felicia nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Es war schon so lange her, dass ich jemanden die ganze Wahrheit über New York erzählt hatte.

Es war so lange her. Und trotzdem war ich nicht darüber hinweggekommen.

"Das... Ist das wahr?", fragte Felicia schliesslich in die Stille hinein.

Ich atmete tief durch, dann nickte ich. "Du siehst, sie haben recht. Ich habe ihn umgebracht. Ich habe ihn dazu getrieben, sich zu opfern, weil ich nicht gut genug, nicht schnell genug, nicht... schlau genug war. Ich war nicht Teil des Komplotts gegen die Avengers. Aber... ich habe ihn trotzdem umgebracht." Felicia blieb still, als stimme sie mir zu. "Weisst du...", flüsterte ich irgendwann, "als er... Als er... fort war... Ich habe einfach aufgelegt. Ich habe den Stecker gezogen, von jedem einzelnen Computer, ohne ein weiteres Wort. Mir war egal, was noch alles passieren könnte. Ich wollte einfach nicht mehr. Ich erinnere mich kaum daran, was ich danach getan habe. Es ist so... verschwommen. Als hätte ich gar nicht richtig mitbekommen, was wirklich passiert ist. Das Einzige, dass ich noch ganz sicher weiss, ist, dass niemand gekommen ist. Ich war vollkommen allein und ich wusste, dass es ganz allein meine Schuld war, dass es so gekommen ist."

"Es ist... Niemand ist gekommen? Niemand hat sich Sorgen um dich gemacht? Niemand hat daran gedacht, wie traumatisierend das für dich war?"

Ich lachte bitter. "SHIELD wusste ja nicht einmal, dass ich bei der Schlacht von New York dabei war. Niemand wusste es, ausser den Avengers selbst, die ausser Tony ja keine Ahnung hatten, wer ich war, und E... Everett Ross."

"Warte, der CIA-Agent ist auch nicht aufgetaucht? Er hat dir diese absolut inakzeptable Verantwortung aufgehalst und ist dann verschwunden?"

"Er... Er war zu diesem Zeitpunkt in New York, versuchte, zu helfen. Er... Ich kann mich noch gut an den nächsten Tag erinnern. Er kam gegen Mittag. Er...", ich erinnerte mich daran, wie er still eingetreten war, sich im Zimmer umgesehen hatte, bis er mich in einer Ecke entdeckt hatte, zu einem Ball zusammengerollt, um die Welt auszusperren. Um meine eigenen Gedanken auszusperren. "Er hat versucht, mich zu beruhigen. Es... hat nicht geklappt." Ich erinnerte mich daran, dass er verzweifelt versucht hatte, zu mir durchzudringen, mir klarzumachen, dass es nicht meine Schuld gewesen war, dass er einen anderen Ausweg von SHIELD für mich finden würde, dass SHIELD alles dafür tat, Tony noch zu finden, in der verschwindend geringen Hoffnung, dass er doch irgendwie dank seinem Anzug überlebt hatte. Ich hatte kein Wort gesagt, so viel wusste ich noch, ich hatte einfach an ihm vorbeigestarrt, ihn vollkommen ausgeblendet, während in meinem Kopf ein unendliches Gedankenkarussell lief.

Hätte ich ihn retten können? Hätte ich es schaffen können? Konnte es sein, dass er noch lebte? Und wie konnte er nur daran denken, dass ich ihn je vergessen könnte?

"Irgendwann ist er wieder gegangen", murmelte ich leise. Zum ersten Mal sah ich auf, studierte den Ausdruck auf Felicias Gesicht. Ich war ehrlich überrascht, als ich Mitgefühl dort sah. Mitgefühl, Schock und ehrliche Trauer. Als würde sie mir glauben. Aber vielleicht mochte sie es auch einfach, tragische Geschichten zu hören, ob sie nun wahr waren oder nicht. Dieser Gedanke versetzte mir einen Stich, aber ich versuchte, ihn zu ignorieren. Ich musste es ihr ja sowieso erzählen.

"Mein Gott", kam es von Felicia. "Das ist..." Sie schien nicht zu wissen, wie sie den Satz zu Ende führen sollte und schwieg stattdessen.

"Weisst du, was das Schlimmste für mich war?", fragte ich irgendwann. "Diese eine Sache, die mich komplett fertiggemacht hat?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 01, 2021 ⏰

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