16. Kapitel📚

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Nachdem ich mich aus meiner erstarrten Haltung gelöst habe, stürzen die Fragen nur so auf mich ein.

Was hat er damit gemeint, er besitze kein Jagdmesser? Warum hat er mich dann unter diesem Vorwand hierhergelockt? Ist das seine Art, mit mir zu spielen? Macht er sich über mich lustig? Will er sehen, ob ich dumm genug bin, ihm zu helfen?

Oder kann es vielleicht sein ...?

Habe ich mir womöglich doch nicht alles nur eingebildet und er hat mich wiedersehen wollen? Aber dann hätte er doch einfach etwas sagen können, er muss inzwischen wohl gemerkt haben, wie ich mich in seiner Gegenwart fühle. Dass er mich wie magisch anzieht. Und was ist jetzt? Er gesteht, gar kein Messer zu besitzen und taucht ab. Ist es damit vorbei oder hofft er, dass ich wiederkomme?

Ich kann ihn nicht wiedersehen, es ist einfach zu gefährlich. Seine Wirkung auf mich ist zu gefährlich.

Aber ich will ihn wiedersehen, geht mir unweigerlich durch den Kopf. Dennoch darf ich es einfach nicht tun. Nicht nur, weil es zu gefährlich ist, sondern auch, weil ich bei jedem Grenzbesuch aufs Neue die Regeln meiner Brüder breche. Ich kann so nicht weitermachen. Aber tief im Innersten weiß ich, dass ich gar nicht anders kann ...

In dieser und den darauffolgenden Nächten schlafe ich schlecht. In meinen Träumen habe ich seltsame Begegnungen mit Eliya, und wenn ich am Morgen aufwache, überfällt mich eine tiefe Traurigkeit.

Es ist sonnenklar, dass dieser Vulpari mir den Verstand raubt, aber ein Wiedersehen mit ihm kann und will ich nicht riskieren. Wie hat er mir nur in so kurzer Zeit dermaßen den Kopf verdrehen können?

Ich verbringe meine Tage damit, gedankenverloren im Wald umherzugehen. Das Laufen tut gut. Dennoch achte ich penibel darauf, nicht einmal in die Nähe der Gebietsgrenze zu kommen. Es erfordert viel Selbstdisziplin, denn alles in mir schreit danach, Eliya wiederzusehen und ihm all die Fragen zu stellen, die mir im Kopf herumschwirren. Aber zu meinem eigenen Schutz und aus Achtung vor meinen Brüdern halte ich mich der Grenze fern.



Schimmernde Schneeflocken wirbeln durch die Luft und nehmen mir die Sicht. Der eisige Wind weht mir meine dichten Locken aus dem Gesicht und lässt mich erschaudern. Hastig reibe ich mir mit den Händen über die Oberarme, aber es hilft nichts. Ich muss schleunigst ins Warme!

Ich stapfe durch den frisch gefallenen Schnee und nach ein paar Metern entdecke ich in der Nähe die Umrisse einer kleinen Holzhütte. Wie aus dem Nichts ist sie plötzlich aufgetaucht und scheint zu rufen: Hierher Ayla, nichts wie rein in die warme Stube!

So schnell ich kann, kämpfe ich mich zur kleinen Holztür vor und greife nach dem eiskalten Knauf. In dem Moment höre ich von drinnen ein leises Wimmern und dann einen Schrei. Aber Moment mal ... Die Stimme kommt mir unheimlich bekannt vor. Das ist doch ... Aber das kann nicht sein. Das ist einfach unmöglich!

Ruckartig öffne ich die Türe und schlage mir entsetzt die Hände vor den Mund.

Nein! Nein, nein, nein.

Mein Magen dreht sich um und ich glaube, mich jeden Moment übergeben zu müssen.

„Mama?"

Meine Mutter liegt am Boden, bleich aber blutüberströmt. Das Blut sammelt sich neben ihren Füssen und bildet ein Rinnsal, das zäh über den Boden in meine Richtung kriecht.

„Meine kleine Ayla", flüstert sie und streckt mit letzter Kraft eine Hand nach mir aus. Doch ich kann mich nicht bewegen. Wie eine unsichtbare Macht umfasst das Entsetzen gierig meine Knöchel und hält mich zurück. Schockiert blicke ich neben meine Mutter und sehe meinen Vater. Seine Augen sind weit aufgerissen, als ob er vor seinem Tod noch dem Teufel höchstpersönlich entgegengeblickt hätte. Im Gegensatz zu meiner Mutter rührt er sich nicht mehr.

Ayla - Unsterbliche Liebe |abgeschlossen 📓 (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt