26. Kapitel📚

2.7K 159 9
                                    


Am nächsten Tag läuft alles so ab, wie es mir angedroht worden ist. Als ich meine Türe einen Spalt breit öffne, steht draußen Tyran, der während der Nacht Kyle abgelöst hat. Als er mich entdeckt, blickt er mürrisch.

„Frühstück?", fragt er ohne eine Spur Freundlichkeit in der Stimme. „Ja", hauche ich vorsichtig.

Leise trotte ich ihm auf dem Weg in den Speisesaal hinterher. Wir sind etwas spät dran und es sind glücklicherweise nicht mehr so viele Vampire im Saal. Ich kaue ohne Appetit an einem Kaninchen herum. Ein paar Tische weiter sehe ich Kyra mit Yasmin sitzen. Yasmin würdigt mich keines Blickes, aber Kyra macht ein mitleidiges Gesicht und zuckt hilflos mit den Schultern.

Nach dem Frühstück bringt Tyran mich in die Bibliothek und unterstellt mich damit der Obhut von Mylan. Auch dieser spricht praktisch kein Wort mit mir. Alles, was er zu mir sagt, ist, dass ich mich mit einem Buch in eine Ecke setzen soll, in der er mich immer im Auge behalten kann. Ich befolge die Anweisungen und setze mich mit Effi Briest in eine Leseecke. In die traurige Geschichte vertieft, kann ich mich endlich ein wenig von meinem eigenen Leid ablenken. Als dann jedoch Effis Liebhaber von ihrem eifersüchtigen Ehemann getötet wird, kommen mir wieder die Tränen. Würde Eliya dasselbe Schicksal treffen, wenn wir uns wiedersehen würden? Wären meine Brüder dazu imstande, ihn zu töten, nur um den Ehrenkodex der Satari zu wahren? Ist die einzige Möglichkeit, Eliya zu schützen, indem ich ihn nie mehr wieder sehe? Bei dem Gedanken schnürt es mir die Kehle zu. Ich muss Eliya wiedersehen, koste es, was es wolle. Aber wie soll ich das bloß anstellen?

Am Abend nimmt Mylan mich mit zum Abendessen und bringt mich dann hoch auf mein Zimmer.

„Ab hier übernehme ich wieder", sagt Tyran, der schon vor der Türe auf uns wartet, bereit, seine Schicht anzutreten. Als Mylan sich entfernt hat, sagt er zu mir: „Du bist wirklich eine Schande für mich und unsere Brüder, weißt du das? Komm mir bloß nicht auf die Idee, dich wegzuschleichen, sonst kann ich dir für nichts mehr garantieren. Bändelt mit einem Vulpari an, das gibt's doch einfach nicht!"

Ich stampfe in mein Zimmer und schließe wütend die Türe hinter mir. Was geht nur in Tyran vor, mich so zu beschimpfen? Er ist es, der Schande über mich bringt, mit seiner engstirnigen Einstellung. Keiner meiner Brüder hat Eliya je kennengelernt, aber sie bilden sich ein, alles über ihn und seine angeblich vorgetäuschten Gefühle für mich zu wissen. Warum ist das alles nur so unfair? Ich lasse mich schwerfällig auf mein Bett fallen und betrachte die Zimmerdecke.

Was Eliya jetzt wohl gerade macht?

Eliya! Er weiß ja gar nichts von all dem, was passiert ist!

Wahrscheinlich hat er heute den ganzen Tag auf mich gewartet und sich gefragt, wo ich stecke. Vielleicht kommt er sogar auf den abwegigen Gedanken, dass ich absichtlich nicht aufgetaucht bin, weil ich ihn, jetzt da ich Bescheid weiß, nicht mehr sehen will. Das darf auf keinen Fall passieren! Ich muss echt so schnell wie möglich in den Wald und zu Eliya! Aber wie um Himmels willen soll ich das anstellen mit meinen Brüdern, die mit Argusaugen über mich wachen?

Der nächste Tag gestaltet sich nicht viel anders als der vorherige. Ich stehe unter der ständigen Überwachung durch meine Brüder und verbringe den größten Teil des Tages in der Bibliothek. Abends, wenn ich alleine in meinem Bett liege, kreisen die Gedanken nur so in meinem Kopf.

Was soll ich bloß tun? Mit jedem Tag, der vergeht, ohne dass ich Eliya wieder sehe, wird er sich mehr Sorgen machen und bezweifeln, dass ich zurückkomme. Aber kann ich das denn überhaupt je wieder? Es muss einfach klappen!

Auch wenn es furchtbar riskant ist, ich muss versuchen, mich erneut in den Wald zu schleichen. In einer Stunde werden meine Brüder sich gegenseitig an ihrem Wachposten ablösen. Soweit ich weiß, ist nachher Kyle an der Reihe. Im Gegensatz zu den anderen lässt er mir noch ein wenig Luft zum Atmen und streckt nicht jede Stunde seinen Kopf zur Tür herein. Ich fühle mich schlecht bei dem Gedanken, meinen geliebten Bruder zu hintergehen, aber anders kann ich Eliya nicht wieder sehen und würde ihn am Ende noch verlieren...

Ayla - Unsterbliche Liebe |abgeschlossen 📓 (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt