16. Steuerrad

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„Wenn die See ruhig ist, kann jeder das Steuerrad halten." - Publilius Syrus


Seit ich die Stunden mit Mary verbracht hatte, sah ich mich jedes Mal um, wenn ich durch Port Royal lief. Ständig saß mir der Gedanke im Nacken, dass sich Blutauges und meine Wege kreuzen könnten und er von meiner Nacht mit seiner guten Freundin erfuhr. Vermutlich würde ihm das nicht gefallen und wenn ich Pech hatte, rastete er wieder aus. So wie damals im Flying Pig.

Liam beruhigte mich zwar, doch ganz aus meine, Kopf bekam ich dieses Unwohlsein nicht heraus. Hinzu kam die schreckliche Wetterlage, die uns noch immer Regen und Stürme bescherte. Palmen bogen sich im Wind und manchmal hatte man das Gefühl, sie würden jede Sekunde abknicken. Das sah gefährlich aus.

Jedes Mal, wenn Sturm und Regen eine Pause einlegten, spazierten wir durch die Stadt, manchmal fast bis hoch zu den Zuckerrohrplantagen. Stets blickte ich dann zu Sir Henrys Haus und dachte unweigerlich an Imogenes Hund.

Verdammt, ich vermisste ihre Leichtigkeit, den Humor, mit dem sie das Leben nahm.

Meine Welt veränderte sich von Tag zu Tag mehr und manchmal keimte das Gefühl in mir auf, dass ich dies ebenfalls tat. Längst war die einstige Unbekümmertheit von mir abgefallen, ebenso der Glaube, schnell nach England zurückkehren zu können.

Alles nach was ich lechzte war eine spanische Galeone, mit Schätzen beladen bis zum Umfallen. Aber leider machte uns das Wetter momentan einen Strich durch die Rechnung. Selbst Blutauge traute sich wohl nicht auszulaufen, denn sein prächtiges Schiff ankerte noch immer vor Port Royal.

Oftmals bewunderten Liam und ich die spanische Galeone, auch heute standen wir wieder da und begafften die Schönheit unter den Schiffen.

„Kannst du dir vorstellen, wie es wäre, Olivia zu kapern?", warf ich ein und Liam reagierte sofort mit Begeisterung: „Oh ja, es wäre ein Traum, sie durch Wind und Wetter zu steuern."

Mit einem lauten Lachen platzte ich heraus: „Und Blutauges Gesicht durch das Fernrohr zu betrachten, wenn er feststellt, dass wir mit seinem Schiff wegsegeln."

„Ja, das wäre göttlich. Und Schlächter droht uns dann aus der Ferne mit seinem Messer."

„Dann wärt ihr beide sowas von tot", vernahmen wir eine tiefe und ernste Stimme hinter uns.

Ben packte uns an den Köpfen und tat so, als wollte er diese gegeneinanderschlagen. „Hört auf mit der Scheiße und redet nie wieder so einen Stuss. Wenn einer das hört und das in Port Royal die Runde macht, seid ihr geliefert. Dann habt ihr schneller Augen und Ohren verloren als ihr 'Schiff entern' sagen könnt."

„Man wird doch wohl noch träumen dürfen", brummte Liam. „Als Steuermann könnte ich mir kein besseres Schiff vorstellen."

„Und ich als Käpt'n auch nicht", kam ich meinem Freund zu Hilfe, doch Ben schüttelte seinen Kopf.

„Ihr beide seid junge Spinner und deshalb werde ich darüber hinwegsehen. Ihr habt eindeutig zu lange in der Sonne gesessen", zog er uns auf.

„In welcher Sonne? Es regnet seit Tagen." Liam machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir sind immer nur draußen, wenn es mal kurz aufhört."

Gemächlich drehte Ben sich um und blickte in den Himmel: „Es wird so schnell nicht wieder regnen. Also wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang?"

Obwohl es für ihn aufgrund seines Holzbeines beschwerlicher war zu laufen, ließ Ben sich niemals hängen, im Gegenteil. Er humpelte in einem Tempo, dass Liam und ich Mühe hatten, nicht abgehängt zu werden.

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