49. Fieber

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„Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid." – Leonardo da Vinci


# E S T E L L A #


So schnell meine Beine mich trugen, rannte ich durch die Nacht.

Ich hörte Samuels Stimme und Louis' aus der Ferne und konnte nicht schnell genug zu ihnen eilen.

Wenn Louis zurück war, dann musste Niall auch hier sein.

Meine Schritte wurden schneller und ich sah, wie Louis den Blick auf mich richtete. Etwas irritierte mich in seinen Augen, doch ich konnte nicht sagen, was es war. Erst als er einen Schritt zur Seite trat, erkannte ich die furchtbare Wahrheit.

Niall lag auf einer Trage.

Regungslos.

„Nein!"

Ich schrie aus Leibeskräften.

„Nein!"

Wie betäubt kniete ich nieder, im staubigen Sand, zitternd und bebend.

„Oh mein Gott, was ist geschehen?!"

Nialls Gesicht war leichenblass, aber ich bemerkte seine flache Atmung. Er war noch am Leben, doch er sah aus, als sei er dem Tode geweiht. Meine Liebe, meine große Liebe. Ich konnte es nicht fassen, dass er mir genommen werden sollte. Einfach so, aus heiterem Himmel.

„Louis..." Meine Stimme brach und mein bester Freund kniete neben mir, nahm mich in seine Arme.

„Es tut mir so leid, Stella. Es gab einen Kampf und er wurde schwer verletzt. Harry hat sich um ihn gekümmert, so gut er konnte."

Das schien Harrys Stichwort zu sein, denn er sprach hastig: „Wir brauchen Dr. Baker, sofort."

Ohne dass ich etwas zu sagen brauchte, setzte sich Samuel in Bewegung. Der Hüne rannte über das Grundstück, während ich meinen Tränen vollen Lauf ließ.

„Wir bringen ihn ins Haus, Stella", flüsterte Louis sanft und ich nickte.

Vorsichtig hoben die beiden ihn an und ich ging den kompletten Weg an seiner Seite, seine Hand haltend und weinend.

„Legt ihn in mein Bett", wisperte ich, sobald wir das Haus erreichten. Niall sollte komfortabel liegen, nicht auf dieser Bahre. Das war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Auch wenn er mich wahrscheinlich nicht hörte, flüstere ich: „Halte durch, mein Geliebter. Ich bin bei dir und werde alles für dich tun."

Es kam mir vor wie Stunden, dabei waren nur wenige Minuten vergangen, ehe Samuel mit Dr. Baker eintraf. Der Arzt hatte seine große Tasche dabei und als er Niall erblickte, machte er ein ernstes Gesicht.

In nur wenigen Sätzen erklärte Harry was sich zugetragen hatte und wie er die Wunde bisher behandelte.

„Ich muss mir das anschauen. Bitte legt den Verband ab", befahl Dr. Baker dem Piraten. Dann wandte er sich an mich: „Stella, Ihr solltet besser hinausgehen."

„Ich bleibe." Mit fester Stimme kamen die Worte aus meinem Mund. Nach dem ersten Schock hatte ich mich ein wenig gefasst und nichts brachte mich mehr von Niall weg. Gerade jetzt brauchte er mich am meisten.

„Wie du meinst, aber es wird kein schöner Anblick", sprach Louis, doch auch er vermochte mich nicht umzustimmen.

Fest drückte ich Louis' Hand und hielt den Atem an, als Harry vorsichtig den Verband löste. Zum Vorschein kam eine klaffende Wunde, die zwar nicht mehr blutete, aber sehr bedrohlich wirkte. Selbst im schwachen Schein der Kerze erkannte ich dies und noch besser erkannte es Dr. Baker, da die Kerze direkt am Bett stand.

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