30. Vertrauen

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„Vertrauen beginnt mit Wahrheit und endet mit Wahrheit." – Santosh Kalwar



Selbst im fahlen Mondlicht bemerkte ich die Blässe in ihrem Gesicht. Ungewollt musste ich eine alte Wunde in ihr berührt haben und dafür wollte ich mich am liebsten selbst ohrfeigen.

„Stella, es tut mir leid, ich wollte nicht..."

Prompt fiel sie mir ins Wort: „Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe dich danach gefragt und es ist nur natürlich, dass du die gleiche Frage an mich richtest."

Bewundernd schaute ich sie an. Sie war eine unglaubliche Frau, die sicher viel erlebt hatte. Mindestens genauso viel wie ich, nur auf anderer Ebene. Ich drängte sie nicht, sondern wartete, bis sie mit ihrer Erzählung begann.

Es war eine traurige Geschichte, die fast mein Herz spaltete.

„Er fuhr zur See und eines Tages kam er nicht wieder. Das Schiff sank in einem Sturm und mit ihm die Mannschaft. Als ich es erfuhr, da verwandelte sich mein Leben zunächst in die Hölle. Oliver und ich wollten heiraten und plötzlich war ich eine trauernde Verlobte. Ich stand vor einem Scherbenhaufen."

Meine Augen wanderten über ihr Gesicht, sahen Mut, Entschlossenheit und Wärme.

Vorsichtig tastete ich nach ihren Händen, die sie noch immer um die Beine geschlungen hielt. Tief atmete Stella durch, bevor sie erneut redete.

„Im gleichen Jahr starb mein Vater. Ich erbte die Plantage und all seine Sklaven. Es war schwer, sich als Frau zu behaupten, aber mit Samuel an meiner Seite ging es leichter. Er musste meinem Vater auf dem Sterbebett versprechen, dass er mich immer beschützt."

Mir entwich ein Lächeln: „Ich kann bestätigen, dass er das ganz hervorragend macht."

Stella lockerte ihre Arme, streckte ihre Beine aus und beugte sich zu mir. Unsere Lippen trafen aufeinander, ich schmeckte Traurigkeit, Zuversicht und vor allem Hingabe.

„Es ist so schön, wieder mit einem Mann zusammen sein zu können", wisperte sie. „Ich genieße die Zeit mit dir, Niall."

„Das tute ich auch." Ich sagte es frei heraus, denn es war die Wahrheit. Mit Stella zusammen sein zu können, fühlte sich an, wie in eine andere Welt einzutauchen. Sie war der glitzernde Stern, der mir in der Dunkelheit den Weg wies. Und obwohl der Hass gegen die Spanier und Engländer in mir brannte, drängte sich dieser jedes Mal zurück, wenn ich Zeit mit Stella verbrachte.

Eine Weile lagen wir still da, ich hörte ihre gleichmäßigen Atemzüge und dachte über ihre Worte nach. Auch über das, was sie bezüglich Samuel erzählte. Welche konkrete Rolle hatte er im Leben ihres Vaters gespielt? Für einen Schwarzen gab es hier nur zwei Möglichkeiten, sein Leben zu bestreiten: Sklave oder Pirat. Vielleicht sollte ich Stella einfach danach fragen.

Der nächste Tag begann mit einem gemeinsamen Frühstück und als wir fertig waren, inspizierte Stella meinen Rücken. Vorsichtig verteilte sie mit den Händen den Aloe Vera Saft, dessen Duft sofort in meine Nase kroch. Stella und dieser Duft gehörten zusammen, sie waren eins. Mit verbundenen Augen wurde ich sie unter tausend Frauen erkennen, nur an ihrem Geruch.

„Bist du mutig?", hörte ich sie flüstern.

Obwohl ich nicht wusste, was sie vorhatte, erwiderte ich mit fester Stimme: „Ich denke schon."

„Gut, dann komm mit."

Sie führte mich zu einer der Türen, von denen ich nicht wusste, was sich dahinter verbarg und fühlte mein Herz aufgeregt in der Brust schlagen. Mit einem Ruck stieß Stella die Tür auf und ich blinzelte kurz. In dem kleinen Raum befand sich ein winziges Waschbecken sowie ein Holzsitz. Ich vermutete stark, dass es sich dabei um eine Toilette handelte. Das Interessanteste war jedoch der große Standspiegel, der mich magisch anzog. Sofort war mir klar, was Stella vorhatte. In diesem großen Spiegel würde ich endlich sehen können, was Bix mir angetan hatte.

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