48. Zwielicht

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„Das gesamte Leben der menschlichen Seele ist eine Bewegung im Schatten. Wir leben in einem Zwielicht des Bewusstseins, uns nie dessen sicher, was wir sind, oder dessen, was wir zu sein glauben." – Fernando Pessoa


# L O U I S #


Ein Schuss ertönte und die Franzosen griffen uns an.

Mit aller Macht kämpfte ich darum, den Kapitän zum Steuerrad zu zerren. Als ich es endlich erreichte, schnaufte ich gewaltig, doch ich konnte noch immer brüllen.

„Aufhören, oder ich steche ihm die Augen aus!"

Ich war mir nicht sicher, ob jemand mich hörte oder gar verstand was ich sagte. Wie durch einen Schleier sah ich alles vor mir. Das viele Blut, die Männer, die am Boden lagen, auch meine eigenen.

„Aufhören, oder ich steche ihm die Augen aus!", wiederholte ich meine Worte und dieses Mal fruchteten sie.

Jeder ließ von seinem Gegner ab, alle schauten zu mir und der Kapitän zitterte unter meinem Degen, der seine Kehle berührte. Wie leicht hätte ich diese durchschneiden können, doch ich tat es nicht. Mir war wichtiger, meine Männer hier heil herauszubringen und die Chancen dafür standen gut.

Bisher schien niemand außer mir bemerkt zu haben, dass die Gracia sich uns näherte, um zu Hilfe zu eilen. Auch wenn der Sensenmann ein verwegener Halunke war, so wusste ich doch, dass auf ihn Verlass war.

Und er enttäuschte mich nicht.

Es dauerte keine Minute, da enterten er und seine Mannschaft das französische Schiff. Wir waren in der Überzahl und ich schmiss den französischen Kapitän regelrecht zu Boden.

„Ihr linken Ratten", entfuhr es mir. „Wir wollten euch am Leben lassen, aber ihr habt uns angegriffen. Das gibt Rache!"

Meine Wut hatte inzwischen ein unbezähmbares Maß angenommen und ich tat das, was jeder Piratenkapitän in dieser Situation gemacht hätte. Ich erteilte den Befehl, das Schiff zu versenken, sobald die gesamte Beute und meine Männer auf der Olivia waren.

Marvel setzte sich als erster in Bewegung, um die Kanonen startklar zu machen, während ich mich nach Niall umschaute. Wo zur Hölle steckte mein Maat? Er sollte an meiner Seite sein, den Männern auf die Finger schauen, damit alles schnell über die Bühne ging.

„Hat jemand Niall gesehen?", richtete ich die Frage an einen meiner Mannschaft, doch der schüttelte nur den Kopf.

„Louis, wir sind hier! Er ist verletzt!" Harrys Stimme drang aus dem Tumult hervor und ich setzte mich sofort in Bewegung.

Als ich die beiden erreichte, kniete ich mit klopfendem Herzen neben meinem Maat nieder. Nialls Augen waren geschlossen und er atmete schwer. Blut drang aus der Wunde hervor, die man ihm zugefügt hatte und ich hörte Harry wispern: „Es hat ihn schwer erwischt. Wir müssen sofort etwas tun."

„Bringt ihn auf die Olivia", ordnete ich an, „und Harry, du kümmerst dich nur um ihn. Du tust nichts anderes. Hast du verstanden?"

Mein treuer Freund nickte und mit Liams Hilfe brachten sie Niall auf die Olivia. Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter. Ich wollte Niall nicht verlieren. Er war ein guter Maat, der beste, den ich jemals hatte. Unsere anfänglichen Streitereien und Sticheleien hatten wir zur Seite gelegt und mein Denken, dass er nicht gut genug für Stella sei oder gar nur mit ihr spielte, wurde durch Eleanor zerstreut.

„Blutauge, habt ihr die komplette Beute?" Sensenmanns Stimme holte mich abrupt aus den tiefen Gedanken.

„Ja, alles ist an Bord. Wie sieht es bei Euch aus?"

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