Prolog

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3. Januar 2021

Die Eingangshalle vom Hamburger Flughafen war wie immer mit Menschenmassen überfüllt. Viele liefen einfach planlos durch die Gegend und suchten verzweifelt ihren Terminal, während andere im Weg rumstanden und an den großen Bildschirmen nach den ankommenden Fliegern suchten, um ihren Angehörigen einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Merle hingegen empfand das alles mehr als nervenaufreibend. Am liebsten hätte sie sich jetzt in die S-Bahn gesetzt und wäre zu ihrem alten Wohnhaus in den Stadtteil Blankenese gefahren, um dieser lauten Halle zu entfliehen, doch das war leider nicht mehr möglich. Anstelle dieser Idee, machte sie es sich auf ihrem Koffer bequem. Ihre rot blonden Haare hatte sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden, ihre dicke Winterjacke zog sie noch ein Stück weiter an sich ran und sie musste genervt zugeben, dass es wirklich eine bescheidene Idee gewesen war, sich noch den Temperaturen in Amerika angepasst zu haben, beim Abflug als denen in Hamburg.

Normalerweise war sie keine Mimose, doch die dünne Jeans, die mit Löchern übersät war und ihre weißen Stoffsneaker passten nicht gerade in das norddeutsche Schmuddelwetter mit Schneeregen und Minusgraden. Ihre Mutter hatte sie noch vorgewarnt, aber Merle war in solchen Sachen ziemlich beratungsresistent, außerdem war sie jetzt mehr als ein Jahr in den USA allein auf sich gestellt und wusste, was sie tat, zumindest bis zu dem Punkt, wo sie aus dem Flieger stieg, der früher als geplant gelandet war. Dementsprechend wartete sie auf ihr Taxi, welches wohl noch ein bisschen brauchen würde, denn ihr Vater inklusive ihrer Mutter würden bei dem Wetter nicht allzu schnell aus Bremen in der Flughalle auftauchen. Bremen. Allein bei dem Wort kam ihr schon die Galle erneut hoch.

Anfang Dezember hatte sie ihren Eltern eröffnet, dass sie eine Überraschung für sie hatte und sie endlich zurück nach Deutschland kam. Ihre Euphorie hielt sich aber nur so lange, bis sie erfuhr, dass sie das Haus in Hamburg aufgeben hatten, weil es einfach zu groß für sie beide war und es vorzogen in etwas Kleineres zu ziehen und da es sich anbot, aufgrund des Arbeitsplatzes von ihrem Papa, hatten sie sich in Bremen niedergelassen. Ausgerechnet in dem grün-weißem Feindeslager, wie Merle es gerne als eingefleischter HSV Fan betitelte. Ihren Unmut ließ sie nicht nur an ihren Brüdern aus, die beide noch weiterhin in Hamburg wohnen blieben, nein auch an ihrem Vater, der laut ihr einen Verrat am Verein betrieb.

Alles in allem war Merles Wiederkehr eher eine katastrophale Situation. Sie hätte das halbe Jahr, bis sie ihre Ausbildung anfangen würde, lieber noch in Amerika verbringen sollen, aber da hatte sie leider den teuren Rückflug schon gebucht und ihr WG Zimmer gekündigt. Sie wusste nicht, wo sie sonst hin sollte, außer zu ihnen. Ihr großer Bruder Malte hatte mittlerweile eine Freundin, die schwanger war und somit das Gästezimmer in ein Traum von Rosa verwandelte, weil es ein Mädchen wurde und ihr kleiner großer Bruder Maik wohnte in einer Männer WG, wo sie wenn überhaupt nur auf einer Matratze in seinem Zimmer nächtigen konnte, was ihr ebenso wenig zusprach. Somit ergab sie sich ihrem Schicksal und versuchte das halbe Jahr, sich mit Bremen anzufreunden, soweit es ging. Laut schnaubend zog sie ihr Handy aus der Hosentasche und entsperrte dieses. Immer noch keine Nachricht ihrer Eltern. Entnervt flogen ihre Finger über das Display und sie wählte das Handy ihres Vaters an, was mit Sicherheit mit der Freisprecheinrichtung verbunden war. Es klingelte nur ein paar Mal, bis endlich die Stimme ihrer Mutter aus dem Hörer drang.

„Schatz, wir sind gleich da. Wie war der Flug?", hörte Merle ihrer Mutter aufmerksam zu, die es anscheinend kaum abwarten konnte, sie endlich wieder in die Arme zu schließen. Ihre Mutter hatte sehnsüchtig darauf gewartet, dass ihre Tochter heimkehren würde, schließlich war sie es auch, die am Boden zerstört war, als Merle eröffnete, dass sie ihr Studium für Sportmanagement abbrechen würde und erstmal für ein Jahr eine Pause brauchte. Der Stress, der daraufhin folgte war unerträglich und führte nur dazu, dass sie schneller ihre Koffer packte, als ihr lieb war.

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