Kapitel 1 - Schreckliche Taten

107 7 12
                                    

Es wird hektisch in den alten Gemäuern des großen Bahnhofes. Die eisernen Türen der Dampflock schließlich sich allmählich und am Ende des Gleises erklingt die schrillende Pfeife des Lokführers, die endgültig das Signal zur Weiterfahrt gibt. Nun huschen auch die letzten feinen Damen in ihren Rüschenkleidern und ihren glänzenden Stöckelschuhen die Treppen hinauf. Ein edler Gentleman reicht einer in Gelb bekleideten Dame freundlichst die Hand und zieht mit schnellem Schwung ihren Lederkoffer hinauf. Die Geste wird sofort erwidert und ihre sanften, mit Seidenhandschuhen verhüllten Hände erreichen seine. Ein Lächeln folgt auf den anderen, bis auch diese Tür sich schließt und ihre einzigartige Geschichte geschrieben wird. Ein Buch, dass gerade erst angefangen hat, sich selbst zu schreiben. Vielleicht ist es aber auch nur meine blühende Fantasie, die diese Situation wie eine Romanze erscheinen lässt. Ich stehe noch eine Weile da, träumerisch mitten im Bahnhof und betrachte die an mir vorbeifahrenden Züge, wie der heiße Rauch hoch bis zur gläsernen Überdachung steigt und die nächsten Passanten zu ihren Gleisen eilen.

Meine Augen leuchten nur so vor Begeisterung und Wissbegierde, doch reißt mich etwas wieder aus meiner Tagträumerei. Erschrocken wende ich mich zur großen Bahnhofsuhr, die soeben ihre letzten Glockenschläge erklingen lässt, dessen Zeiger sich immer weiter der zwölf nähert.

Ein tiefes Schnaufen kommt aus meinem Mund und ich begebe mich immer schneller, so lange meine Füße den Halt in den Absatzschuhen finden können, zum Ausgang. Meine schnellen Schritte werden von unbekannten Blicken verfolgt. Geflüster, schwächelnde Blicke hinter den Fächern und eiserne Facetten, die mich mustern. Ich schaue jeden Einzelnen von ihnen direkt in die Augen und betrachte fasziniert ihre Gestik und Mimik hinter meinem Lupinen geschmückten Hut.

„Ah, Miss! Hier nehmen Sie, die neueste Ausgabe der Greenwood Zeitung!"

Ruckartig bleibe ich stehen. Ein älterer Herr mit verstrubbelten grauen Haaren kreuzt meinen Weg und reicht mir eines seiner Exemplare, welches er sanft in meine Hände drückt. Lächelnd nehme ich sie an und möchte gerade in meine Tasche für etwas Geld greifen, als er plötzlich wieder meine Hand bedächtig senkt und mit dem Kopf schüttelt.

„Nein, nein. Ich möchte nur, dass sie mir eine Frage beantworten."

Er schaut mit seinen faltentriefenden Augen suchend in meine und betrachtet sie kurz, bis er mit seinem Satz fortfährt.

„Sie sehen so getrübt aus und das mit solch einem schönen Gesicht! Eine junge Frau wie sie sollte doch nicht so herumlaufen! Sagen sie mir, was ist ihr Sinn des Lebens? Was ist ihr Ziel?"

Vollkommen perplex bleibe ich vor dem Herrn stehen und schaue grübelnd in die Luft. Ich spiele ungewiss mit der Zeitung in meinen Händen und schaue ihn wie von einem Blitz getroffen erschrocken an, als ich ihm gerade antworten möchte.

„Du liebe Güte, wenn sie noch weiter so herumstehen, fällt ihnen ja noch die Decke auf den Kopf! Kann es sein, dass sie sich genau deswegen so ungewiss sind?"

Aussichtslos versuche ich mich zu verteidigen.

„Selbst wenn sie recht hätten, wer weiß bitte schon, was der Sinn des Lebens ist?"

Grinsend schüttelt er mit dem Kopf und stemmt seine Papiere unter seinen Arm. Er kommt immer weiter auf mich zu, als er seine Hand auf meiner Schulter ablegt und auf die Ausgabe in meiner Hand tippt.

„Das muss jeder für sich selbst herausfinden Liebes."

Bedeutungsvoll zeigt er hoch, als wolle er die Sterne ablesen und weitet seine Augen fasziniert dem Himmel zu.

"Aber... es sind meistens die Erfahrungen, die Momente und Schicksale im Leben, die uns diese Frage beantworten können. Vielleicht ist diese Zeitung ja der erste Schritt zu ihrem Schicksal und sie finden eines Tages die Antwort auf ihre Frage."

Great Misfortune - Lebe deinen TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt