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Neugierig starrte Akira aus dem Fenster des Wartezimmers, das einen Blick auf den Magnetbahnhof im Zentrum Atreas bot. Von oben hatte sie ihn vorher noch nie gesehen und stellte nun erstaunt fest, dass er größer war als sie angenommen hatte. Oft war sie selbst noch nicht dort gewesen, normalerweise holte ihr älterer Bruder Dorian die Waren ab. Dafür kannte Akira den riesigen Marktplatz besser als ihre Westentasche.

Als Kinder einer Händlerfamilie verbrachten Akira und ihre Zwillingsschwester schon seit sie denken konnten fast jeden Tag am Marktstand ihrer Eltern. Die meiste Zeit war dieser in ihrer Heimatstadt Atrea, die nicht nur eine bedeutende Handelsmetropole, sondern gleichzeitig auch Sitz des Herzogs von Katur war.

Fasziniert beobachtete Akira, wie eine Magnetbahn unter ihr in den Bahnhof einfuhr. Sie war etwas kleiner als die Bahnen, die ihnen ihre Waren aus den anderen Herzogtümern lieferten. Außerdem war auf dem silbern schimmernden Dach sowie an den Seiten ein Symbol abgebildet das Akira aus der Entfernung nicht richtig erkennen konnte, sie vermutete aber, dass es sich um ein Wappen handelte. Aufgrund dessen nahm sie an, dass es sich um die private Magnetbahn eines Adligen handelte. Diese Vermutung bestätigte sich auch, als wenig später ein großer junger Mann in einem dunklen Reisemantel und schwarzen Stiefeln auf den Bahnsteig trat. Ihm folgten vier Männer, darunter zwei Soldaten, die Akira anhand der charakteristischen Uniform des Herzogshauses von Katur erkannte. Ein weiterer trug eine Reisetasche und stieg als Erster in die Bahn.

Der junge Mann drehte sich zu seinen übrigen Begleitern um. Akira konnte abgesehen von seinen dunklen Haaren nicht viel von seinem Gesicht erkennen, dafür war er einfach zu weit entfernt. Der dritte Begleiter, der ebenfalls edel gekleidet war, trat gerade einen Schritt auf den Mann im Reisemantel zu, klopfte ihm auf die Schulter und beide lachten. Offensichtlich waren sie befreundet und standen nicht in einem dienstlichen Verhältnis zueinander. Wahrscheinlich gehörte er ebenfalls der Herzogsfamilie an, überlegte Akira, während sie neugierig beobachtete wie der junge Mann nun gefolgt von den beiden Soldaten in die Magnetbahn stieg. Scheinbar war der andere lediglich dabei, um sich zu verabschieden, denn er verließ den Bahnsteig anschließend wieder.

Seufzend stellte sie sich vor, wie es wohl wäre mit der Magnetbahn statt ihrer Pferdekutsche zu reisen. Sicher angenehmer und um Welten schneller, jedoch konnte sich ihre Familie das nicht leisten. Zwar gehörten sie als Händler zur Mittelschicht innerhalb des Herzogtums, die Magnetbahn war jedoch der gehobenen Gesellschaft vorbehalten. Die Gleise führten quer durch ganz Raos und verbanden die Haupt- und Handelsstädte aller acht Herzogtümer des Landes, sowie die Königsstadt Lyos miteinander. Das wäre natürlich ideal für die Handelsreise, die Akira und ihren Geschwistern in wenigen Tagen bevorstand. Aus diesem Grund waren sie und ihre Zwillingsschwester gerade auch beim Amtsarzt. Sie mussten sich ein Gesundheitszeugnis ausstellen lassen, ohne welches es ihnen nicht erlaubt war, Katur zu verlassen. Auch wenn sie nicht mit der Magnetbahn reisen konnten, freute Akira sich trotzdem auf die Reise. Es war für sie, die gerade erst 21 geworden war, das erste Mal, dass sie ohne ihre Eltern das Herzogtum verließ.

„So, ich bin auch fertig mit der Untersuchung." Die Stimme ihrer Schwester riss Akira aus ihren Gedanken. „Hat alles gepasst?", fragte sie Livia, während die beiden die Praxis des Amtsarztes verließen. „Ja, unserer Reise steht nichts mehr im Wege", erwiderte diese fröhlich. „Die Gesundheitszeugnisse werden uns in zwei Tagen zugesandt." „Dann sollten wir jetzt dringend die letzten Sachen besorgen, die wir noch brauchen", verkündete Akira, während sie die letzten Stufen der Treppe hinuntersprang.

Schnellen Schrittes machten sich die Schwestern auf den Weg zum Marktplatz. Ihren ersten Stopp legten sie am Stand einer befreundeten Händlerfamilie ein. Die Melowins handelten hauptsächlich mit Stoffen und Kleidung. Die Geschwister hatten dort für jeden von ihnen einen warmen Reisemantel in Auftrag gegeben, da es bereits Herbst war und das Wetter zunehmend kühler wurde. „Ah, meine Lieblingskunden", begrüßte Kian, der Sohn der Familie, sie mit einem breiten Grinsen. Er war etwa genauso alt wie die Schwestern und sie kannten sich schon seit ihrer Kindheit. „Wir sind hier, um unsere Mäntel abzuholen", erklärte Livia, woraufhin Kian nickte. „Einen Moment, ich habe sie da." Mit diesen Worten tauchte er unter dem Verkaufstresen ab und kurz darauf mit einem dicken Paket im Arm wieder auf. „Bitteschön. Bezahlt sind sie ja schon." „Danke", erwiderte Akira und schenkte ihm ein breites Lächeln. Bildete sie es sich nur ein, oder errötete er daraufhin tatsächlich?

Die Jagd des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt