Akira saß im Zimmer, das sie sich mit ihrer Zwillingsschwester teilte, auf ihrem Bett und versuchte sich mit Lesen abzulenken, was jedoch eher schlecht als recht funktionierte. Sie kannte das Buch bereits und ihre Gedanken schweiften deshalb immer wieder zur Jagd.
Drei Tage waren seit der Ankündigung vergangen. Die Familie Thorn bemühte sich, so normal wie möglich weiter zu leben. Allerdings blieb Akira weitestgehend zu Hause und begleitete die Familie nicht mehr auf den Markt, da die Wahrscheinlichkeit auf einem öffentlichen Platz in Atrea kontrolliert zu werden immer größer wurde. Ihr Bruder, der seit der Ausstrahlung zusammen mit ihrem Vater die Verkaufsstände auf dem Markt überwiegend allein betrieb, hatte ihr berichtet, dass der Jäger ganze Gruppen junger Menschen in der Stadt von Soldaten abführen und im Schloss kontrollieren ließ. Auch ihre Schwester erzählte Ähnliches, wenn sie unterwegs war, um die anfallenden Besorgungen zu erledigen und die letzten Vorbereitungen für die Reise zu treffen.
Immer öfter fragte Akira sich, wie lange es hier wohl noch sicher für sie war. Ihr war der Gedanke gekommen, mit Livia und Dorian ein Stück zu fahren, wenn diese zur Handelsreise aufbrachen und sich dann in den Wäldern vor der Grenze Ikardts zu verstecken. Quentin hatte diese Idee aber sofort verworfen, als sie sie vor der Familie zur Sprache gebracht hatte. Er wollte nicht, dass Akira dort auf sich allein gestellt war. Die Jagd konnte schließlich bis zu 50 Tagen dauern. Nicht nur würde sie im Wald keinen Kontakt zu Familienmitgliedern aufnehmen können, auch die Witterung würde Schwierigkeiten machen, da es bereits Herbst war und es zunehmend kälter wurde. Akira verstand seine Bedenken, trotzdem hatte sie ein mulmiges Gefühl, zu wissen, dass der Jäger ihr in Atrea so nah war. Quentin aber war der Meinung, ein wenig Zeit hätten sie noch, bevor er anfangen würde, einzelne Häuser zu durchsuchen. Er hielt an seinem Plan fest, dass die Geschwister ohne Akira fahren sollten. Offiziell sollte sie zuhause bleiben, da ihre Mutter krank geworden war und er sich um die Geschäfte in Katur kümmern musste. Allegra hatte in den letzten Jahren öfter mit kleineren Erkrankungen zu kämpfen gehabt, weshalb diese Erklärung auch für Menschen, die sie kannten, plausibel klang. Bereits in den letzten beiden Tagen hatte Allegra sich nicht mehr oft draußen blicken lassen. Die viele Zeit zu Hause tat ihr jedoch nicht gut, da die fehlende Ablenkung dazu führte, dass sie sich noch mehr Sorgen um ihre Tochter machte. Dies bedrückte wiederum Akira, da sie die meiste Zeit zusammen mit ihr im Haus war.
Gerade waren sie wieder einmal gemeinsam allein, während Livia zum Schmied gefahren war, um ihm Arbeitsgeräte zum Schleifen zu bringen.
Gedankenverloren dachte sie darüber nach, wie die kommenden Tipps sie wohl auffliegen lassen konnten, als sie plötzlich hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Irritiert legte sie das Buch beiseite. Eigentlich sollten die anderen erst gegen Abend zurückkommen. Livia wollte im Anschluss zum Besuch beim Schmied auf dem Markt zu Quentin und Dorian stoßen und erst spät mit diesen gemeinsam nachhause kommen. Die Tür fiel wieder ins Schloss und die schnellen, leisen Schritte auf der Treppe verrieten ihr, dass es sich doch um ihre Zwillingsschwester handeln musste. Akira erkannte sofort, dass etwas vorgefallen war, als Livia mit gehetztem Blick das gemeinsame Zimmer betrat.
„Ich wurde kontrolliert", platzte es aus ihrer Schwester aufgeregt heraus.
„Beim Schmied?!" Akira fühlte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Dass sogar schon an so untypischen Plätzen kontrolliert wurde, machte ihr wenig Hoffnung noch lange unentdeckt zu bleiben.
„Ja, ich hatte gerade alles abgegeben, mit ihm über den Preis verhandelt und vereinbart, wann wir die Geräte wieder abholen können, da kamen zwei Soldaten herein und fragten nach den Kindern des Schmiedes. Vier davon sind im passenden Alter, drei Jungen und ein Mädchen. Und als sie mich sahen, haben sie mich natürlich auch gleich mit aufs Schloss genommen", berichtete Livia, während sie den Mantel abstreifte, den sie in ihrer Eile nicht unten abgelegt hatte. „Ich musste sofort mit ihnen kommen. Den Wagen und das Pferd musste ich in der Zwischenzeit beim Schmied lassen", fuhr sie fort und setzte sich auf ihr Bett gegenüber von Akira.
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Die Jagd des Königs
FantasyÜber hundert Jahre war es her. Die letzte Jagd. Nun war es wieder so weit und der nächste König musste bestimmt werden. Akira wäre das eigentlich ziemlich egal. Wäre da nicht ein kleines Problem - sie war die Gejagte. Zyron liebte das Reiten, die N...