Unschlüssig sah sich Zyron in dem großen Saal, in dem der Empfang stattfand, um.
Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, sein Onkel Avan, der Herzog von Katur, hätte jemanden anderen für die Jagd ausgewählt.
Nach dem Tod seines Vaters hatte er ihn bei sich aufgenommen und großgezogen. Avan war zu Zyrons Vaterfigur geworden, hatte er doch keine nennenswerte Erinnerung an seinen leiblichen Vater. Wie sollte er auch, er war bei dessen Tod noch keine zwei Jahre alt gewesen.
Und eigentlich hatte Zyron bislang auch angenommen, sein Onkel wüsste, dass er noch nie viel mit dem Gedanken an die Verantwortung eines Herrschers anfangen können. Es war immer klar, dass sein Cousin Sandryn das Herzogtum erben würde und Zyron war froh darüber. Obwohl drei Jahre jünger, hatte dieser doch stets besser mit dem Gedanken an so viel Verantwortung umgehen können. Der Unterricht, den er wie auch sein Cousin erhalten hatte, diente für ihn lediglich dazu, seinem Cousin später mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können.Er wollte kein derartiges Amt und nun würde er zu der Jagd antreten, die entschied, an wen für die nächsten 176 Jahre das Königsamt übergehen würde. Es war eine derart alte Tradition, die in so vielen Versionen erzählt wurde, dass der genaue Ursprung mittlerweile umstritten war.
Der verbreitetsten Legende nach hatten sich die Herzogtümer Raos' nach 176 Jahren Krieg auf das wechselnde Herrschersystem geeinigt, wobei die Zeitspanne symbolisch übernommen wurde. Am Tag der Krönung wurden, so der Mythos, allerdings die Königsinsignien gestohlen, was zu einer harten Zerreißprobe des frisch geschlossenen Friedens führte. Daraufhin entbrannte eine wilde Jagd, bei der alle Herzöge den Dieb zuerst fassen wollte. Als es schließlich einem gelang den Dieb zu fangen, wurde dies als Entscheidungsgrundlage für den Wechsel der Königswürde festgelegt, da der erfolgreiche Jäger sein Land offensichtlich am besten kannte.Erleichterung durchströmte ihn, als er tatsächlich ein bekanntes Gesicht entdeckte. Zügig machte er sich auf den Weg zu Cëcilia. Sie war das dritte Kind des Herzogs von Thalion und gerade einmal ein knappes Jahr älter als er selbst. Ihre Eltern waren gut mit seinem Onkel befreundet und so hatten sie sich bereits in jungen Jahren kennengelernt. Cëcilia war das erste Kind gewesen, mit dem er damals auf dem Schloss gespielt hatte. Und obgleich sie sich zwischenzeitlich entfremdet hatten, war sie, insbesondere in den letzten Jahren, seine beste Freundin und Vertraute geworden. Da erst gestern entschieden worden war, wer als Jäger antreten würde, hatte Zyron noch keine Gelegenheit gehabt, sich zu informieren, wer für die anderen Herzogtümer antrat. Umso erleichterter war er, jetzt nicht nur Fremden gegenüberzustehen.
Auch sie hatte ihn mittlerweile entdeckt und begrüßte ihn mit einer festen Umarmung.
„Ich bin so froh dich hier zu sehen", ließen sie gleichzeitig verlauten und sahen sich dann überrascht an.
„Also wurdest auch du als Jäger bestimmt?", fragte Zyron seine Freundin nach einem Moment. „Ja", seufzte sie. „Ich hatte da nichts mitzureden. Vater hätte lieber Ilana geschickt. Es gehöre sich schließlich nicht, dass gegebenenfalls die jüngere Schwester über die Ältere herrsche. Aber die Glückliche ist ja leider zu alt für diese Farce."
Mitfühlend blickte Zyron sie an. Insbesondere ihre ähnliche Einstellung hinsichtlich des Herrschens hatte sie zu so guten Freunden werden lassen.
„Und du? Welchen Grund hatte dein Onkel dich zu schicken? Dein Cousin ist doch im richtigen Alter?"
Zyron rang sich ein gequältes Lächeln ab. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich einige Jahre älter zu sein. Dann hätte sein Onkel ihn nicht hierfür verpflichten können, denn die Jäger durften nur zwischen 20 und 25 Jahre alt sein. Das sollte verhindern, dass Kinder, die noch nicht selbst entscheiden konnten, ausgewählt wurden oder man auf der anderen Seite bereits einer Familie verpflichtet war.
„Vielleicht alt genug, aber leider der Erbe des Herzogtums. Und seit dieser Jagd darf ja kein Jäger gleichzeitig Erbe sein", antwortete er. Cëcilia runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber.„Anderes Thema. Hast du bereits unsere Konkurrenten kennengelernt?", erkundigte sich Zyron. Er selbst war bisher zwei anderen Jäger begegnet und hatte nur einige wenige Worte mit ihnen gewechselt.
„Ich hatte bereits mit drei das Vergnügen. Der Jäger von Nysander wirkt auf mich nicht sehr motiviert. Anscheinend ist er nur ein entfernter Verwandter des aktuellen Herzogs, er war wohl der einzige im richtigen Alter. Oh, und dann der Jäger aus Odaemon..." Es war das erste Mal, dass Zyron Cëcilia erröten sah. „Ein netter junger Mann. Fenris heißt er. Er ist der zweite Sohn des Herzogs und wird wohl, wenn er die Jagd nicht gewinnt, Botschafter seines Herzogtums beim König. Sehr charismatisch."
Mit einem Grinsen betrachtete Zyron seine Freundin, kommentierte ihre kleine Schwärmerei aber nicht weiter. Sie war bis vor einigen Monaten verlobt gewesen und die Hochzeit hätte zur Wintersonnenwende stattfinden sollen. Doch ihr Verlobter hatte sie für eine andere Frau verlassen, weshalb sie, zu ihrer eigenen Freude, wieder ungebunden war.
DU LIEST GERADE
Die Jagd des Königs
FantasyÜber hundert Jahre war es her. Die letzte Jagd. Nun war es wieder so weit und der nächste König musste bestimmt werden. Akira wäre das eigentlich ziemlich egal. Wäre da nicht ein kleines Problem - sie war die Gejagte. Zyron liebte das Reiten, die N...