Übermüdet starrte Zyron aus dem Fenster. Die letzten Nächte hatte er nicht wirklich geschlafen. Die ganze Zeit geisterte ihm die Jagd im Kopf herum und er fand partout keine Ruhe.
Er wollte nicht König werden. Da war er sich inzwischen sicherer als je zuvor. Er wollte weder die Verantwortung noch die Pflichten. Zwar hätte er als Berater oder Verwalter, wie es bisher für sein Leben geplant war, durchaus auch Verpflichtungen, aber er könnte sich trotzdem verhältnismäßig frei bewegen.Gestresst fuhr er sich übers Gesicht, dann stieß er sich vom Fenstersims ab. Er musste dringend ein Gespräch mit seinem Onkel führen. Schließlich war dieser für seine Misere verantwortlich.
Zielstrebig durchquerte Zyron die Gänge, sein Blick blieb aber, wie immer, an einem ganz bestimmten Gemälde hängen. Es zeigte seinen Onkel und seinen Vater als junge Männer, wie sie gerade mit einem erlegten Eber in den Hof ritten.
Avan hatte ihm einmal erzählt, dass das Jagen die größte Leidenschaft seines Vaters gewesen war. Wann immer er den Kopf frei bekommen wollte oder einfach vor irgendeinem gesellschaftlichen Anlass fliehen, verschwand er, manchmal für mehrere Tage, spurlos. Zurück kam er dann meistens mit einem Hirsch, einigen Fasanen oder anderer Jagdbeute. Die Begeisterung fürs Jagen hatte Zyron von seinem Vater geerbt. Und auch jetzt zog es ihn viel mehr in die Wälder als in das Büro seines Onkels. Doch das musste warten.Entschieden wandte er sich wieder von dem Gemälde ab und ging die letzten Schritte zur Tür. Ein letztes Mal fuhr Zyron sich durch die Haare, um sich zu sammeln. Er müsste sie mal wieder schneiden, stellte er fest, dann klopfte er.
„Herein", ertönte die volle Stimme seines Onkels. Nachdem er eingetreten war, schloss Zyron die Tür wieder hinter sich.
„Wir müssen reden", verkündete er und bemühte sich vergeblich seine Stimme ruhig und emotionslos zu halten. Avan hob den Blick von seinen Unterlagen und musterte ihn einen Moment. Dann seufzte er und bedeutete ihm sich zu setzen.„Die Jagd", stellte er fest und legte dabei sorgfältig seine Schreibfeder und die Papiere beiseite. Dies verriet Zyron, dass Avan mit einem längeren Gespräch rechnete. Er wusste nicht so recht, ob ihn das nun beruhigen sollte oder nicht.
„Warum hast du mich als Vertreter für Katur ausgewählt? Du weißt doch, dass ich mit einem solchen Amt nichts anfangen kann!"
„Welche Alternative hatte ich denn? Wie du weißt, darf Sandryn als mein Erbe nicht an der Jagd teilnehmen. Und du möchtest mir doch nicht erzählen, ich hätte stattdessen irgendeinen entfernt Verwandten auswählen sollen? Bei denen ich nicht weiß, ob sie ausgebildet wurden, oder ob sie so etwas wie Herrscherqualitäten oder einen Sinn für Gerechtigkeit haben? Hätte ich denn deine Stiefschwester nehmen sollen? Das hätte deiner Mutter und ihr sicherlich gut gefallen."
Frustriert ballte Zyron die Hand zur Faust. All das war ihm natürlich bewusst gewesen und an der Stelle seines Onkels hätte er dieselbe Wahl getroffen. Bei der Vorstellung von seiner Stiefschwester Lavinia auf dem Thron stellten sich ihm die Haare auf. Trotzdem konnte er sich einem gewissen Gefühl des Verrats nicht erwehren.„Aber warum hast du es mir nicht früher gesagt?", klagte er. Schweigend sah sein Onkel ihn an. Er hätte es ahnen können, das war Zyron durchaus klar. Aber bisher hatte er sich auch nie über die Handelsbeziehungen und Gesetze hinaus mit dem Königshaus beschäftigt. Es war für ihn schlichtweg nicht relevant, geschweige denn interessant gewesen.
„Ich wollte dich nicht schon im Vorfeld belasten. Du wärst nur unglücklich gewesen und hättest dir womöglich noch mehr Druck gemacht. Das wollte ich vermeiden", antwortete Avan schließlich. Nachdenklich nickte Zyron. Er hatte bereits mit einer derartigen Erklärung gerechnet. Zwar war er trotzdem nicht begeistert davon, gleichzeitig war er seinem Onkel aber auch dankbar dafür. Seit er wusste, dass er der Jäger war, hatte er keine Ruhe mehr gefunden. Hätte er es früher gewusst, hätte sich auch nichts geändert, er wäre lediglich noch länger unglücklich gewesen.„Aber... Ich kann die Jagd doch einfach aussitzen?" Zögerlich sah er zu seinem Onkel auf. Bislang hatte Avan nie Anstalten gemacht mehr zu wollen, als sein Herzogtum voranzubringen. Und auch jetzt wirkte er nicht als strebe er nach der Krone. Allerdings konnte Zyron nicht einschätzen, ob er nicht trotzdem enttäuscht wäre, wenn er sich nicht aktiv beteiligte.
„Das könntest du. Es ist deine Entscheidung, wie du die Jagd gestalten möchtest. Du kannst, soweit verfügbar, auf unsere Soldaten zurückgreifen, es ist aber allein deine Entscheidung, wofür du sie einsetzt." Es trat ein Moment der Stille ein und Zyron ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. „Allerdings bitte ich dich, dass du dabei nicht aus den Augen verlierst, was geschehen kann. Für dich, für Katur, für das ganze Königreich. Was geschehen kann, wenn du die Jagd nur aussitzt und was geschehen kann, wenn du die Jagd aktiv vorantreibst." Avan sah Zyron jetzt fest in die Augen und dieser nickte langsam. Sein Onkel wollte ihn damit nicht in eine Richtung drängen. Vielmehr erinnerte er ihn an eine der wichtigsten Lektionen seiner Ausbildung.
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Die Jagd des Königs
FantasyÜber hundert Jahre war es her. Die letzte Jagd. Nun war es wieder so weit und der nächste König musste bestimmt werden. Akira wäre das eigentlich ziemlich egal. Wäre da nicht ein kleines Problem - sie war die Gejagte. Zyron liebte das Reiten, die N...