Die Jagd des Königs

VIII

Nachdenklich erklomm Zyron die Stufen zum großen Saal. Die Jagd lief nun schon seit zehn Tagen und heute sollte er den ersten Tipp erhalten. Deshalb war er heute Morgen in die Magnetbahn gestiegen und zum Königsschloss gefahren. Soweit er seinen Unterlagen entnehmen konnte, fand zunächst ein kurzer Empfang statt, danach würden sie vom König den ersten Tipp erhalten. Zyron hoffte zwar, dass er sich nicht mit zu vielen Menschen herumschlagen musste, doch da der Empfang im großen Saal stattfand, fürchtete er das Schlimmste.

Und tatsächlich, als er den Raum betrat, bei dem die Bezeichnung ‚großer Saal' noch eine Untertreibung war, blickte er auf ein Meer von Menschen. Am liebsten würde er auf dem Absatz kehrt machen, doch dann müsste er auch auf seinen Tipp verzichten. Und er musste zugeben, er brauchte dringend einen Hinweis, auch wenn das bedeutete einen Abend lang gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er entdeckte einen Stand mit Häppchen und beschloss, dass das ganze nur mit vollem Magen zu ertragen war.

Weiter als drei Schritte kam er allerdings nicht, bevor er von einer aufgetakelten Hofdame aufgehalten wurde. Als er diese endlich abschütteln konnte und sich erneut in die Richtung seines Ziels wandte, sah er sich einer anderen Frau gegenüber.
„Tiara", begrüßte er sie um ein freundliches Lächeln bemüht. „Wie geht es dir, wie läuft die Jagd?"
Die ein Jahr ältere Jägerin sah ihn kritisch an. „Zyron. Nun die Jagd läuft hervorragend. Du brauchst dir keine Gedanken um den zweiten Tipp machen, zu dem Zeitpunkt stehe ich schon längst als Königin fest", verkündete sie.
Zyron verkniff sich einen Kommentar zu ihrem übertriebenen Selbstbewusstsein und zeigte sich stattdessen beeindruckt. „Tatsächlich? Du musst ja eine sehr effiziente Vorgehensweise haben."
„Tja. Die Menschen interessieren sich halt doch nur für Macht und Geld. Und ins Gefängnis möchte auch niemand, weil er Informationen vorenthalten hat."

Es dauerte einen Moment bis Zyron erfasst hatte, was dies über ihre Herangehensweise aussagte. Bevor er sich jedoch dazu äußern konnte, hatte sie sich bereits verabschiedet und war in der Menge verschwunden. Einen Moment starrte er ihr hinterher und versuchte zu begreifen, wie man so grausam sein konnte.

Gerade wollte er seinem Magen endlich etwas Gutes tun, als er von der Seite angesprochen wurde. Am liebsten hätte er die Person ignoriert und wäre einfach weitergegangen, doch seine Erziehung ließ das nicht zu. Also wandte er sich mit einem bemühten Lächeln um. Überrascht starrte er sein Gegenüber an. Mit dem Kronprinzen hatte er nicht gerechnet.

„Etwas zu trinken?", bot dieser ihm an, bevor Zyron ihn auch nur begrüßen konnte, und hielt ihm ein Glas entgegen. Verdattert nahm er es an, bevor er rasch ein 'Dankeschön' hervorbrachte.
„Ich habe dich eben mit Tiara gesehen. Sie geht ja sehr radikal bei ihrer Jagd vor", äußerte sich der Kronprinz. Gereon, wenn sich Zyron richtig erinnerte. „Es geht das Gerücht um, dass sie jeden, der Informationen liefert, die sich als unbrauchbar herausstellen, verurteilen lässt. Das hat so viel Angst in ihrem Volk gesät, dass niemand mehr wagt ihr irgendwelche Hinweise zu bringen."
Gereons Tonfall machte Zyron stutzig und er musterte ihn kritisch.
„Du...", stellte er schließlich fassungslos fest und konnte nicht weitersprechen. Der Kronprinz hatte Gerüchte gestreut.

Auch wenn Gereon nicht weiter darauf einging, verriet sein unschuldiges Grinsen genug.
„Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen", wechselte er dann das Thema und überrumpelte Zyron erneut. Er brachte keinen anständigen Satz heraus, doch das brauchte er auch gar nicht.
„Mein Vater spricht noch immer von Cadoc. Er vermisst ihn." Verwirrt sah Zyron ihn an. Da er noch nicht einmal zwei Jahre alt gewesen war, als sein Vater, Cadoc, gestorben war, erinnerte er sich nicht an ihn. Sein Onkel hatte die Rolle als Vater übernommen und wahrscheinlich deswegen hatte sich Zyron kaum für Cadoc interessiert. Avan hatte auch wenig über ihn gesprochen, weshalb er noch nicht einmal wusste, was sein Vater für ein Mensch gewesen war.