VII

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Seit Livia und Dorian abgereist waren, war es noch trister im Haus der Familie Thorn geworden. Allegra, die mittlerweile wieder häufiger von Migräne- und Schwächeanfällen geplagt wurde, zog sich die meiste Zeit des Tages in das abgedunkelte Schlafzimmer zurück. Quentin arbeitete mehr denn je und kam spät nach Hause, schließlich musste er den Stand auf dem Markt allein führen. Zwar half Akira ihm, den Wagen zu be- und entladen und abends die Pferde zu versorgen, mit in die Stadt wollte sie jedoch nicht kommen. Die Begegnung mit dem Jäger beim Schmied hatte sie wieder vorsichtiger werden lassen.

Dass sie ihm durch einen Zufall so nahe gekommen war, machte ihr ein wenig Angst. Auch das Angebot, das er ihr gemacht hatte, ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Unter anderen Umständen hätte Akira die Ironie, dass der Jäger ausgerechnet die Gejagte um Hilfe bei der Suche bat, sicher amüsiert. Doch da es sich bei ebendieser Gejagten nun einmal um sie selbst handelte, war ihr nicht nach Lachen zumute.
Die Frage, ob es taktisch klug wäre auf sein Angebot einzugehen, oder ob sie sich damit selbst ans Messer lieferte, kreiste ihr unablässig im Kopf herum.

Wenn sie sich öfter sahen, würde er früher oder später herausfinden, dass sie ihn täuschte, da war sie sich sicher.
Der Jäger hatte auf sie nicht wie ein Tyrann gewirkt. Im Gegenteil, er war sich sogar nicht zu fein gewesen, ihr seine Hilfe beim Tragen anzubieten. Etwas das sie so von einem Aristokraten nicht erwartet hätte. Es würde ihr schwerfallen ihn ständig anzulügen, wenn er nicht zu der Sorte selbstsüchtiger, arroganter Adeliger gehörte, die sie so verachtete. Aber würde es ihm überhaupt auffallen, wenn sie einfach nicht im Schloss erschien? Sicherlich hatte er mehr Menschen im Herzogtum ein solches Angebot gemacht. Würde er sich da an sie überhaupt erinnern? Doch Akira ahnte bereits, dass das nur Wunschdenken war. Ihr Verhalten war nicht gerade unauffällig und die spöttischen Kommentare sicherlich nicht die klügste Idee gewesen. So war sie dem Jäger aber sicher in Erinnerung geblieben, und sei es nur aufgrund ihrer losen Zunge.
Wütend stieß Akira die Luft aus und vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. Warum konnte sie denn auch nie den Mund halten?

„Akira?" Allegras Ruf riss sie aus ihren düsteren Gedanken.Seufzend rollte sie sich vom Bett.
Als sie das Schlafzimmer betrat, erschrak sie ein wenig beim Anblick ihrer Mutter. Allegras Haut sah blass und fahl aus. Man sah ihr an, dass es ihr wirklich nicht gut ging.
„Brauchst du etwas? Soll ich dir was bringen?", erkundigte Akira sich besorgt.
„Kannst du bitte zu Freya gehen? Sie weiß, was sie dir mitgeben muss", erwiderte Allegra, wobei sie die Augen gegen das Licht zukniff, das durch die geöffnete Tür ins Zimmer fiel.
„Ja, natürlich. Ich bin gleich wieder da", versprach Akira und verließ das Schlafzimmer, um sich gleich auf den Weg zu machen.

Freya war eine alte Schulfreundin ihrer Mutter und wohnte nur ein paar Straßen weiter. Sie kannte sich mit Heilkräutern aus und hatte nicht nur Akiras Familie schon bei so mancher Krankheit zur Seite gestanden. Gegen Allegras Beschwerden hatte sie im Laufe der Zeit verschiedene Rezepturen entwickelt, die meist auch eine lindernde Wirkung erzielten. Die modernen, chemischen Medikamente wären natürlich effektiver, doch diese waren teuer und deshalb kaum erschwinglich.

Akira fröstelte in der kühlen Herbstluft, als sie hinaus auf den Hof trat und schlang ihre Wolljacke enger um sich. Während sie die Straße entlang ging, wanderten ihre Gedanken zu ihren Geschwistern. Sie hoffte, dass wenigstens das Geschäft der beiden gut lief. Livia wollte sich bei ihr melden, sobald sie eine geeignete Bleibe gefunden hatten und es machte ihr ein wenig Sorgen, dass sie bisher noch nichts gehört hatte.

„Hey du!" Akira fuhr herum. Neben ihr kam ein großer Wagen zum Stehen. Er ähnelte den Personenbeförderungswägen mit denen man für ein paar Münzen in die Stadt fahren konnte. Ein Mann sprang vom Kutschbock und schritt auf sie zu. Akira erkannte an seiner Uniform, dass er Soldat war.
„Du bist im passenden Alter. Steig auf!", wies er sie an und zog an einem Griff an der Seite des Wagens, wodurch eine kleine Treppe aufgeklappt wurde.

Die Jagd des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt