Meine Schuld

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Ich stand alleine am dem Bild meiner Tochter. Meine Kerze war die einzige, mein Strauß einsam.
Es stand abseits von den drei anderen vor denen sich eine Masse versammelt hatte. Ihre Blicke waren voller Mitleid aber auch voller Hass. Und ich konnte sie verstehen. Sie wussten, was ich wusste:
Das war meine Schuld.
Ich hatte als Mutter versagt. Konnte weder die Anzeichen ihres Schmerzes sehen, noch hätte ich ahnen können was sie vorhatte oder wozu sie fähig war. Ich hätte das verhindern können.
Deswegen wollte ich nie ein Kind.
Weil ich zu kaputt war um es zu erziehen. Meine Eltern haben mich versaut. Haben mich mental kaputt gemacht. Ich wusste ich bin nicht zur Mutter geeignet. Doch anstatt sie in eine Pflegefamilie zu geben nachdem sie geboren war, war ich so egoistisch sie behalten zu wollen. Vom ersten Moment an war ich verliebt. Und am Ende habe ich in ihrer Erziehung genau wie meine Eltern versagt.
Nur ich bin Schuld, dass diese Bilder hier standen. Das wir alle hier um diese Kinder trauerten.
Weil meine Tochter mit ihrem seelischen Balast nicht leben konnte und nur einen einzigen Ausweg sah: Gewalt.
Sie hatte, wie auch immer, eine Waffe besorgt und war in ihre Schule marschiert und hatte drei ihrer Mitschüler erschossen.
Nur ein paar Meter weiter hielt man eine Predigt für die Opfer. Es war ein schöne Predigt und ich wünschte ich hätte den Mut gehabt den trauernden Eltern in die Augen zu sehen und ihnen mein Mitgefühl auszusprechen. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte nicht in diese hasserfüllten Augen sehen.
,,Hey...", flüsterte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah Emily. Sie war die beste Freundin meiner Tochter Grace gewesen. Sie lächelte schwach. ,,Hallo Emily... Wie geht es dir?"
Ich wollte ablenken. Wir sollten über die Lebenden sprechen. Wir sollten den anderen Respekt zollen. Grace musste keiner Trauer zeigen. Nur ich. Nach so einer Tat kann nur noch ein Elternteil sein Kind lieben. Andere mussten das nicht tun. Ich wollte ihr vorgeheucheltes Beileid nicht.
Ihr Lächeln verschwand. ,,Ms Newman ich glaube es ist wichtiger wie es Ihnen geht... Sie haben immerhin...", stammelte sie bevor ich sie unterbrach: ,,Ist schon gut. Aber du musst aufgewühlt sein. Du warst ja dabei. Das war sicher schrecklich..."
Sie nickte abwesend. Ich drehte mich wieder zu dem Bild von Grace. Ihr Lächeln war so unschuldig und liebenswert.
,,Es ist unfair was sie über Grace sagen" , kam von Emily.
Ich sah sie wieder an.
,,Sie war kein Monster. Sie hatte so viele Kämpfe auszutragen und sie dachte sie muss das allein. An dem Tag vor... Sie war so anders. Ich wollte mit ihr reden aber sie war so abweisend..." Ihre Augen wurden glasig und Stimme brüchig.
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und sie sah mir in die Augen.
,,Sie hatte mich schon so lange abgewiesen... Ich... ich hätte mich mehr anstrengen müssen... Wäre ich da gewesen... Ich war eine grausame Freundin..." Weinend sank sie in meine Arme. Ich streichelte über ihren Kopf. ,,Nein", seufzte ich, ,,das hat sie von mir. Ich war genauso..." Auch ich begann zu weinen. Eine Weile standen wir so da. Zwei Menschen, die sich die Schuld gaben.
Dann löste sie sich und wischte ihre Tränen weg. Sie atmete bis sie nicht mehr unkontrolliert nach Luft schnappte.
,,Ich weiß nicht was passiert ist, was sie dazu veranlasst hat, das zu tun... Aber nachdem sie es getan hatte, war für einen Moment Stille. Und ich konnte sehen, dass sie erst da realisiert hatte was sie getan hatte. Sie hatte Panik Ms Newman. Sie hat sich schuldig gefühlt. So sehr, dass..." Weiter wollte Emily nicht sprechen. Und das mussre sie auch nicht. Die Polizei hat mir nach der Vernehmung der Zeugen erzählt was passiert war. Warum ich jetzt hier war.
,,Ich weiß", antwortete ich um den Satz zu beenden und Emily nicht zu zwingen einen Schluss zu finden.
Die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Der Himmel weinte auch. Sogar Gott trauerte um diese Kinder.
Ich legte eine Hand auf Emilys Schulter: ,,Es fängt an zu regnen. Stell dich unter. Ich gehe jetzt nach Hause." Dann ging ich an ihr vorbei. Doch ich musste mich noch einmal umdrehen. ,,Du bist eine gute Freundin gewesen Emily. Du hättest nichts tun können. Es war ihre Entscheidung sich zurückzuziehen. Du hast getan was du konntest. Versuch abzuschließen..." Sie lächelte traurig und nickte. Ich lächelte zum Abschied auch. Dann ging ich nach Hause.
Ich konnte die Blicke der trauernden Eltern wie Stiche in meinem Rücken spüren und mit jedem Tropfen lastete Gottes Urteil mehr auf mir. Das war nicht Emilys Schuld oder die dieser Jungen, mögen sie noch so viel getan haben. Es war meine. Weil ich eine schreckliche Mutter gewesen war. Und ich hörte den Urteilsspruch Gottes aus dem Himmel rufen.
Damit würde ich jetzt leben müssen.
Doch ich weiß nicht ob ich das kann.

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