Ich wurde von Stimmen geweckt. Man ich war doch gerade erst eingeschlafen. Mein Zimmer lag direkt gegenüber vom Wohnzimmer, was für mich bedeutete ich wurde von jedem Gespräch geweckt. Vielleicht hatte sich Papa ja den Fernseher angemacht, weil er wieder mal nicht schlafen konnte. Also drehte ich mich einmal um und versuchte wieder einzuschlafen, während ich dem Gespräch drüben lauschte. Was er wohl guckte?
,,Können wir ihren Ausweis sehen?" Ah, ein Krimi. ,,Natürlich", hörte ich die aufgelöste Stimme meines Vaters antworten. Ich schlug die Augen auf. Da war Licht im Wohnzimmer und zwei Polizeibeamte stand in unserem Wohnzimmer. Mein Kopf begann zu arbeiten. Polizei? Hier? Mitten in der Nacht?
Leise stand ich auf und ging hinüber. Der eine Beamte legte gerade den Ausweis meines Vaters auf den Tisch. ,,Was ist denn los?", fragte ich vorsichtig. ,,Nicht jetzt Kleine...", antwortete mein Vater und sah mich an. Seine Augen rot und seine Stimme brüchig, als würde er gleich weinen. Ich setzte mich auf die Lehne der Couch und sah die Beamten an. Einer sah mich nicht an und konzentrierte sich auf meinen Vater, der andere sah mich kurz an und dann wieder weg. Die Stimmung gefiel mir nicht. ,,Dürfen wir ihnen ein paar Fragen zu ihrer Frau stellen?", nahm der ältere Beamte das Gespräch wieder auf. Der jüngere der mich angesehen hatte stand ernst und steif da und bemühte sich kein bisschen einfühlsam zu sein.
Meine Mutter? Was war denn mit ihr? Ich hatte schon seit zwei bis drei Wochen nichts von ihr gehört, obwohl ich in der Zeit Geburtstag hatte, aber untypisch war das nicht. Seit ich zu Papa gezogen war, hatten wir kaum Kontakt, weil wir in einem riesigen Streit auseinander gegangen sind. Ich hab so einiges über meine Mutter realisiert, zum Beispiel, dass sie keine so gute Mutter war. Letztes Jahr führten wir ein Gespräch, was für sie wohl alles geklärt hatte, für mich aber verwirrend gewesen war. Unsere Beziehung stand auf der Kippe. Genau wie ihre geistige Gesundtheit. Vielleicht wurde sie vermisst? Aber wo könnte sie denn dann sein? Und wer bitteschön vermisst gemeldet? Sie lebte nun allein und hatte nicht wirklich viele Freunde.
,,Klar..." Der Beamte holte einen Block und einen Stift heraus und schrieb etwas. Dann fragte er: ,,Hatte ihre Frau Tattoos?" ,,Ja hatte sie",antwortete Papa. Mein Blick wanderte instinktiv zu dem Tattoo auf dem Arm meines Vaters. So eins hatte sie an genau dem gleichen Arm auch. Die chinesischen Sternzeichen unserer Familie. Die beiden hatten das Tattoo lang zusammen geplant. Sie hatte es gemalt und er gab Ideen.
Er begann aufzuzählen. Eine Rose vorne auf der Brust, ein Herz auf der Schulter, ein ,Arschgeweih' und das Partnertattoo. Identifikation also. Wurde sie wirklich vermisst? Aber was war denn passiert? Ein Gedanke machte sich in mir breit und ließ mich unruhig werden. Nein das konnte sein. Für sie hatte es doch den Anschein, dass alles gut war, oder? Eigentlich war das doch nicht...
,,Und wie?", feagte mein Vater. ,,Es nichts genaueres bekannt, aber wir vermuten Komplikationen mit ihrem Diabetes." Sie ist tot oder? Diabetes? Ja wenn sie sich zu viel Insulin gespritzt hat, könnte es wie Diabetes aussehen, obwohl ws das nicht war...
Die beiden Beamten verabschiedeten sich. Nachdem mein Vater sie zur Tür gebracht hatte, stand er fassungslos im Türrahmen. Noch bevor ich feagen konnte stammelte er: ,,Sie hat es wahr gemacht..." ,,Nein...", sagte ich. ,,Doch sie hat es wahr gemacht... Sie hat's getan" Somit bestätigte sich mein Gedanke. Sie hatte sich tatsächlich umgebracht. Ihre damalige Drohung ,,Ich werde mich umbringen, wenn du die Kinder mitnimmst" war wahr geworden. Oder war es wirklich ihr Diabetes gewesen?
In meinem tiefsten Inneren kannte ich die richtige Antwort. Und es war keine, die mir gefiel.
DU LIEST GERADE
Kurzgeschichten
Short StoryDieses Buch enthält mehrere voneinander unabhängige Ein-Kapitel-Geschichten, Gedanken oder Szenen, ohne Zusammenhang. Ich werde mit einigen Stilen experimentieren, also seid nicht verwundert wenn es wechselt wie ich schreibe. Das alles kann gerne fü...