4. August

133 29 98
                                    

Am morgen des 4. Augustes hatte mir Ocean endlich offenbart was für ein Spiel gespielt wurde. Das es sich dabei um ein Spiel um Leben und Tod handelte war mir nicht klar.
Oceans Aussage hatte mir die Luft aus den Lungen gedrückt.
Er würde sterben. Viel zu früh.
Es erwischte mich wie eine Sturmwelle und riss mich um.
Er würde sterben. Viel zu früh.
Es sollte nur ein Vorgeschmack davon sein, wenn Oceans Stunde letzte Stunde tatsächlich schlagen würde.
Denn er würde sterben. Viel zu früh.

Ich dachte ich würde mich besser fühlen wenn ich verstand wer Ocean war und was das alles mit mir zu tun hatte, aber jetzt begriff ich, dass ich vielleicht besser auf Ocean gehört hätte.
Er würde sterben. Viel zu früh.
Lief es in Dauerschleife in meinem Kopf.

Nun verstand ich endlich warum er das Schicksal verflucht hatte. Es muss der Moment gewesen sein in dem er begriffen hatte, dass uns zu wenig Zeit vergönnt war.
Denn er würde sterben. Viel zu früh.
Vermutlich konnte ich mich deshalb nicht an ihn und an unserer vorigen Leben erinnern, weil es zu grausam wäre sich von jemanden, den man so gut kannte, für so lange Zeit zu verabschieden. Für ein Leben zu verabschieden. Denn eines ist mir damals klar geworden. Ich würde eine lange Zeit ohne Ocean leben müssen. Da ist es vielleicht tatsächlich noch besser man nimmt mir die Erinnerung.
Vielleicht.
Vielleicht würde es mir heute besser gehen, wenn ich mehr Erinnerungen hätte in denen ich schwelgen könnte, ich weiß es nicht.

Aber eine Frage stellt sich mir dennoch.
Warum stirbt Ocean in den Leben, in den er zu früh stirbt?
Welcher Grund steckt dahinter?
Kann nicht jedes unserer Leben wie unser erstes enden?

All das schwirrte in meinem Kopf herum als ich durch den leicht aufgewärmten Sand in Richtung meines Zuhauses stapfte.
Ich hatte den Ausdruck, der in Oceans Augen lag, nicht länger ertragen. Es zerriss mir das Herz. Nicht einmal die Tatsache, dass ich Ocean in meinem nächsten Leben wieder sehen würde, konnte die Tränen, die in Strömen meine Wangen hinunterliefen, aufhalten. Meine Schluchzer waren bestimmt bis zum Meer hörbar.

Ich kannte Ocean noch nicht sehr lange und trotzdem wusste ich, dass ich nie wieder ohne ihn sein wollte.
Eine Träne kullerte meine Wange hinab.
Aber das Schicksal hatte andere Pläne.

Die Flip-Flops, die ich noch bei mir trug, glitten mir aus der Hand und fielen mit einem dumpfen Puff in den Sand. Ich hatte keine Kraft mehr in meiner Hand. Ich musste auch feststellen wie meine Beine begannen zu zittern und meine Knie bald darauf einknickten. Ich tat nichts um dies aufzuhalten. Ich sank in den Sand. Meine Hände legte ich über meine Augen und versuchte nun nicht mehr der Trauer Einhalt zu gebieten.

Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, dass meine Schluchzer leiser wurden und all die Tränen, die ich besaß, geweint waren. Noch immer in den Sand gekniet saß ich da und ließ den Blick schweifen.
Ich fühlte mich leer. Wie ein Ozean voll Wasser, der einfach ausgetrunken wurde.
Eine Möwe drehte ihre Kreise über mir.
Dieses Gefühl von Leere ist heute lange nach Oceans Tod mein ständiger Begleiter. Wie Ocean es einst war.

Aber am Tag des 4. Augustes hielt das Gefühl von Leere nicht an. Ich hatte mich aufgerappelt, mir den Sand von den Knien geklopft und war noch den kurzen Weg bis zu meinen Haus gegangen. Ich hätte auch in die entgegengesetzte Richtung gehen können.
Zurück zum Meer.
Zurück zu Ocean, der dort bestimmt noch stand.
Aber ich tat es nicht, ich zog mich zurück. Ich zog mich zurück unter eine Decke, weil ich einfach aufwachen wollte. Aufwachen aus diesem grässlichen Traum, den ich glaubte zu träumen.
Aber ich wachte nicht auf.
Denn dies war die Realität. Ich zog die Decke näher an mich.
Ocean würde sterben. Viel zu früh.
In diesem Leben würde es kein und sie lebten glücklich bis an ihr Ende geben. Hätte ich nicht schon alle meine Tränen geweint, wäre mir jetzt eine aus dem Augenwinkel geronnen.
Ich verstand warum Ocean das Schicksal verflucht hatte. Ich verstand es wirklich.

Ocean~Ein Junge wie das MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt