2 | Wo bin ich hier nur gelandet?

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Die große, weite Welt zu bereisen war seit ehedem mein Traum gewesen.

Schon als kleines Mädchen hatte ich mir fest vorgenommen, jedes einzelne europäische Land zu besuchen, und in jeder neuen Nation ein persönliches Souvenir zu erstehen. Ich hatte sogar in meinem Schulatlas meine Reiseziele mit einem pinken Textmarker markiert, worüber weder meine Mum, noch mein Geografielehrer sonderlich erbaut gewesen waren.

Leider war mein Traum auch wirklich nur eine Art Wunschdenken geblieben, da ich unter einer strengen, alleinerziehenden Mutter hatte leiden müssen, die ihr gesamtes Geld in meinen Collegefundus steckte.

Inzwischen war ich dreiundzwanzig, hatte Träume und Wünsche beinahe vollständig abgelegt, und lebte ein (fast) gewöhnliches Leben.

Meine Pläne waren in Vergessenheit geraten.

Als ich jedoch nach einem zwölfstündigen Flug mit einer unbestrittenen Eleganz die Gangway hinunterpurzelte und mein Allerwertester unsanfte Bekanntschaft mit englischem Boden machte, schlich sich die verschüttet geglaubte Erinnerung in meine Gehirnwindungen zurück.

Wolltest du das nicht immer, Alexandra? Reisen? Die Welt sehen?

Jetzt bist du in London.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

Das stimmte. Ich war in London.

"Was grinst du so doof?", riss mich eine genervte Stimme aus meinen Gedanken.

Piper schob sich an mir vorbei, und machte sich nicht einmal die Mühe, mir vom Boden aufzuhelfen.

"Beeil dich, Lex." Mit einer fließenden Bewegung setzte sie sich eine dunkel verspiegelte Sonnenbrille auf die Nase.

Meiner Meinung nach war eine Sonnenbrille nicht die richtige Vorgehensweise, denn seit wir den Atlantik überquert hatten, war die Sonne hinter einer hübschen, dicken Wolkendecke versteckt gewesen.

Englisches Wetter eben.

"Pipes, warte!", jaulte ich, während ich mich vom Boden aufrappelte.

Diese bescheuerte Bodenwelle auf halber Höhe der Gangway hatte es wirklich in sich gehabt.

Eine der Stewardessen warf mir einen mitleidigen Blick zu, schien aber froh zu sein, dass ich nicht länger ihr Problem war.

Meine schlecht gelaunte, beste Freundin war seufzend stehen geblieben, und so war es mir ein Leichtes, sie einzuholen.

"Warum ziehst du eigentlich so ein langes Gesicht?" Ich hakte mich bei ihr ein. "Heute siehst du David wieder und seine Familie!"

Piper schwieg. Bald hatten wir die Auffanghalle von London Heathrow erreicht, und ich sah mich suchend nach unseren Koffern um.

Das Band, welches das Gepäck aus Seattle beinhaltete befand sich am anderen Ende der Halle und war zudem noch von einer Traube verwirrter japanischer Touristen umgeben.

Gepäckausgabe war Krieg.

"Bist du müde?", fragte ich Pipes, die mir immer noch keine Antwort auf meine zahlreichen Fragen gegeben hatte.

Sie zuckte mit den Schultern.

"Sag nicht, dass du langsam kalte Füße bekommst!"

Ich sah sie streng an, und sie schüttelte den Kopf.

"Nein, das ist es nicht." Piper strich sich müde ihr Haar aus dem Gesicht. "Ich liebe David, wirklich. Aber seine Familie kann so verdammt anstrengend sein."

The Best ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt