6 | Sisyphusarbeit vom Feinsten

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Piper spielte gleichzeitig Psychologin und Advocatus Diaboli, während wir zum Anwesen zurückschlenderten.

"Du Arme!", jammerte sie gerade. "Ich fühle mich so schuldig, dich diesem Arschloch ausgesetzt zu haben."

Zwei Sekunden vergingen, in denen ich interessiert die ordentlich angelegten Blumenbeete betrachtete, dann sagte Piper: "Vielleicht ist er gar nicht so schlimm." Sie seufzte. "Ich bin mir sogar sehr sicher, dass er gar nicht so schlimm ist."

Ich verdrehte innerlich die Augen. Das ging jetzt schon seit fünf Minuten so.

"Aber andererseits, der werte Mister Evan hat sich in Schweigen gehüllt, sobald du die Tafel verlassen hast."

Sie blinzelte mich neugierig an, aber ich wusste, dass sie zu stolz und rücksichtsvoll war, um zu fragen, wie Evan mich alleine mit Worten in eine solche Rage versetzen konnte.

"Vielleicht sollten wir ihm einfach eine Chance geben." Sie lächelte unsicher. "Es könnte doch sein, dass unser ablehnendes Verhalten ihm gegenüber seine nonchalante Unhöflichkeit auslöst."

Ich blieb stehen. "Pipes, nein."

"Was nein?"

"Der Typ hat einfach ein Problem mit anderen Leuten." Ich rang die Hände. "Evan ist erste Klasse verhaltensgestört. Ein guter Psychologe ist das einzige, was ihm helfen würde."

Oder vielleicht eine gewisse Amelia?

Ich beorderte mein Unterbewusstsein mit Zähnen und Krallen zurück in den hintersten Winkel meiner Gedankenwelt.

Die Sache mit Amelia warf aber tatsächlich ein ganz anderes Licht auf die Sache.

Evan war nicht länger der Jäger, sondern der Gejagte.

Und ich selber wusste nicht, wie ich damit umgeben sollte.

"Ich werde einfach versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen." Ich warf Piper ein beruhigendes Lächeln zu. "Dann kann gar nichts schiefgehen."

"Bist du sicher?"

"Total." Ha, ha, nein.

Ich versuchte ein überzeugendes Lächeln. "Was steht heute in Sachen Hochzeitsvorbereitungen an?"

"Wir müssen die letzten Einladungen adressieren und abschicken, uns Gedanken über die Blumengestecke machen, den Dresscode bedingt festlegen, das Festessen testen und überlegen, wo wir den Großteil der Gäste unterbringen."

Ich musste lächeln. "Das klingt doch nach einem Haufen Spaß."

Piper sah mich zweifelnd an. "Ich wär' mir da nicht so sicher."

Kaum, dass wir die Vorhalle betreten hatten, kam uns eine völlig aufgelöste Margaret entgegen.

"Aleeeeexandra!", kreischte sie wehklagend. "Ich möchte mich im Namen meines missratenen Sohnes ehrlich und wahrhaftig bei dir entschuldigen. Ich würde wirklich gerne behaupten, er meint es gar nicht so, aber er ist nunmal eine sadistische Brut!"

Wow. Zu so einem Einvernehmnis musste mal als Mutter erst mal kommen.

Ich sah sie etwas verschreckt an, unsicher, was ich sagen sollte.

"Ich weiß auch nicht, warum er so ein Arschloch geworden ist. David ist doch ganz normal!"

"Mutter!", schallte eine verärgerte Stimme durch die Vorhalle.

David kam die geschwungene Treppe herabgelaufen, jeweils zwei Kartons unter seine Arme geklemmt.

"Jetzt sprich nicht so über ihn!", tadelte er seine Mutter. "Evan ist immer noch dein Sohn."

The Best ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt