"Nessa*..." Der Schmerz raubte ihr den Atem, während sie sich mit letzter Kraft an dem Sattel ihres treuen Pferdes klammerte. Die silberweiße Stute, die auf den Namen Nessa hörte, rannte ohne Unterbrechung, und das schon seit einem ganzen Tag. Ihre Flanken zitterten, sie keuchte und ihr Fell war schweißverklebt, doch sie würde erst anhalten, wenn sie ihre Herrin in Sicherheit gebracht hatte. Das Mädchen, dass auf der Stute saß und sich mit letzter Kraft festklammerte, stöhnte immer wieder leise auf vor Schmerzen. Die spitzen Ohren, die unter ihren langen, hellblonden Haaren, die blutverschmiert waren, hervorschauten, zeugten von ihrer Herkunft. Aus einer großen Wunde an der Hüfte floss Blut und auch ihre Arme waren von Schrammen übersäht. Der Schmerz drohte sie zu überrollen wie eine mächtige Woge, sie hatte zu viel Blut verloren auf dem Weg hierher. "Lauf!" Ihre Stimme war nur ein kraftloses Stöhnen, doch die Stute verstand sie instinktiv und nahm ihre letzten Kräfte zusammen. Der Kopf der jungen Elbin sank auf den Hals der Stute, während sie versuchte, gegen die Ohnmacht anzukämpfen. Sie konnte das Pochen ihres Herzens in ihrem Kopf wiederhallen hören, während ihre Sicht verschwamm und ihr Körper sich in den Schutz der Bewusstlosigkeit flüchtete.
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Legolas horchte auf. Da war ein Schrei gewesen! Er war nicht laut gewesen, doch seine feinen Elbenohren trügten ihn nicht. Vorsichtig lief der Prinz in die RIchtung, aus der der Schrei gekommen war, dann hielt er zum wiederholten Male aprupt inne und lauschte. Diesmal war es etwas anderes, was er hörte. Es war der Hufschlag eines Pferdes, der immer näher kam. Wie Donnergrollen klangen die Hufe des Tieres auf dem Waldboden und Legolas sah auf. Wer auch immer hier durch den Wald ritt, derjenige musste sehr schnell sein und keinerlei Rücksicht auf die Büsche und das niedrige Gestrüpp nehmen, das den Boden bedeckte.
Neugier stieg in dem Elben auf und er lief eilig los, dem Trommeln der Hufen entgegen. Das Geräusch wurde immer lauter und Legolas verringerte sein Tempo, während er nach vorne spähte. Keinen Augenblick zu spät, denn in diesem Augenblick erblickte er das weiße Fell eines Pferdes durch die Bäume schimmern, dass sich rasch näherte. Es musste den Elben wohl auch gesehen haben, denn es verringerte sein Tempo und schnaubte nervös.
Der Elbenprinz musterte das Tier, während es trabend näher kam. Sein silberweißes Fell war übersäht mit Schrammen und die Flanken hebten und senkten sich keuchend. Es war ein wertvolles Pferd, ohne Zweifel, die ausgeprägten Muskeln spielten unter seinem Fell, aber das war es nicht, was Legolas Blick auf sich zog. Auf dem Rücken des Pferdes hing eine junge Frau, scheinbar leblos, ihr helles, langes Haar hing ihr ins Gesicht und sie wurde auf dem Pferd durchgeschüttelt.
"Bei den Valar", murmelte Legolas erschrocken und rannte auf das Pferd zu, bis es nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Schnaubend blieb das Tier stehen, die Erschöpfung war ihm deutlich anzusehen, seine Flanken hoben und senkten sich schnell und es keuchte. Blitzschnell war Legolas an der Seite des Tiers und legte ihm beruhigend die Hand auf den Hals. Nervös tänzelnd blieb das Pferd stehen und Legolas Blick wanderte zu der Elbin. Vorsichtig hob er die leblose Gestalt, die aus dem Sattel zu fallen drohte, herunter und legte sie behutsam auf den Waldboden.
Sie war wunderschön, ohne Zweifel eine wohlhabendere Elbin, doch ihre Kleider waren blutdurchtränkt und ihre Haare verklebt. Ihr Gesicht war leblos und schnell legte Legolas ihr eine Hand an den Hals. Lasst sie nicht tot sein, bitte... Nach ein paar Augenblicken, die ihm wie eine halbe Ewigkeit erschienen, spürte er einen schwachen Puls unter ihrer Haut. Erleichtert atmete er auf. Sie lebte noch. Aber wahrscheinlich nicht mehr lange, wenn er sie nicht schnell ins Schloss brachte.
Entschlossen holte er Luft und pfiff laut. Es dauerte nicht lange und Aranel kam zwischen den Bäumen auf ihn zugelaufen. Schnaubend blieb er neben ihm stehen, während die weiße Stute vorsichtig etwas zurückwich. Der Elb schob er einen Arm unter den leblosen Körper der Elbin und hob sie vorsichtig hoch. Sie war leicht wie eine Feder und er schaffte es, sie auf seinen Hengst zu setzen. Er selbst griff sich erst die Zügel ihres silberweißen Pferdes, welches ihm brav folgte, dann schwang er sich hinter der Elbin auf seinen Hengst und legte die Arme um sie, damit sie nicht herunterfiel.
"Los!" Die Stute hob den Kopf, ehe beide Pferde losliefen. Der Hengst schien die Sorge seines Herren zu spüren, denn er galoppierte in solch einem Tempo, dass Legolas Mühe hatte, die Elbin festzuhalten. Das Pferd der Elbin verringerte ebenso nicht das Tempo, obwohl ihm die Erschöpfung deutlich anzusehen war.
Es dauerte nicht lange, bis sie das Schloss erblickten. Die Wachen öffneten sofort die Tore und ohne das Tempo zu verringern ritt Legolas bis zum Stall vor. Dort ließ er sich aus dem Sattel gleiten und hob die Elbin vorsichtig von Aranel. So schnell er konnte, lief er in den Palast, die Elbin behutsam an sich gedrückt. Im Vorbeigehen rief er einem Diener zu, sich um die Pferde zu kümmern, dann lief er zielstrebig zu dem großen Raum, in dem sich die Heiler aufhielten. Ein Kräuterduft umfing ihn, als er den Raum betrat und zielstrebig zu eine der großen Liegen lief, wo er die Elbin ablegte. Sofort kamen mehrere Heiler und umringten die Liege, aufgeregt flüsternd.. "Sie ist schwer verletzt! Ich habe sie im Wald gefunden, sie atmet nur noch ganz schwach. Bitte, helft ihr!", keuchte Legolas eindringlich und ein Heiler nickte, schob den Elben sanft beiseite und beugte sich zu der Elbin auf der Liege.
Langsam entfernte sich Legolas, hier konnte er nichts tun. Immer noch schnell atmend lehnte er sich an die Wand des Raumes und wartete. Seine Gedanken rasten, während sein Puls sich langsam wieder normalisierte. Was war mit ihr passiert, dass sie so aussah? Schon lange war hier nichts außergewöhnliches passiert, was also hatte sie erlebt? Neugier mischte sich zu seiner Sorge und er seufzte ungeduldig. Es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit, doch endlich kam der oberste Heiler zu ihm. Ruhig sah er ihn an, während der Elbenprinz sich von der Wand abstieß und eilig auf ihn zulief. "Wie geht es ihr? Ist sie...", er verstummte, doch der Heiler lächelte leicht. "Sie wird es schaffen. Sie hat viel Blut verloren, aber es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Wenn ihr möchtet, könnt ihr jetzt zu ihr. Sie wird wahrscheinlich bald aufwachen." Legolas seufzte erleichtert auf und schob sich an dem Heiler vorbei zu der Liege, auf der die Elbin lag.
Jetzt, wo sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, betrachtete er die Elbin genauer. Sie hatte ein ebenmäßiges, weißes Gesicht mit sanften, rötlichen Lippen. Ihr Haar war hell und lang und fiel ihr über die Brust. Sie war schlank und etwa einen halben Kopf kleiner als Legolas. Ein Verband war um ihre Hüfte gewickelt und die Kratzer an ihren Armen waren mit Salbe bestrichen. Ihre Brust hob und senkte sich schwach, aber sie öffnete die Augen nicht.
Der Prinz wendete den Blick von ihr ab und überlegte. Wo sie wohl herkam? Sie sah aus als wäre sie in einem Kampf verwickelt gewesen, doch hier im Düsterwald herrschte Frieden, solange sein Vater herrschte. Bei dem Gedanken an seinen Vater hob er den Kopf. Er musste ihm Bericht erstatten, damit er entscheiden konnte, was nun passieren sollte. Nur zögerlich wandte der Elb den Blick von der schlafenden Gestalt ab. "Ich bin bald wieder zurück.", murmelte er, dann stockte er. Hatte er gerade mit einer ohnmächtigen Elbin gesprochen? Energisch atmete er aus und schüttelte den Kopf, um die verwirrenden Gedanken zu verjagen. Vielleicht weil er so sehr hoffte, dass sie aufwachte, damit er erfahren konnte, was ihr zugestoßen war...
Seufzend wandte er sich von der Elbin ab und lief aus dem Raum. Er lenkte seine Schritte zügig in Richtung Thronsaal, um seinem Vater Bericht zu erstatten.
*Königin des Frühlings
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Ein Herz aus Eis
Fantasy𝐓𝐡𝐫𝐚𝐧𝐝𝐮𝐢𝐥 𝐅𝐅 Nach dem Tod seiner geliebten Frau ist Thranduil, der Elbenkönig des Düsterwaldes von Trauer betäubt. Die einsamen Jahre danach lassen sein Herz kalt und hart werden und das Reich in Dunkelheit versinken. Doch eines Tages beg...