Als er wieder ins Bett gekrochen war lag Kenma zusammengerollt auf einer Seite des Bettes und schlief friedlich. Er legte sich so weit es ging an die Bettkante und versuchte den warmen Körper neben sich möglichst zu ignorieren. Nach einer Weile fiel er in einen unruhigen Schlaf. In seinen Träumen streifte er noch einige Male durch den Dschungel des Amazonas, zu einer Begegnung mit der eleganten Raubkatze oder der blassen Gestalt kam es jedoch nicht mehr. Als ein schrilles Klingeln ihn am nächsten Morgen weckte fühlte er sich wie gerädert. Neben ihm raschelte das Laken. Er schlug verschlafen die Augen auf und blickte in Richtung der Quelle des Geräusches. Aus einer zerwühlten Decke blitzte ein Wust aus blonden Haarsträhnen hervor. Der Dunkelhaarige musste trotz seines erschöpften Zustandes grinsen. „Kenma, aus den Federn!“, flötete er nervtötend fröhlich. Als Antwort erhielt er nur ein unzufriedenes Brummen. „Na, na, wer ist denn da an so einem herrlich sonnigen Morgen schlecht gelaunt?“ Die Tonlage hatte er auf Mary-Poppins-Level angehoben und mit einer übertrieben auslandenden Bewegung zog er dem Jüngeren die Decke schwungvoll vom Körper. Dieser lag zusammengekauert auf der Matratze und funkelte seinen Freund aus verschlafenen Augen böse an. “Lass mich...”, nörgelte der Zuspieler säuerlich, begann dann jedoch sich aufzurappeln. Einige Minuten später saßen sie gemeinsam mit Herrn und Frau Kozume am Frühstückstisch. Der Jüngere kaute auf einer Scheibe Toast mit Butter herum, während er auf das Handy in seiner anderen Hand starrte. Morgens war mit ihm nicht viel anzufangen. Selbst seine Mutter hatte es aufgegeben ihren Sohn zu ermahnen, “das verdammte Ding” bei Tisch wegzulegen. Kuroo unterhielt sich zur Entschädigung mit ihr über das anstehende Straßenfest der Nachbarschaft und mögliche Farben für einen Yukata, den sie sich hierfür kaufen wollte. Herr Kozume linste ab und zu verstohlen über den Rand seiner Zeitung und schien sich stumm bei dem großen Mittelblocker bedanken zu wollen, so bliebe ihm dieses Gespräch schonmal erspart. Nach dem leichten Frühstück machten sich die beiden Freunde auf zum Morgentraining. Früh morgens war es noch recht kühl und beide hatten lange Jogginghosen angezogen und den Reißverschluss ihrer Trainingsjacken zugezogen. Der Kleinere war sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Aus seinem aufgestellten Kragen lugte nur der obere Teil seines Kopfes heraus und die Ärmel der Jacke waren vollständig über die Finger gezogen. Dennoch brachte er es fertig, die Knöpfe seiner Spielekonsole zu bedienen. Der Ältere betrachtete ihn fasziniert. Würde er doch nur so viel Zielstrebigkeit auch im Training zeigen. Kurz bevor sie das Schultor erreichten grummelte der Blonde unzufrieden und steckte sich die Konsole in seine Jackentasche, offensichtlich hatte er das Spiel verloren. Sein Blick huschte zu dem Größeren. “Trainierst du heute mit?” Die Frage überraschte den Teamkapitän. “Warum denn nicht?” Die bernsteinfarbenen Augen suchten die Hände des anderen. “Wegen deinem Finger. Den solltest du besser ein paar Tage schonen.” “Hah!” Kuroo verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und reckte das Kinn in die Höhe. “Als ob ich mich davon unterkriegen lassen würde. Aber vielleicht hast du recht und ich sollte die Blocks heute mal sein lassen. Dann könnte ich mal wieder an meinen Annahmen arbeiten. Wie schaut es aus? Hilfst du mir dabei?” Der Zweitklässler nickte knapp. Seine Züge hatten sich ein klein wenig aufgehellt. Hatte er sich etwa Sorgen um ihn gemacht? Süß. Die Wangen des Dunkelhaarigen nahmen eine leichte Rosafärbung an, er schaffte es jedoch sich nichts weiter anmerken zu lassen.
Während des Trainings schlüpfte er ganz in die Rolle des verantwortungsbewussten Teamkapitäns. Er besprach mit Yamamoto dessen neuen Trainingsplan, arbeitete gemeinsam mit Kenma und Nobuyuki an seinen eigenen Annahmen und schnauzte Lev zusammen, der sich heimlich vor genau diesem Training drücken wollte. Nachdem alle Gerätschaften wieder an ihren vorgesehenen Plätzen verstaut waren setzte er sich gemeinsam mit dem blonden Zuspieler auf die Wiese hinter der Sporthalle und diktierte ihm seine Notizen zum heutigen Training. Als sie fertig waren hatten die beiden Freunde noch eine Viertelstunde Zeit, bevor sie sich zu ihren Klassenzimmern für die erste Unterrichtsstunde begeben mussten. Der Drittklässler streckte die Beine aus und ließ sich rücklinks ins weiche Gras fallen. Den linken Arm hinter dem Kopf zu einer Art Kissen verschränkt und den rechten auf seinem Bauch abgelegt, genoss er die sanfte Brise, die über sie hinweg wehte. Vögel zwitscherten aufgeregt und das Gras raschelte leise, wann immer der Wind darüberstrich. Der Jüngere hockte mit angezogenen Beinen neben ihm, hatte die Hände auf seine Knie gelegt und das Kinn darauf platziert. Sein Blick war auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. “Kuroo? Wie geht es deinem Finger?”, kam es leise genuschelt nach einer Weile von ihm. Der Angesprochene wand den Kopf erst zu ihm und blickte dann auf seine bandagierte Hand. “Pocht ein bisschen, aber ansonsten ist alles gut.” “Vielleicht solltest du ihn besser noch mal kühlen.” Der Dunkelhaarige grinste. “Ach was, das geht schon wieder weg. Was mir wirklich helfen würde wäre, wenn du mir ein Bussi auf die Stelle gibst und die Schmerzen wegpustest”, scherzte er lachend. Es raschelte neben ihm. Der Blonde hatte sich neben ihn gekniet und nach seiner auf dem Bauch abgelegten Hand gegriffen. Vorsichtig hielt er sie zwischen seinen kühlen Fingern, beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf die Bandage. “Heile, heile Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Sonnenschein, dann wirds wieder besser sein”, flüsterte er gegen das verletzte Fingerglied, pustete einmal sanft und legte die Hand dann wieder auf den Bauch des Größeren. Mit ausdrucksloser Miene betrachtete er ihn. “Besser?” Kuroo war der Mund aufgeklappt und er starrte seinen Freund ungläubig an. Langsam sickerte das gerade Geschehene in sein Bewusstsein und seine Gesichtsfarbe wechselte in ein Kirschrot. Bei dem Anblick des verschämten Ausdruckes des großen Mittelblockers färbte sich auch das Gesicht des Kleineren rosa und er wand den Kopf schnell ab bevor er auf die Beine sprang. “Es klingelt gleich, wir sollten los”, nuschelte er in seinen Kragen und stapfte schnellen Schrittes davon, seinen Freund immer noch mit herunterhängendem Kiefer auf der Wiese sitzen lassend. Dieser verharrte noch einige Augenblicke wie angewurzelt in der Position, bevor er zuerst auf seinen verletzten Finger schaute und sich dann mit der linken Hand durch das zu allen Seiten abstehende Haar fuhr. Er konnte sich nicht einmal fragen, was das gerade war, so perplex blieb er zurück. Hatte Kenma ihm gerade wirklich sein “Aua-Weh” weggeküsst? Er vergrub das Gesicht in beiden Händen. Vorsichtshalber, damit niemand seinen Gesichtsausdruck sehen konnte, von dem er gerade nämlich selber nicht so genau wusste, wie er aussah. Irgendwas zwischen überrascht, verwirrt und einem dämlich unterdrückten Grinsen. Als er seine Mimik wieder unter Kontrolle zu haben glaubte richtete er sich schwermütig seufzend auf und schlurfte ebenfalls zum Schulgebäude. Er musste es sich wohl endgültig eingestehen, er war in seinen jüngeren Freund verliebt. Oder zumindest fühlte er sich äußerst zu ihm hingezogen. Wenn er jetzt an die Situation von eben dachte hätte er den Kleineren im Nachhinein am liebsten in seine Arme gezogen und dessen Lippen von der Bandage weg hin zu seinem Mund geführt. Sie hatten schon gemeinsam in den Waschräumen der Sporthalle geduscht, in einem Bett geschlafen, der kleine Zuspieler verwendete ihn regelmäßig als sein persönliches Kopfkissen, er wusste also, wie fast jeder Winkel des blassen Körpers aussah und sich anfühlte. Einen Kuss hatten sie jedoch noch nie ausgetauscht. Nachdenklich strich er sich mit den langen Fingern über die Lippen. Wie würde sich das anfühlen? Der Mund des Zweitklässlers war klein, er würde ihn sicher nur federleicht auf seinen legen. Wenn er versuchen würde mit der Zunge seine Lippen zu spalten und in ihn zu dringen würden die Mundwinkel des Blonden vor Speichel feucht glänzen. Der Dunkelhaarige schluckte trocken und drückte seine rechte Hand fest in die Jackentasche, um sich von dem Schmerz ablenken zu lassen. Das hier war jetzt sicherlich nicht der richtige Ort und schon gar nicht die richtige Zeit erotischen Phantasien mit seinem Kindheitsfreund hinterher zu hängen. Im Klassenzimmer angekommen ließ er sich schwer auf den Stuhl an seinem Platz fallen und kramte das Englischbuch aus den Tiefen seiner Tasche. Lustlos blätterte er durch die vollgeschriebenen Seiten bis zu der Stelle, an der sie in der letzten Unterrichtsstunde aufgehört hatten und starrte dann an die Tafel. Seine Gedanken verloren sich irgendwo in dem Dunkelgrün und den sich darauf befindenden weißen Schlieren. Waren seine Gefühle gegenüber Kenma problematisch? Er war eigentlich nicht der Typ, sich in emotionalen Sachen zurück zu halten. Wenn ihm etwas im Team nicht passte sprach er es an und wenn ihm ein Mädchen gefiel fragte er sie ohne große Umschweife, ob sie mit ihm ausgehen wolle. So war er nun mal. Aber mit dem blonden Zuspieler stellte sich die Sache deutlich komplizierter dar. Zum einen waren sie Kindheitsfreunde. Es käme einem Überfall gleich, den Jüngeren ohne jegliche Vorbereitung damit zu konfrontieren. Zum anderen, und das war vermutlich das deutlich größere Problem, waren sie beide männlich. Der große Mittelblocker hegte keinerlei Vorurteile gegenüber Personen mit anderen sexuellen Präferenzen, jedoch wusste er nicht, wie dies bei seinem Freund aussah. Und selbst wenn dieser dem Thema ebenfalls offen gegenüberstand, wusste er dennoch nicht, ob er sich selbst auf eine solche Beziehung einlassen wollte. Wenn er so darüber nachdachte, blieben ihm zwei Optionen. Entweder er versuchte sich nichts anmerken zu lassen und ließ die ganze Sache auf sich beruhen, was vermutlich mit einem deutlichen Leistungsabfall sowohl im schulischen Bereich als auch beim Volleyball verbunden wäre, oder, er versuchte unauffällig herauszufinden, ob der Zweitklässler sich auf eine Beziehung mit ihm einlassen würde, die über ihre normale Freundschaft hinaus ging. Die Mundwinkel des Dunkelhaarigen zuckten. Jetzt, wo er einen Plan gefasst hatte, fühlte er sich deutlich energiegeladener und freute sich schon fast auf die bevorstehende Herausforderung.

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But you're special (KuroKen)
FanfictionDer letzte Tag des Trainingscamps in Tokio, alles geht seinen gewohnten Gang. Auch die Spieler der Nekoma-Oberschule genießen mit den anderen Teams das ausgiebige Barbecue. Nur einer ist zu gefesselt in seiner digitalen Welt, um die Freuden des Flei...