Tamina
Es spielt sich alles wie in Zeitlupe ab. Der markerschütternde Schrei von meinem Kleinen, welcher die Welt wie eine scharfe Schere in zwei Teile teilt. Sein Fuß, der nach festem Untergrund suchend in der Luft schwebt und schließlich seine kleinen Hände, welche hilfesuchend und voller Angst in der Luft strauchelnd eine andere Hand greifen.
Warte was?
Ich schrecke aus meiner Schockstarre raus und bekomme mit, wie sich Keys kleine Finger um die Hand von einem Mann legen. Die Hand von Lewis. Lewis stürzt, fällt aus seinem Rollstuhl, doch hält er Key umschlossen als würde sein Leben davon abhängen.
Ich brauche mehr als nur einen Moment um das alles zu realisieren. Kein kleiner Spatz wird von meinem Kanarienvogel vor dem mehr als sicheren Tod bewahrt. Aber was macht er hier? Wieso sind wir immer im gleichen Moment am selben Ort? Wie sollen wir ihm wieder in seinen...
"KEYDEN", kommt ein Schrei von Roberto, der nun auch die Situation begriffen haben muss.
"Bist du eigentlich total verrückt? Du kannst doch nicht einfach ohne jemand Erwachsenen an der Klippe rumlaufen. Hast du mal nach unten geschaut? Du hättest tot sein können! Und du Tamina, bist du noch bei allen guten Geistern? Wieso hast du nicht aufgepasst? Du hättest fast meinen Sohn auf dem Gewissen. "
"Guter Herr bitte beruhigen Sie sich. Es ist doch alles gut ausgegangen. Jeder Mensch ist mal in Gedanken und der Kleine hier lebt ja zum Glück noch. Also bitte geben Sie weder Ihrem Sohn noch Ihrer Frau die Schuld an diesem Unglück. Das war eine Verkettung vieler blöder Missgeschicke", schaltet sich Lewis auf dem Boden liegend ein.
Doch folgen kann ich ihm maximal mit einem Ohr.
'Du hättest fast meinen Sohn auf dem Gewissen.'
Meinen Sohn.
Nein
Das kann nicht wahr sein. Das muss sich alles um ein Missverständnis handeln.Doch weiter kann ich nicht darüber nachdenken weil sich Key mit Tränen in den Augen in meine Arme wirft.
"Momi wieso ist Papa so gemein? Ich kann doch gar nichts dafür."
"Shh ganz ruhig", streichle ich ihm beruhigend über den Kopf. "Er meint das nicht so, er hat sich bestimmt nur erschrocken. Aber lässt du mich mal kurz los und gehst du Lewis? Ich muss schnell mal mit Roberto reden."
Damit geht er wieder zu Lewis, welcher ihm über den Kopf streichelt und die Tränchen trocknet.
"Roberto?"
"Oh Gott Tamina es tut mir so leid. Ich war so in Rage und..."
"Nein Roberto. Lass mich reden."
Er schaut mich verwundert an. Auch Lewis Blick liegt auf uns.
"Dein Sohn? Roberto dein Sohn?"
Ihm scheint der Groschen gefallen zu sein.
"Du weißt ganz genau, dass Key nicht dein Sohn sein kann", bringe ich unter Tränen hervor.
"Oh Gott nein Tamina so meine ich das natürlich nicht. Das sollte nicht so rüberkommen als wenn... Ach egal. Natürlich ist er nicht mein Sohn aber ich habe ihn natürlich absolut so lieb wie einen richtigen Sohn. Deswegen meinte ich 'mein Sohn'. Nur deswegen. Du glaubst mir doch Tamina oder? Sag mir, dass du mir glaubst", redet er mich mit wirren Aussagen voll.
'Absolut', schon wieder. Das war das zweite Mal, dass er dieses Wort benutzt hat.
Mehr als misstrauisch begebe ich mich zu meinem Kleinen und Lewis, welcher mich mit ziemlicher Besorgnis in seinem Blick anschaut.
"Alles okay Tami?"
Ich nicke
"Ihr kennt euch?", fragt Roberto misstrauisch.
"Lange Geschichte", antworte ich ihm nur schlicht.
"Ich weiß gar nicht wie ich mir bedanken soll Lewis. Key hätte sterben können. Und du riskierst dein Leben für seins. Wie soll ich mich jemals bei dir bedanken? Aber andere Frage. Wie geht es dir? Oh mein Gott tut dir irgendwas weh? Du musst schnell wieder in deinen Rollstuhl."
"Tami Taminchen, ganz ruhig. Mit geht es gut und du muss dich auch nicht bedanken. Es ist alles gut, das war doch selbstverständlich. Jetzt beruhig dich erstmal und dann schauen wir weiter. Ich bin nicht gelähmt oder so, es müsste also kein Problem sein, mich in den Rollstuhl zu bekommen."
"Gott Lewis ich bin dir so unendlich dankbar." Ich falle ihm in die Arme, Roberto mustert mich misstrauisch.
"Wie bekommen wir dich wieder in Stuhl?", frag ich ihn spaßig, um die Stimmung aufzulockern.
"Lass ich mal probieren aufzustehen."
"Was? Darfst du das überhaupt? Ich meine du kannst doch deine Beine nicht bewegen."
"Ja das stimmt aber das ist tatsächlich gar keine so große Sache. Es ist 'nur' ein Nerv eingeklemmt, welchen aber absolut kein Arzt wieder rausbekommt. Die Ärzte geben die Hoffnung auf, dass er sich jemals wieder löst aber ich glaube fest daran. Also lass es mich einfach mal probieren. Hilfst du mir eben?"
Ich reiche ihm meine Hand, auf welche er sich stützen kann. Und so surreal wie das ganze jetzt auch ist, so unwahrscheinlich wie nen Sechser im Lotto: nach ein paar Versuchen steht er wackelig auf beiden Beiden.
"Anscheinend hatte der Sturz was gutes", sagt er mit einem Lächeln.
"Wie... Wie geht das?", frage ich mehr als baff.
"Ich weiß auch nicht, der Sturz hat das geschafft, was kein Arzt geschafft hat. Aber ich glaube ich setze mich trotzdem nochmal hin, die Muskeln sind ja nun nicht wirklich mehr vorhanden so wackelig wie ich stehe."
Irgendwann haben sich alle wieder gefasst und wir begeben uns zu vier auf den Rückweg zum Campingplatz. Key und Lewis unterhalten sich angeregt, Roberto ist sehr still.
"Mama, ich muss aufs Klo", kommt es von Key.
"Weißt du Key, hier darfst du nicht in die Natur weil es ein Naturschutzgebiet ist. Aber vielleicht kannst du schon mal mit Roberto vorgehen."
"Ja natürlich, kein Problem", schreckt Roberto aus seinen Gedanken hoch, nimmt Keyden an die Hand und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe.
"Pass auf dich auf mein Schatz."
Dann gehen die beiden vor, ich bleibe mit Lewis zurück und kann es immernoch nicht glauben, dass sich unsere Wege wieder gekreuzt haben.
"So Tami, und du erzählst mir jetzt bitte die ganze Geschichte. Ich merke doch, dass da was im Busch ist. Wir sind unter uns, haben Zeit also los, bitte rede mit mir."
Schwer atme ich aus.
"Es war vor vier Jahren...
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The new beginning
RomanceUnd dann bemerkst du plötzlich, dass dein größter Feind zu deinem engsten Vertrauten geworden ist. Unbewusst, unbemerkt, angelogen. Dieses Schicksal wiederfährt der jungen Studentin Tamina. Nach einer schweren Vergangenheit trifft sie plötzlich auf...