Tallis

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Die nächsten drei Tage stand ich neben mir.

Rondra löcherte mich mit Fragen über meinen Bruder. Ich beantwortete ihr alles was sie wissen wollte, mit abwesender Stimme. Jeder Moment fühlte sich an wie eine Ewigkeit, einzig die kostbaren Augenblicke, die ich mit Kailan verbrachte, vergingen wie in einem Wimpernschlag.

Abends, wenn er von der Arbeit zurückgekehrt war, redeten wir bis tief in die Nacht über die Verdächtigen.

Er konnte mich schließlich überzeugen, dass Schotiji zumindestens nicht alleine die Herrin ermordet haben konnte. Ihm war wieder eingefallen, dass sie am Tag des Geschehens, die ganze Zeit in der Küche gewesen war. Schließlich verließ sie die Küche praktisch nie und wenn doch wäre es dem zuständigen Wachen, Rondra oder jemand anderem aufgefallen.

Ich argumentierte, dass der Wache doch auch mit ihr unter einer Decke gesteckt haben könnte, doch er sagte es wäre trotzdem wahrscheinlicher, dass sie jemand anderen die Arbeit hatte erledigen lassen. Für die Entführung einer Frau mitten in der Stadt, am hellichten Tag bräuchte man irgendeine Art von einem Fortbewegungsmittel. Am besten eine Sänfte oder eine Kutsche. Zu so etwas hatte sie keinen Zugang.

,,War der Komplize ein Fremder?" Fragte ich nachdenklich. ,,Ein zwielichtiger Mann der ihr half, da sie ihm Geld versprach?"

Kailan zog mich enger an sich. Ich saß auf seinem Schoß, mit dem Rücken an seiner Brust.

Sicher, so etwas ziemte sich nicht, aber wann immer Kailan und ich zusammen waren, war ich keine Sklavin und er nicht mein Herr.

,,Es könnte sein, doch ich habe Zweifel. Wie sollte sie diese Leute kennenlernen? Sie geht nur aus dem Haus um einzukaufen und solche Leute lernt man nicht auf dem Markt kennen. Ich glaube, sie könnte nur mit Anderen aus diesem Haus zusammengearbeitet haben."

,,Woher weißt du, wo man solche Leute kennenlernt? Wer sagt, dass sie sie nicht doch beim Einkaufen aufgesucht hat?"

Er lachte leise und zog mir an meinen Zopf den Kopf in den Nacken. ,,Weil meine Arbeit darin besteht, solche Leute aufzusuchen. Man findet sie nur, wenn man weiß wo man suchen muss, Glaub mir."

Ich zögerte. ,,Der Ort, wo wir uns zum Ersten Mal gesehen haben, das Bordell... War das so ein Ort wo man solche Leute finden konnte?"

Er wiegte den Kopf hin und her. ,,Wie gesagt, ich war damals zum ersten Mal dort. Doch, ich denke schon. Die Gruppe, mit der ich dort war, kannte ihn schließlich, welche Leute ihn kennen, sagt eine Menge über einen Ort aus."

,,Findest du?" Nervös knotete ich meine Finger. Ich wollte ihm schon länger etwas sagen. ,,In jedem Fall, danke das du deinem Vater von diesem Ort und von mir erzählt hast. Sonst wäre ich wohl immer noch dort."

Er grinste und sagte nur. ,,Das ist kein Grund mir zu danken."

Nach drei Tagen war das Warten endlich vorbei, ohne dass mich irgendjemand vorgewarnt hatte. Ich hörte wie abends die Tür geöffnet wurde und wollte wie sonst auch zum Eingangsbereich gehen und Kailan und den Herrn, vorallem aber Kailan begrüßen, als mir auffiel, dass dort drei Personen standen.

Wie in Trance bewegte ich mich zu ihnen.

Der Junge hatte blaugrüne Augen, die unserer Mutter. Nicht wie ich, die die efeugrünen Augen unseres Vaters hatte. Seine Haare waren dunkelbraun wie meine, aber seine waren glatt und nicht gewellt. Er war gewachsen, doch erst nach dem Winter würde er dreizehn werden. Seine helle Haut war braun gebrannt, er trug ein typisches Dunja-Gewand in bunten Farben.

Langsam ließ ich die Augen über seine vertraute Gestalt wandern. Er hatte sich verändert, doch jeder Punkt in diesem Gesicht, das dem meinen so ähnlich war, war mir vertraut. Wie in Zeitlupe hob er das Kinn und sah mich an. Mir rann eine Träne über die Wange, in seinen Augen schimmerte es, doch er weinte nicht. Schon immer hatte er Weinen als ein Zeichen von Schwäche angesehen. ,,Tialda?!"

,,Tallis!" Schluchzte ich und fiel ihm endlich um den Hals. Voller Angst er könnte verschwinden, betastete ich seine Schultern. Doch er blieb direkt vor mir stehen, alles an ihm war warm und lebendig und echt.

Seine Arme waren knochiger geworden und auch seine Wangenknochen stachen mehr hervor. Ich schob ihn ein Stück von mir und musterte ihn besorgt. ,,Du bist dünner geworden! Wie geht es dir? Wie geht es Mutter? Was ist mit euch beiden passiert? Wo musstet ihr arbeiten?"

,,Mir geht es gut. Warum bin ich hier, warum bist du hier? Die Männer haben nicht gesagt das du hier bist." Seine Stimme klang erstickt. Ich hatte in Leweinit gesprochen, doch er hatte auf Dunja geantwortet.

,,Sprichst du kein Leweinit mehr? Hast du es verlernt?"

Er wechselte zu unserer Sprache. Seine Stimme klang stockend, als wären die Worte ungewohnt. ,,Doch, doch ich kann es noch. Wo denkst du hin."

Ich fiel ihm erneut um den Hals, er wischte mir die Tränen aus den Augen. ,,Nicht weinen, Tialda."

Wie erwachsen er schon geworden war. Ich tupfte meine Augen ab und wandte mich etwas gefasster an meinen Bruder. ,,Erzähl. Was ist passiert seit wir getrennt wurden?"

,,Nun, Mutter und ich wurden zusammen verkauft, irgendwo hingebracht und mussten dann helfen eine Straße zu bauen." Ich schlug die Hände vor den Mund. Das war harte Arbeit. Er war doch erst 12!

,,Dann kam heute Morgen ein Mann, hat mit den Aufpassern geredet und mich zu den Beiden dort gebracht." Er deutete auf Kailan und den Herrn, deren Anwesenheit ich fast vergessen hatte. ,,Wir sind den ganzen Tag geritten und kamen schließlich in diese riesige Stadt. Das ist Dun, nicht war?"

Ich nickte und strich ihm über den Kopf. Die Sonne hatte einige Strähnen seiner Haare gebleicht. ,,Und was ist mit Mutter?"

Er zögerte.

Langsam ließ ich ihn los. ,,Tallis! Was ist mit Mutter?"

Er sah zu Boden. ,,Sie ist tot."

Ich merkte noch wie mir die Knie einknickten und Kailan an meine Seite hechtete. Dann wurde alles schwarz.

TialdaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt