Geschwisterliebe

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Als ich langsam wieder zu Bewusstsein kam, blickte ich an eine Decke, die mit einem Mosaik verziert war.

Ich erkannte einen großen, bunten Blumenstrauß, aus hunderten der kleinen Steinchen. Der Hintergund war hellblau mit weißen Wolken. Der Himmel. Was tat ein Blumenstrauß vor dem Himmel?

,,Tialda?"

Ich drehte den Kopf zur Seite und erblickte die Gesichter von Tallis und Kailan. Beide wirkten besorgt.

,,Du bist ohnmächtig geworden. Was hat dein Bruder dir gesagt?" Fragte Kailan und beugte sich vor.

Ach stimmt ja, er hatte es nicht verstanden.

,,Ich hab ihr gesagt, dass unsere Mutter tot ist." Sagte Tallis, stieß Kailan zur Seite und nahm meine Hand. ,,Aber du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde ab jetzt auf dich aufpassen!"

Auf meiner Stirn lag etwas nasses, ich tastete mit meiner anderen Hand danach. Es schien ein feuchter Stofflappen zu sein.

,,Auf sie aufpassen? Na, das kann sie gut alleine." Murmelte Kailan und strich über seine Kehle.

Vorsichtig richtete ich mich auf, ich befand mich auf meiner Liege in Rondra's Gemächern.

,,Tallis, Nein!" Sagte ich entschieden. ,,Du musst nicht auf mich aufpassen, denn du musst dich geirrt haben. Mutter kann nicht tot sein."

Er sah mich fassungslos an. ,,Oh doch. Das ist sie. Sie hat versucht zu fliehen, am zweiten Tag schon, und dann haben die Aufseher sie getötet."

Nein. Es konnte nicht wahr sein.

Ich richtete mich auf und schenkte meinem Bruder ein Lächeln. ,,Reden wir nicht mehr davon. Es wird Zeit, dass du Rondra kennenlernst."

,,Nein! Tialda, hör doch! Sie ist tot! Die Dunja haben sie uns auch noch genommen." Aus seiner Kinderstimme triefte der Hass.

,,Nein!" Sagte ich energisch und raffte mich auf. Das was er gesagt hatte konnte nicht sein. Er musste falsch liegen. Ich wollte nicht darüber nachdenken.

,,Kannst du wieder laufen?" Fragte Kailan und wollte nach meinem Arm greifen. Ich lehnte ihn ab. Plötzlich war ich hektisch. ,,Ja, danke. Wie bin ich eigentlich hier hoch gekommen?"

,,Er hat dich getragen." Meldete sich Tallis zu Wort und betrachtete Kailan mit tiefster Ablehnung.

Wir fanden Rondra alleine im Esszimmer sitzend, ihr Vater war wohl schon in seinen Gemächern. Der Tisch war abgedeckt, anscheinend hatte die Familie schon gegessen. Wie lange war ich bloß ohnmächtig gewesen?

,,Da bist du." Sagte meine Herrin und erhob sich langsam, ohne den Blick von Tallis zu nehmen. Dieser stierte feindselig zurück. Ich rang mir ein Lächeln ab. ,,Ja. Nun, Herrin, dies hier ist Tallis. Ich schätze du hast ihn vorhin schon für kurze Zeit gesehen."

Sie nickte und näherte sich meinem Bruder, wie ein Tier sich seiner Beute nähern würde. Tallis zupfte mich am Ärmel und fragte auf Leweinit. ,,Wer ist das? Warum sagst du ihr meinen Namen?"

,,Psst." Machte ich. ,,Ihr Name ist Rondra und du wirst ab jetzt ihr neuer Spielkamerad sein."

Seine Kinnlade fiel herunter. ,,Was?"

Ich erklärte ihm kurz was es damit auf sich hatte, dass ich hier eine Sklavin war und Rondra einen Spielkameraden haben wollte, weshalb ich ihn vorschlug und er hier hergebracht worden war.

Sein Gesicht wurde so kalt und hart wie Marmor. ,,Warum hat mich niemand gefragt? Warum hast du mich nicht gefragt? Ich... Ich soll ein Spielkamerad sein, für dieses Mädchen dort?!"

Befremdet beobachtete ich seine Reaktion. ,,Wie hätte ich dich fragen sollen? Freust du dich nicht? So können wir uns jeden Tag sehen und du musst keine Straßen mehr bauen."

Entgeistert sah er mich an. ,,Freuen soll ich mich? Worüber? Darüber das ich nun ein lebendiges Spielzeug für eine von den Dunja sein soll? Lieber hätte ich Straßen bis zum Ende des Himmels gebaut!"

War das wirklich mein kleiner Bruder? Diese Worte passten nicht zu ihm, genauso wenig wie der harte Gesichtsausdruck. Ich erkannte ihn nicht wieder.

,,Hast du schon vergessen, was die Dunja uns angetan haben?" Voller Verachtung sah er mich an. ,,Oder bist du jetzt selbst eine von ihnen? Mit deinen geflochtenen Haaren und Haarklammern."

Ich konnte ihn nur geschockt anstarren, als er mit seinen kleinen Händen nach meinem Zopf griff und das Band löste. Was war passiert, dass mir mein eigener kleiner Bruder so fremd war?

,,Worüber redet ihr so lange?" Verlangte Rondra ungeduldig zu wissen. Dann sah sie auf meine Haare und ihre Augen wurden groß. ,,Gib ihr das Haarband zurück! Was fällt dir ein, sie kann sich doch nicht mit offenen Haaren zeigen!"

Tallis betrachtete sie nur gehässig und warf ihr das Haarband an die Stirn, dann rannte er hinaus.

,,Komm zurück!" Rief ich, doch er rannte weiter. Entschuldigend wandte ich mich an Rondra. ,,Verzeih bitte. Ich muss eben etwas mit meinem Bruder klären."

Ohne ihre Antwort abzuwarten, hob ich mein Gewand an und rannte hinter ihm her.

Ich fand ihn im Garten, wie ich es vermutet hatte. Es gäbe keinen Weg an der Wache vorbeizukommen und was konnte er schon alleine auf den Straßen ausrichten.

Es war bereits dunkel, der Mond leuchtete hell am Himmel, doch noch konnte man keine Sterne sehen. Tallis saß auf einer der Wiesen, ein Stückchen vom Springbrunnen entfernt, dessen Plätschern das einzige Geräusch war. Seine Schultern zuckten in unregelmäßigen Abständen und er schien ganz leise zu weinen. Stumm setzte ich mich neben ihn.

Nach einer Weile wischte er sich die Augen trocken. Ich legte einen Arm um ihn und wir blickten gemeinsam auf den Mond. Heute Abend nichts als eine schmale Sichel.

,,Es tut mir Leid." Sagte Tallis schließlich.

Ich nickte. ,,Mir auch."

TialdaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt