Die Gabe

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„Hoffnung ist Vertrauen, das seine Hand im Dunklen reckt." George Iles

David lehnt sich ein Stück zurück sodass sein Shirt ein wenig nach oben rutscht und einen Teil seines trainierten Bauches freigibt. Er mustert mich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen und streicht mir dann gedankenverloren eine lose Strähne hinters Ohr. ,,Meinst du Kartenlesen oder sowas wie Hellseherei? Das mit den Karten wollte ich schon immer mal ausprobieren!", fragt er begeistert. Ich schlucke einmal und bereite mich schon in meinem Kopf auf eine ausführliche Erklärung vor als er schon wieder mit reden anfängt. ,,Also raus jetzt mit der Sprache!", fordert er mich drängend auf. Er lässt mir keine Zeit zum Nachdenken schließlich will er wissen wieso ich unseren innigen Kuss so abrupt unterbrochen habe. Wieso hab ich nur meinen Mund aufgemacht? Jetzt könnte ich ihm natürlich noch eine Lüge auftischen und ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss ablenken, aber das will ich nicht! Ich hab mich für die Wahrheit entschieden. Ich habe mich nie so richtig jemanden anvertraut und ich will es ihm unbedingt sagen, weil Vertrauen zu einer richtigen Beziehung dazugehört und ich will das wir eine gemeinsame Zukunft haben. ,,Du hast mich veräppelt, nicht wahr?" stellt er für sich fest, weil ich seit meiner Offenbarung still bin. Vielleicht denkt er sogar ich muss mich die ganze Zeit beherrschen ein Lachen zu unterdrücken und kann deshalb nichts sagen, denn jetzt fängt er plötzlich an zu Lachen. Doch als er endlich merkt das ich nicht in sein Lachen mit einsteige, sondern stattdessen angesträngt auf meiner Unterlippe kaue, und das alles Todernst gemeint habe erstirbt auch seine amüsierte Miene und verwandelt sich in ein besorgtes Gesicht. Auf seine sonst so glatte Stirn treten Sorgenfalten und sein Kiefer spannt sich leicht an, er scheint zu merken was jetzt kommt. Entweder wird er mich für verrückt erklären und mich angewidert aus der Wohnung schmeißen, oder er wird mir zuhören und versuchen mich zu verstehen. Wahrscheinlicher ist Möglichkeit Eins, aber tief in meinem inneren Hoffe ich auf Möglichkeit Nummer zwei.  

,,Also...", beginne ich leise doch ich halte inne als sich Davids Sorgenfalten vertiefen, der höchst wahrscheinlich immer noch auf eine lustige Wendung hofft, die zu meinem und seinem Bedauern nicht kommen wird. Ich bin bereit, rede ich mir noch mehrmals zu bevor ich einmal kurz durchatme und loslege. ,,Ich kann wirklich in die Zukunft sehen, nicht in meine, sondern zum Beispiel in die meines Lehrers. Ich weiß das klingt jetzt verrückt, aber so ist es, kein Kartenlegen oder sonst was in der Richtung. Bitte halte mich nicht für Geisteskrank", setzte ich an und schaue dabei die ganze Zeit auf meine verschränkten Finger in meinem Schoß. Ich wage einen vorsichtigen Blick zu David und schaue in sein verwirrtes Gesicht das mich mit offenem Mund anstarrt. Bevor er aber irgendwas erwidern kann kommt mir eine super Idee oder zumindest glaube ich das sie genial ist. ,,Warte ich zeigs dir!", sage ich und zerre ihn mit mir zu einem seiner Fenster welches zur Straße zeigt. Während ich ihn dorthin befördere schließt sich sein Mund und bildet plötzlich eine feste Linie und seine Miene zeigt mir das er noch unschlüssig ist, ob er mir glauben und mitgehen soll oder mich einfach loswerden sollte. Das Fenster weist einen leichten Staubfilm und ein riesiges Spinnennetz auf das sich leicht wölbt als ich das Fenster mit einem Ruck öffne sodass wir eine bessere Sicht auf die Welt außerhalb dieses Zimmers haben. Die frische Luft wirbelt sofort kleine Staubkörnchen auf und mischt sich mit der abgestandenen Luft im Raum, der Abend wirkt so friedlich und nur ein paar einzelne Fußgänger die sich hierher verirrt haben sind noch zu sehen. Die ersten Laternen, die noch funktionieren, erleuchten die Straße schon mit ihrem schummrigen Licht und es ist plötzlich eine ganz andere Atmosphäre als vor einer Minute. Erst als David sich ungeduldig räuspert werde ich wieder in die Gegenwart zurück katapultiert und die jetzige Situation wird mir wieder vollkommen bewusst.  ,,Siehst du das Mädchen da unten, gleich da neben der Laterne?", frage ich ihn um das schnell hinter mich zu bringen. Ich vernehme nur ein leichtes unschlüssiges nicken links von mir und deute das als ja. ich muss mich kurz konzentrieren, was mir angesichts der aktuellen Situation schwer fällt, um die Zukunft des Mädchens mit den Lockenkopf und den gelben Stiefeln vor mir zu sehen. ,,In genau 30 Sekunden wird sie ihr Handy aus ihrer Umhängetasche holen und ihrem Freund eine kurze SMS schreiben.", sage ich ohne jeden Zweifel voraus und schaue David gespannt an während er angestrengt das Mädchen beobachtet, das nach den 30 Sekunden wie vorhergesagt auf ihrem Handy tippt. Als sie hinter der nächsten Ecke verschwunden ist macht sich sofort eine unangenehme Stille zwischen uns breit, wird er mir glauben? Ich sehe schon die einzelnen Zahnrädern in seinem Kopf rotieren während er die Szene von gerade Eben nochmal durchgeht. Ich deute schnell auf das Appartement das uns gegenüberliegt und erkläre David das dort gleich ein Licht angeht, weil Emma, seine 33 Jährige Nachbarin gleich schlafen geht, natürlich nicht ohne davor noch in ihrem Thriller zu lesen . ,,Woher weißt du von Emma, das ist unmöglich!", stottert er und versucht vergebens irgendeine Erklärung für das zu suchen was sich gerade abspielt. Als ich in seine geweiteten Augen schaue erkenne ich einen Funken Angst der sich mit dem unverkennbaren braun seiner Iris mischt. ,,Ich kanns dir erklären, David, du musst mich nur lassen. Bitte!", flehe ich und ergreife seine zur Faust geballte Hand.

,,Und du kannst das schon seit du klein bist?", fragt David interessiert doch seine Stimme ist noch leicht von Unsicherheit getränkt, weil er erstmal verdauen muss was er gerade erfährt. ,,Ja, dir macht das auch wirklich nichts aus?", frage ich nun schon zum 10 mal weil ich das einfach nicht glauben kann, dass David damit einverstanden ist mich normal, soweit das überhaupt geht, zu behandeln ,wie vor meinem Geständnis. ,,Klar, ich muss zwar erstmal darüber schlafen, aber ich denke ich komme damit zurecht.", erklärt mir David und schenkt mir seit einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder ein aufrichtiges Lächeln. Dieses Lächeln zeigt mir das der alte David wieder da ist und lässt mich sofort alles um mich herum vergessen. Ich musste ihm zwar erst gefühlte 100 Fragen beantworten und mit ihm noch 1 Stunde vor dem Fenster stehen um ihm die Zukunft einzelner Menschen zu zeigen und ihm versichern, dass ich keine Ahnung habe wieso ich diese Gabe habe und ich ihn leider Enttäuschen musste, weil ich trotz allem nicht denke das Batman existiert. Er wollte mich nicht gleich zum Psychiater oder zu einem Labor bringen, nein er hat mich akzeptiert und dafür liebe ich ihn noch viel mehr. Natürlich hat es länger gedauert bis er das alles geglaubt hat und wieder eine neutrale Miene hatte, aber das hat sich definitiv gelohnt, denn er glaubt mir und vertraut mir nach alle dem noch immer. Ich liebe ihn.

,,Du hast aber noch nicht in meine Zukunft geschaut, oder?", fragt er ernst und schaut mich hoffnungsvoll an. ,,Nein, du kennst doch meine Regeln! Nicht die Zukunft von Menschen die man liebt ansehen." Bei dem Wort ,liebt' zieht er mich glücklich an seine warme Brust und küsst mich erleichtert aufs Haar, anscheinend hat er das mit dem ,weiter normal behandeln' sofort umgesetzt. Unsere Stimmung ist jetzt wieder aufgelockerter und entspannter, aber es liegt noch immer ein leichter Funke Anspannung in der Luft. David gibt sich zwar die größte Mühe das ich nicht merke das er noch ein bisschen Abstand zu mir hält und mich nicht mehr küsst, aber das kann man ihm nicht übel nehmen, nicht nachdem was er gerade erfahren hat. So verbringen wir also den Abend, wir liegen zusammen auf seinem Doppelbett, er hat den Arm um mich gelegt und ich bette meinen Kopf auf seine Brust , und schauen uns einen Fantasyfilm an. Einfach wie ein ganz normales Paar, nicht wo der andere gerade Erfahren hat das der eine übernatürliche Fähigkeiten besitzt, einfach ganz normal. 

Der Duft seines T-shirts wiegt mich langsam in den Schlaf den ich nach dem anstrengendem Tag nur noch so herbeisehne. Mitten in der Nacht wache ich plötzlich auf und schaue mich sofort nach David um der an mich gekuschelt neben mir schläft und ich streiche ihm aus Reflex einzelne Haare aus der Stirn die jetzt zum Glück keine Sorgenfalten mehr aufweist. Sein Arm liegt schwer auf meinem Bauch und aus seinem leicht geöffneten Mund kommt ein leises Schnarchen, er sieht so friedlich aus wie er da liegt, so als würde es die unzähligen Mauern nicht geben hinter denen er sich viel zu oft versteckt, nur eben nicht bei mir. Doch Davids Schnarchen hat mich nicht geweckt, es war der Lärm von draußen, der sich durch das gekippte Fenster einen Weg nach innen bahnt. Lautes Gegröhle und Anfeuerungsrufe sind zu hören, also schiebe ich vorsichtig Davids Arm von mir weg und schwinge meine Beine aus dem Bett. Der Boden ist kühl und das Geschrei wird immer lauter je näher ich zum geöffneten Fenster schleiche bis ich es mit einem leisen quietschen schließe und das laute Gebrüll verebbt. Endlich! Ich lege mich wieder neben David der mir jetzt den Rücken zu gewandt hat und beuge mich dann vorsichtig über ihn um die grelle Nachttischlampe auszuknipsen, doch als ich gerade den Schalter betätigen will schnellt David Hand nach vorne und packt mich am Handgelenk. ,,Nicht!", sagt er mit scharfen Ton und legt meine Hand behutsam auf meinen Bauch, weg von der Lampe. ,,Wieso?", frage ich ihm im Flüsterton und mustere seine jetzt angespannte Haltung, hat er überhaupt geschlafen? David dreht sich langsam zu mir um und schaut mir dann mit Angsterfüllten Augen ins Gesicht, seine Kiefermuskulatur ist angespannt und er wirkt leicht abwesend. Ich kenne diesen Blick, er liegt weit zurück in der Vergangenheit die er vor mir verbergen will, aber was hat das mit dem Nachtlicht auf sich. Ich lege automatisch meine Hand auf seine erhitzte Wange und streichle ihm sanft über seine Schläfe. Ich bekomme diese Nacht keine Antwort mehr von ihm und dieses mal lasse ich ihm das wieder durchgehen, weil er mir heute so viel Verständnis entgegengebracht hat und es einfach nicht der richtige Zeitpunkt ist um das alles wieder aufzuwühlen. Denn ich weiß das hinter dieser erleuchteten Lampe viel mehr steckt als nur die Angst vor der Dunkelheit. Nicht heute Nacht, sage ich mir deshalb und schlafe aufgewühlt ein und sinke in einen unruhigen Schlaf.



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