Kapitel 6

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Ich wusste nicht, wie lange ich hier nun schon stand, doch es musste bestimmt eine Ewigkeit sein. Wie ein Wirbelwind bewegte sich Anna um mich herum und nahm alle Maße ab, welche sie benötigte. Immer wieder wiederholte sie, wie wunderschön ich aussehen würde, jedoch gab sie mir keine einzige Information zum Kleid. Nachdem sie endlich fertig war, ließ ich mich auf einen der Stühle fallen, welche hier im Laden verteilt waren. Anna stellte mir noch einen Tee und Apfelkuchen vor die Nase, bevor sie kurz verschwand. 

Während sie anscheinend den Stoff für mein Kleid auszusuchen schien, aß ich gemütlich mein süßes Frühstück. „Wann findet das Fest statt?", wollte ich von Anna wissen, als sie hinter den Vorhängen zum Vorschein kam. Dort hatte sie ihre Waren gelagert und auch ihr Arbeitsplatz befand sich hinter den Vorhängen. Seufzend ließ sie sich neben mir auf den Stuhl sinken und schenkte sich auch eine Tasse Tee ein. „In genau zwei Tagen soll das Fest stattfinden. Morgen Vormittag reist der Prinz an und wird dann zum Grafen gebracht. Auf dem Schloss soll etwas verhandelt werden und am nächsten Tag soll das Fest stattfinden.", erzählte sie mir, während wir beide durch die Fenster des Ladens schauten und den Bewohnern dabei zusahen, wie sie das Dorf schmückten. 

Schon bald würde hier eine ganze Eskorte hindurchreiten. Vielleicht würde ich einen Blick auf den Prinzen erhaschen können. Doch zuvor musste ich noch einige Erledigungen machen. Dankend verabschiedete ich mich bei Anna, welche mir versicherte, dass sie sich sowohl um das Kleid als auch die Accessoires. Nur um die Frisur konnte sie sich nicht kümmern, da sie nicht gerade die Talentierteste darin war. Zum Glück hatte meine Mutter mir damals viel beigebracht, weswegen ich auch in der Lage war, aufwendige Steckfrisuren mit meinen Haaren zu machen. Summend lief ich in den Straßen des Dorfes umher. 

Ich wollte zum Markt, um mir dort ein paar Früchte zu kaufen. Danach wollte ich zu einem meiner Lieblingsplätze am Fluss, welcher hier in der Nähe lag. Neugierig stöberte ich durch die vielen verschiedenen Stände und sah viele verschiedene Kleidungsstücke oder Nahrung. Ich wollte gerade meinen Blick von dem Stand einer alten Frau abwenden, als mir ein Medaillon ins Auge fiel. Erschrocken keuchte ich auf... Auf dem Medaillon prangte das Wappen von Sonnenau. Schon lange war es her, als ich das letzte Mal das Wappen meiner Familie gesehen hatte. Nur der Lord und die Lady besaßen so eine Kette... Natürlich hätte diese Kette auch eine Fälschung sein können, doch konnte ich als Einzige erkennen, dass sie echt war. Unser Wappen bestand aus einer einzelnen Sonne, jedoch wusste niemand, dass man das Medaillon öffnen konnte und sich im Inneren ein Bild meiner Familie befand. 

„Darf ich mir das Medaillon einmal anschauen?", wollte ich freundlich von der alten Dame wissen. „Natürlich!", antwortete sie erfreut. Vorsichtige nahm ich die Kette in meine Hand und drehte mich etwas von der Frau weg, damit sie nicht sah, was ich als nächstes versuchte. Behutsam tastete ich das Relief des Medaillons ab, auf der Suche nach einer kleinen Einkerbung. Ein kleines Grinsen bildete sich, als ich es letztendlich fand. Vorsichtig ritze ich meinen Finger an, um ein bisschen Blut in die Einkerbung tropfen zu lassen. Mit leisem Klicken öffnete sich das Medaillon und ich erblickte ein Familienfoto der Besitzer von Sonnenau. 

Ein Bild von meinen Eltern und mir. Es ist entstanden, als ich gerade mal zwei Monate alt war. Natürlich hatte ich nun nicht mehr viele Gemeinsamkeiten mit dem kleinen Kind auf dem Foto. Nur meine Augen waren dieselben wie die des kleinen Mädchens. Unter dem Bild standen die Namen meiner Eltern und mir.... Mit Tränen in den Augen schloss ich das Medaillon wieder und wandte mich der Verkäuferin zu. „Ich würde diese Kette gerne kaufen. Wie viel verlangen sie?", fragte ich aufmerksam. 

„Natürlich muss ich etwas mehr verlangen, da es sich bei diesem Stück um die Kette einer Adeligen handelt. Da die Familie aber gestorben ist und der Besitz in die Hände des Königs übergegangen ist, verliert es ein Wenig an Wert. Ich glaube, dass zwanzig Silberstücke angemessen sind.", antwortete sie nach langem Überlegen. Natürlich war das viel Geld, doch dieses Medaillon war für mich viel mehr wert. Seufzend kramte ich nach meinen Beutel Geld und fischte zwanzig Silberstücke hinaus. Lächelnd überreichte ich diese der alten Frau und bedankte mich. Nachdem ich mir das Medaillon um den Hals gehängt hatte, ging ich ein Wenig weiter, um mir noch einige Früchte zu kaufen. Summend ging ich an den Feldern vorbei, auf welchen die Bauern gerade arbeiteten. 

So wie es aussah, schien die Ernte dieses Jahr sehr gut auszufallen. Überall waren die Felder voller Korn oder Kartoffeln. Als ich endlich meinen Platz erreicht hatte, ließ ich mich in das saftig grüne Gras sinken und sah mich entspannt um. Keine zwei Meter von meinen Füßen entfernt befand sich der Fluss, welcher stetig vor sich hin floss. Den Rest des Tages verbracht ich dort, um meine Sorgen zu vergessen und träumte von den schönen Erinnerungen aus meinem alten Leben. Einen Teil hatte ich wieder.... Das Medaillon.... Zwar war es nur dem Lord und der Lady erlaubt gewesen, diese Kette zu tragen, doch trug ich sie nun um den Hals. Die rechtmäßige Erbin, jedoch hatte ich keinen Besitz mehr. Ich war jetzt eine Assassine und würde mein altes Leben nie mehr wieder bekommen. Aber die Erinnerungen daran würden nie vergehen.

Herz aus Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt