Kapitel 17

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Schnell verging die Zeit und schon war der Morgen angebrochen, an dem wir uns auf den Weg zur Hauptstadt machen würden. Unsere Karawane stand bereit und wir warteten nur noch auf den Befehl des Prinzen, um aufzubrechen. Killian jedoch war noch beschäftigt, sich von der Grafenfamilie zu verabschieden und Amelia schien, sich regelrecht ein letztes Mal an ihn ranzuschmeißen. Mit ihren verschränkten Armen puschte sie ihre Brüste nach oben, um ihr Dekolleté besser zur Schau zu stellen. Zusätzlich lächelte sie ihn durchgängig an, was wiederum schon gruselig wirkte. 

Ich konnte es kaum erwarten, endlich von hier abzuziehen und diesen Ort hinter mir zu lassen. Nach etlichen Jahren würde ich einen Teil meines alten Lebens wiedersehen. Während sich Killian nach von der Grafenfamilie verabschiedete, ging ich zu meinem Pferd. Sie war eine schwarze Stute, groß gewachsen und sehr kräftig. Ich konnte die vielen neidischen Blicke einiger Soldaten sehen, weshalb ich umso mehr grinsen musste, als ich Shine in dem Getümmel an einen Pfosten gebunden sah. 

Ich hatte sie zum ersten Mal gesehen, als ich schon einige Monate im Unterschlupf bei Madame Evilian lebte. Damals war sie noch ein junges Fohlen gewesen und man hatte sie einem Pferdedieb abgekauft. Es hieß, dass sie ein Pferd des Königs sein hätte sollen, weshalb Madame gehofft hatte, Shine dem Dieb abkaufen zu können, um es selbst zu reiten. Doch egal, was sie versuchte, Shine warf jeden ab, der es auch nur wagte, sich auf ihren Rücken zu setzen. 

Irgendwann war Madame es leid, Zeit und Geld in die Stute zu stecken, und wollte sie schlachten lassen, weshalb ich einen Deal mit ihr aushandelte, da ich nicht wollte, dass das unschuldige Tier den Tod fand. Jedes Mal, wenn ich Shine angesehen hatte, hatte ich mich selbst gesehen. Ein verängstigtes Mädchen, das nur versuchte, stark zu bleiben, sich allen zu beweisen und aus ihrem Käfig zu entkommen. Der Deal beinhaltete, dass ich Shine zähmen musste und ihr die Hälfte meines nächsten Auftrags zukommen ließ, damit sie in meinen Besitz überging. Nicht lange dauerte es, bis ich Shines Vertrauen gewonnen hatte. 

Ich hatte das Gefühl, dass sie mich ohne Worte verstehen konnte, denn sie sah mich genauso wie ich sie. Während ich auf die schwarze Stute zuging, welche sehnlichst auf mich zu warten schien und immer wieder mit ihrem rechten Huf auf dem Boden trampelte, kramte ich in meinem Mantel nach dem süßen roten Apfel, welche ich aus der Küche hatte mitgehen lassen. Lächelnd hielt ich ihr diesen hin, woraufhin sie genüsslich hinein biss. Nachdem sie den Apfel regelrecht verschlungen hatte, stupste sie mich mit ihrer weichen Schnauze an. 

Zärtlich fuhr ich ihr durch ihre pechschwarze Mähne und streichelte ihr weiches Fell. Von einem Augenblick auf den anderen schienen, alle auf ihre Pferde aufzusitzen, weshalb ich ihrem Beispiel folgte. Zum Glück hatte ich einen meiner Trainingsanzüge angezogen, sonst wäre das Reiten im Kleid die reinste Qual gewesen. Natürlich blickten mich einige Damen und Herren ab und zu missbilligend an, doch das war mir egal. Bei einem solch langen Ritt, würde ich es mir nicht zumuten wollen, in ein solch unpraktisches Kleid gezwängt zu sein. Sollten sie doch schauen, doch die anderen Hofdamen würden schon noch sehen, dass sie Probleme mit ihrer Kleidung bekommen würden auf diesem Ritt. 

„Auf geht's, Süße. Wir verlassen diesen furchtbaren Ort.", flüsterte ich in Shines Ohren, was sie nur noch mehr anzuspornen schien, sich in Bewegung zu setzen. Nach und nach kam die Gefolgschaft in Bewegung und wir verließen das Schloss. Mit dem Prinzen an der Spitze ritten wir durch die Gassen der Stadt, wo die Menschen uns verabschiedeten. Unter ihnen entdeckte ich immer wieder einige Frauen und Männer aus dem Unterschlupf, welche mich auf meinem Weg beobachteten. Wahrscheinlich hatte Madame Evilian sie beauftragt, mich noch ein letztes Mal zu beschatten. Doch anstatt sie anzuschauen, ignorierte ich sie gekonnt. 

Es dauerte nicht lange, bis wird die Stadt des Grafen verlassen hatten und wir uns auf einem Landweg befanden, welcher zur nächsten großen Stadt führte. Wir ritten nun schon seit ungefähr zwei Stunden und ich befand mich ungefähr in der Mitte des Zuges. Immer wieder beobachtete ich die Menschen um mich herum oder die noch bekannte Landschaft, doch auch das wurde nach und nach langweilig. Leise fing ich an, ein altbekanntes Lied vor mich hin zu summen. 

Es war ein sehr altes Lied meines Volkes, das immer am Tag der Sonne gesungen wurde. Es handelt von einer Göttin, welche sich in einen Menschen verliebt. Dieser wird aber eines Tages von einem Mann seines Volkes getötet, weshalb die Göttin schwor, die Menschheit zu vernichten. Jedoch trat ein kleines Mädchen mit reinem Herzen vor die Göttin am Tag der Abrechnung und bat, die Menschheit zu verschonen und an deren Stelle ihre Seele zu nehmen. Überrascht von der Reinheit und dem Mut des Mädchens willigte die Göttin ein, doch anstatt, das Mädchen zu töten, rief die Göttin sie an ihre Seite, wo sie bis in alle Ewigkeit über ihr Volk wachte. 

Am Tag der Sonne gedenken wir dieser Tat und danken ihr, dass sie ein weiteres Jahr über uns gewacht hatte. Es heißt, dass sie durch die Wolken immer noch auf ihre alte Heimat hinunter blickt. Ich wusste nicht, wie alt das Lied war, doch es wurde von Generation zu Generation weitergegeben und jedes Jahr wurde es gesungen am Tag der Sonne. Es war Tradition, dass das älteste Kind der Familie von Sonnenau ab dessen 16ten Geburtstags am Tag des Festes in den Tempel der Sonne ging, um dort vor der Göttin und der Retterin zu beten. 

Doch dazu würde es wohl nie wieder kommen, denn die Familie von Sonnenau gab es nicht mehr und auch das Volk hatte sich in die verschiedensten Winkel des Landes verteilt. Es war nur noch ein kläglicher Rest von meinem Volk übrig. Tränen liefen leise über meine Wangen, als ich das Lied enden ließ und die Erinnerungen an die alten Zeiten langsam verschwammen. 

Herz aus Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt