Kapitel 2//Therapie

206 9 2
                                    

Am nächsten Morgen wurde Skylla und alle anderen Kinder - in diesem Schlafsaal waren nur Mädchen - von ihren Betreuern geweckt. Sehr unsanft, um es höflich auszudrücken. Um genau zu sein, wurde den Kindern Megaphone ans Ohr gehaltenen und die Betreuer schrien "Aufstehen!" direkt in die Ohrmuschel der schlafenden Mädchen. Durch die vielen Megaphone im Raum wurde der Effekt natürlich noch verstärkt, sodass ein ohrenbetäubender Lärm entstand.
Alle standen daraufhin möglichst schnell auf, zogen sich die vorgeschriebe Kleidung an und liefen neben ihren Betreuern in den Waschraum. Duschen durfte nur, wer am Tag davor darauf verzichtet hatte, anstonsten war Zähneputzen und das Kämmen der Haare zu einen Zopf Pflicht.
Sie hatten kaum Zeit, sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen, den meisten war es anscheinend auch egal. Die Männer und Frauen, welche den Auftrag hatten, die Kinder zu beaufsichtigen, drängten auch Skylla in den Gemeinschaftsraum, wo ihr ein hartes Brot und ein Becher Milch gegeben wurde. Während der ganzen Morgenroutine hatte Skylla nicht ein einziges Mal die Möglichkeit mit dem Mädchen von gestern, Nummer 77, zu sprechen.
Auch nach dem Frühstück konnten die beiden kein Wort wechseln  denn Mrs.Julie brachte Skylla, von allen nur noch Nummer 136 genannt, in einen der Räume.
Zu einer Therapie, so sagte sie, doch dem Mädchen war klar dass ihr körperliche Schmerzen zugefügt werden würden. Sie versuchte sich zu wehren, jedoch ohne Erfolg. Die Betreuerin hielt sie weiterhin fest. Sie konnte nichts tun.
In dem Raum stand ein Stuhl, an dem einige Kabel angeschlossen waren, die wiederum mit einem Computer verbunden waren. Skylla wurde auf den Stuhl gedrückt und darauf mithilfe von Eisenriemen gefesselt.
"Ich werde dir Wörter oder Sätze sagen, du musst nur entscheiden, ob sie real sind oder nur im Kopf existieren." Soweit verstand das Mädchen es, sie nickte. Dies sah der Mann, der wohl so etwas wie ein Arzt sein sollte - allerdings schien er keine allzuguten Absichten zu haben - anscheinend als Bestätigung um anzufangen.
"Straßen" Da brauchte sie nicht zu überlegen. "Echt." Der Mann nickte. "Häuser." "Auch echt." "Menschen." "Echt." Wieder gab sich der Mann zufrieden. Doch nun fing es an hinterlistig zu werden. "Vampire" Da Skylla nicht an Vampire, Werwölfe oder so etwas ähnliches glaubte, antwortete sie mit "nicht real." Auch das schien dem Mann als Antwort zu gefallen. "Geister." Natürlich musste Skylla sofort an Jacob denken. Er war real, er hatte ihr ja sogar eine Kette geschenkt. Doch das würde dem Mann bestimmt nicht gefallen.. Egal sie musste antworten. "Real." Plötzlich durchfuhr sie ein Stromschlag. Vermutlich hatte der Mann Strom durch die Kabel in ihren Körper geleitet.
"Es gibt keine Geister!" schrie er sie an. Das sagen alle, doch alle können sie eben nicht sehen. Ihr stiegen Tränen in die Augen.
Nach einigem Gebrülle beruhigte sich der Mann wieder und fuhr fort. "Träume" "Nicht echt", sagte sie, auch wenn sie etwas anderes dachte. Unvorbereitet durchfuhr sie wieder ein Stromschlag. "Du sollst nicht lügen!" Woher wusste er das?
So ging es längere Zeit weiter, ungefähr eine Stunde, Skylla bekam einige Stromstöße und musste sich viel Geschreie anhören, der Mann versuchte, ebenso wie alle anderen, ihr auszureden dass es Geister gibt, Jacob im besonderen. Alle schienen sie zu hassen, obwohl sie doch eigentlich nichts getan hatte.
Skylla schrie und weinte, doch für jede Träne, jeden Schluchzer und jeden Schrei wurde nur noch mehr Strom durch ihren Körper gejagt. Sie spürte förmlich wie die vielen winzig kleinen Elektroden unter ihrer Haut flossen und ihr dieses beinahe unerträgliche Gefühl gaben, von dem Strom aufgefressen zu werden.
Der Mann nannte ihr eine lange Reihe von Dingen, bei "Schmerz" antwortete das Mädchen, immernoch an den Stromstuhl gekettet, "echt", schließlich konnte sie ihn ja sehr deutlich spüren. Zu ihrem Erschrecken bekam sie dafür jedoch einen weiteren Stromstoß. "Falsch! Schmerz entsteht nur in deinem Gehirn!"
Als Skylla ungefähr zum 100. Mal mit Strom durchflutet wurde, hielt ihr Körper es nicht mehr aus, ihr wurde schwarz vor Augen und sie sank in sich zusammen.
Sie wachte wieder auf und stellte fest dass sie sich im Schlafraum befand. Unter ihr war ihr Bett und über ihren Beinen lag die weiße Decke.
Neben ihr saß ein Mann, hinter ihm stand Mrs.Julie. "Na endlich. Los, steh auf und geh' in den Gemeinschaftsraum. Mach schon, zackig. " Arrogante Art, jemanden Aufzuwecken, dem gerade Strom durch den Körper geflossen ist, wie durch eine Steckdose, dachte sich Skylla, sagte jedoch nichts. Sie setzte sich auf, wobei sie deutlich die Schmerzen an ihren Gelenken spüren konnte, dort wo die Fesseln gewesen waren, doch auch hier gab sie kein Wort von sich, zog sich nur die Schuhe an und folgte den beiden Erwachsenen in den Gemeinschaftsraum, ohne einen von ihnen auch nur anzusehen.
Sie konnte erkennen dass Jacob neben ihnen ging, doch um keine Aufmerksamkeit zu erregen, warf sie auch ihm nur einen kurzen Blick zu. Im Raum angekommen, sah das Kind das Mädchen von gestern, Nummer 77. Was wohl ihr richtiger Name war? Sie konnte sie ja fragen. Da ihre Betreuerin sich zu den anderen Betreuern stellte, um sich über sie aufzuregen, wie Skylla vermutete, ging sie selbst in die Ecke mit dem Teppich.
Zu dieser Uhrzeit, nämlich 15:47 Uhr, durften sich sie Patienten sogar unterhalten, ohne dafür mit Strafen rechnen zu müssen. Zur "allgemeinen Sicherheit" wie es hieß, wurden sie dabei Video-, jedoch nicht tonüberwacht. Die Betreuer blieben trotzdem nie weit entfernt und so war es ratsam, lieber Themen wie Ausbruchspläne oder ähnliches nicht zu besprechen, da auch nur beim Wort Ausbruch eine Strafe abzustauben war.
Das Mädchen setzte sich also auf den Teppich, welcher anscheinend nur aus einem alten Stoff, der nicht franste bestand, direkt neben Nummer 77. Sie bemühte sich, dass sie dies nicht zu aufffällig tat, aus Angst, die Betreuer könnten Verdacht schöpfen, die beiden könnten etwas planen.
"Hallo. Wie geht es dir?" fing Skylla in Flüsterton eine Unterhaltung an. Das angesprochene Mädchen wandte ihr das Gesicht zu, sah sie jedoch nur verwirrt an. "ich weiß nicht" stotterte sie nur zurück. Wie kann man nicht wissen, wie es einem geht? Dieses Mädchen warf für Skylla wirklich einige Fragen auf.
"Und was ist dein Name? Du musst doch einen Namen haben, nicht nur eine Nummer." Wieder zuckte das Mädchen nur mit den Schultern. Zur großen Verwirrung von Skylla hob sie dann jedoch ihre rechte Hand vor ihr Gesicht, sodass es aussah, als müsse sie sich nur an der Nase kratzen oder ähnliches. Insgeheim zwinkerte sie dahinter jedoch geheimnisvoll.
Doch gleich darauf tat sie wieder auf dummes gestörtes Mädchen. Skylla war sehr verwirrt, doch ihre Gedanken wurden klarer als sie sah, was Nummer 77 auf einen der Zeichenblöcke schrieb.
Darf nicht zu viel sagen, werden heimlich überwacht. Pass auf, was du sagst oder tust! Mein Name ist Luna, Nenn mich aber unter keinen Umständen so, das könnte auffallen. Denk daran, wir sind hier in einer Psychatrie, alles wird überwacht und die Betreuer halten es für gut, dass jeder von uns so wenig wie möglich weiß, das beschränkt das Risiko für sie, dass wir uns wehren. Gib immer Acht was passiert, nicht alles ist wie es scheint....
Ehrlich gesagt, Skylla fand, Luna drückte sich zu geheimnisvoll und verschlossen aus, doch das sagte sie natürlich nicht. Luna malte währenddessen ein Haus über das Geschriebene, wahrscheinlich um die Spuren auszulöschen, die die Betreuer sonst gegen sie hätten.
Skylla wollte gerade auch ihren Namen schreiben, als sie aus den Augenwinkeln ihre Betreuerin Mrs.Julie näher kommen sah. Leise flüsterte sie Luna eine Verabschiedung zu, da sie bereits ahnte was jetzt kommen würde. Wie ein Soldat beim Militär stellte sie sich kerzengerade auf die Beine und sah die Erwachsene vor ihr mit einem respektvollen Blick an.
Diese packte sie jedoch nur ruckartig am Arm und zog sie aus dem Saal.

PsychoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt