„Alter, was geht hier ab?", stöhnte Leonardo, als er in das Wohnzimmer kam. Dort hatte sich seine Familie vor dem Fernseher versammelt. Im Fernsehen lief Fußball. Sogar Fede war da, obwohl der in letzter Zeit eh nur mit Jay herumhing oder in seinem Zimmer am Lernen war.
„Hast dus nicht mitbekommen?" Gloria wedelte mit ihrer Italien-Flagge in der Luft herum. Sie hatte sie sich selbst gebastelt, aus einem bemalten Stück Papier und einem Strohhalm, weil die im Laden zu teuer gewesen waren.„Che cosa?" Leonardo gab sich Mühe, nüchtern zu wirken. Dabei hatten sie nach der Schule aus einer Wodka-Mische im Park gesoffen.
„Italien ist im Finale der EM. Vielleicht werden wir Europameister!", verkündete Gloria begeistert. Sie trug ihr altes AS Roma-Trikot.
„Ja, scheiß ich drauf", erwiderte er und quetschte sich neben Fede auf die Couch. Der drehte sein Handy, an dem er gerade hing, so, dass Leonardo nichts sehen konnte.
„Ey", grinste Leonardo und riss ihm das Handy aus der Hand, um einen Blick darauf zu werfen.
„Gib her, du Wichser!", fuhr Fede ihn an und versuchte eilig, ihm das Handy aus der Hand zu reißen.
Leonardo drehte sich schnell auf den Bauch und las den geöffneten Chat. Es war der mit Jay. Eigentlich willst du doch eh, dass ich dir dickpics schicke
Sorry jay, ich will dir ja nicht wehtun, aber dein Schwanz ist nicht so geil, dass ich bilder davon brauche
In diesem Moment riss Fede ihm das Handy weg, sperrte es und schmiss es auf den Tisch. „Nerv nich, Fratellino", schnauzt er ihn an. Er warf einen schnellen Blick in Richtung seiner Mutter, die jedoch zu sehr von den Ereignissen auf dem Bildschirm gefesselt war. Warnend sah er Leonardo an.
„Forza, Italia!", feuerte Gloria den italienischen Spieler an, der gerade mit dem Ball aufs Tor rannte.
Leonardo sah Fede an und hob skeptisch eine Augenbraue. Als ob er nicht schon längst gecheckt hatte, dass Fede auf Typen stand. Und natürlich würde er das nicht ihrer Mutter erzählen. Wäre doch absolut scheiße.
Aus dem Fernseher klang Jubel.
„Vieni con me", forderte Fede ihn auf und packte ihn am Arm, zog ihn mit sich nach draußen.
„Was?", fuhr Leonardo ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du hast schon wieder gesoffen. Und geraucht", meinte Fede.
„Ja, toll. Und jetzt?" Leonardo sah ihn wütend an.
„Du bist vierzehn, verdammt!"
„Und du nicht mein Vater, also halt die Fresse." Leonardo schubste ihn grob zurück und schob sich dann zurück ins Wohnzimmer.
Fede verschwand kurz in seinem Zimmer, dann kehrte er mit einem Buch über Astrophysik zu seiner Familie zurück.
„Federico, mi porti una birra?", bat sein Vater ihn, der nicht allzu viel auf das Spiel gab. Er saß da und blättert durch die Prospekte mit den Sonderangeboten.
Fede verschwand nochmal kurz in der Küche und brachte eine Schale mit Cantuccini mit. Stellte sie auf den Tisch und quetschte sich wieder zu Leonardo, der ihm einen genervten Blick zuwarf.
„Fußball gucken ist doch voll der Bullshit, ganz ehrlich", seufzte Leonardo. Klar, er könnte sich jetzt auch in sein Zimmer verziehen, aber allein sein wär noch viel schlimmer. Da warteten nur seine Gedanken auf ihn.„Nerv jetzt nicht!", beschwerte sich Alessia, die das Spiel mit genauso viel Interesse wie Gloria verfolgte. Jedes Mal, wenn sich die italienische Mannschaft dem Tor näherte, kreischten sie herum.
„Du nervst!", schnauzte Leonardo Alessia an, sie streckte ihm die Zunge raus.
Fede seufzte und aß von den Cantuccini, während er sein Buch aufschlug und darin las. Wie auch immer er sich bei dem Lärm im Wohnzimmer konzentrieren konnte.
„Was machst du überhaupt hier?", fragte Leonardo Fede nach einer Weile.
„Darf ich nich mit euch rumhängen?", fragte Fede und warf ihm ein versöhnliches Grinsen zu.
„Hm", machte Leonardo und rutschte etwas an Fede ran, um seinen Kopf auf dessen Schulter zu legen. Er fühlte sich auf einmal so müde. Die Welt war schön schummrig dank des Alkohols. „Di cosa si tratta?", fragte er mit Blick auf das Buch.
Fede begann es ihm zu erklären. Es ging um schwarze Löcher und um weiße Löcher und die Krümmung des Universums.
„Warum erklärst du mir das eigentlich?", fragte Leonardo. „Ich checks doch eh nich." Er grinste ein wenig.
Fede warf ihm einen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Tu doch nich so als wärst du so dumm. Bis du nich. Bist doch schließlich mein Bruder", sagte er und grinste ein wenig. In diesem Moment begann Gloria wild auf der Couch herumzuspringen und „Rete! Rete!" rumzubrüllen und Fedes Handy vibrierte ein weiteres Mal.
Du weißt doch, ich mach eh nie das was ich soll, hatte er geschrieben und dazu ein Foto geschickt.
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Che cosa - Was ist los?
Fratellino - Brüderchen
Forza, Italia! - Italien, vorwärts!
Vieni con me - Komm mit mir mit
mi porti una birra? - Bringst du mir ein Bier?
Di cosa si tratta? - Worum gehts?
Rete! - Tor!
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Von Helden und Verlierern
General FictionIn den ranzigen Vierteln von Berlin gehen in Aykans Kellerbude weder die Partys noch der Shishatabak je zu Ende. Dort hängen Kat und Maxim auf dem Mauervorsprung rum, kippen den Wodka runter und pöbeln Passanten an. Dort, wo Leonardo dem Adrenalin h...