Ohne diese Szene wäre übrigens "Die Verlierer" nie entstanden. Ich habe sie kurz vor dem Ende von LUHS geschrieben, um herauszufinden, wie Jay wohl drauf ist. Davor hatte ich nämlich absolut keinen Plan, wie er sein könnte. Es war auch das erste Mal, dass Fede auftrat. Als Zhiveya dann meinte, wie süß die beiden doch zusammen seien, war die Idee sehr schnell geboren. Und ich liebe es immer noch total, all das Zeugs erzählen zu können, das vor LUHS geschah.
»Gib' mal den Alk, ey«, seufze ich und beuge mich über Jay hinweg, als der keine Anstalten macht, mir die Wodkaflasche rüberzureichen, sondern weiterhin mit konzentrierter Miene auf den flackernden Fernseher schaut und auf dem Controller herumdrückt.
»Leute, ich will mich konzentrieren«, seufzt Federico und fährt sich mit den Händen durchs Gesicht, ehe er seinen Blick wieder auf das Buch fokussiert. Angespannt kaut er auf seinem Bleistift herum, ehe er sich ein paar Notizen macht.
»Ich dachte nicht, dass du mit meinem kleinen Bruder saufen würdest, Jay«, fügt er hinzu, während ich den Wodka öffne und in meine halbvolle Energydrink-Dose kippe.
»Dachte ich auch nicht«, meint Jay schulterzuckend und schmeißt den Controller auf mein Bett, ehe er mir die Schnapsflasche aus der Hand nimmt und zum Anstoßen entgegen hält. »Aber der's cooler drauf als du, daran liegt's vielleicht«, meint er dann lachend.
Ein breites Grinsen huscht über mein Gesicht. Ausgerechnet von Jay so etwas zu hören, bedeutet mir verdammt viel. Er gehört zu den Menschen, die nicht groß reden, sondern einfach machen, weshalb er sich den Respekt von den Leuten unserer Schule definitiv sicher hat.
Jay und mein Bruder sind schon seit ein paar Jahren miteinander befreundet, auch wenn keiner so genau weiß, warum. Unterschiedlicher wie die beiden geht's eigentlich gar nicht: Jay ist viel zu cool, um mit einem Streber wie meinem Bruder herumzuhängen.
»Auf uns, Leonardo. Weil wir uns nicht von der verfickten Leistungsgesellschaft unter Druck setzen lassen«, lacht Jay, als wir miteinander anstoßen. Seine Worte reichen, um mich verdammt cool fühlen zu lassen.
Federico verdreht die Augen. »Könnt ihr euch nicht verpissen?«
»Nein, Mann, ich will dich ja mental unterstützen, Kumpel«, grinst Jay. »Find's doch toll, dass du das einfach durchziehst.«
»Außerdem kannst du mich nicht aus meinem eigenen Zimmer rausschmeißen«, lache ich und trinke einen großen Schluck aus der Dose. Eigentlich ist es erst nachmittags und ich bin vorhin erst von der Schule gekommen, doch zu Alkohol würde ich nie nein sagen. Vor allem nicht dann, wenn es Jays Idee ist, dass wir trinken.
»Du solltest einfach mittrinken, Federico«, meint Jay und zieht die dunkelblonden Augenbrauen hoch.
»Ja, ey, wie sag' ich denn immer? Heute ist ein guter Tag zum Trinken und so«, meine ich.
»Hast du dich gerade selbst zitiert?«, fragt Jay.
»Ja.«
»Alter.«
»Was?«
»Du bist unglaublich«, lacht er kopfschüttelnd.
»Sagen mir die meisten Frauen.«
»Hast du mich gerade als Frau bezeichnet?«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und zucke mit bedauerndem Blick die Schultern. »Ich habe nur gesagt, dass ich genau diese Aussage häufig zu hören bekomme. Keine Ahnung, was du da rausgehört hast.«
Jay schüttelt erneut mit dem Kopf, boxt mir dann gegen die Schulter und steht auf, um zu Federico zu gehen. Ich schnappe mir den Controller, schmeiße mich auf den Bauch und starte das Spiel neu, während Jay seine Hände auf dem Schreibtisch aufstützt und meinen Bruder ernsthaft ansieht.
»Also, Fede, du machst jetzt die Scheiße noch fertig und dann trinkst du mit uns.«
»Könnt' ihr euch abschminken.«
»Du machst dir viel zu viel Druck. Das isses doch nicht wert.«
»Doch. Meinst du, ich will für immer in diesem verdammten Viertel leben?«
»Also ich bin ziemlich zufrieden hier«, werfe ich ein und lasse meinen Blick kurz zu den beiden gleiten.
Jay wirft mir einen flüchtigen Blick zu, ehe er meint: »Alter, Leonardo, dich hat keiner gefragt.«
Ich zucke mit den Schultern und konzentriere mich auf den Shooter, als hätten mich seine Worte nicht getroffen. Als hätte er mir nicht wieder klargemacht, dass er eigentlich mit Federico befreundet ist, nicht mit mir.
Kratze über das Bandana, das ich seit Kurzem trage, das jeder wahrgenommen hat und sich doch nichts dabei gedacht hat. Ich bin froh darüber.
»Du machst dich kaputt deswegen, ich seh's doch.« Jays Stimme klingt ehrlich besorgt.
»Tu ich nicht«, widerspricht Federico ihm.
»Ich seh's aber. Platon hat dich gefickt.«
»Alter, ich fick dich gleich.« Jetzt huscht über Federicos Gesicht ein Grinsen, als er sein Philosophie-Buch in die Hand nimmt und drohend in Jays Richtung hält.
»Tut mir leid, Kumpel, es wäre noch immer Platon.« Jay lachte, dann meinte er: »Du und ich. Party. Heute Abend.«
Ich kann es mir nicht nehmen lassen, ein »Bin dabei!« in die Runde zu werfen.
»Alter, dich hat immer noch niemand gefragt«
»Na und? Ich antworte trotzdem, so is' das halt.«
»Bei dir ist echt 'ne Schraube locker.«
Ich zucke mit den Schultern und konzentriere mich wieder auf den Shooter.
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Von Helden und Verlierern
General FictionIn den ranzigen Vierteln von Berlin gehen in Aykans Kellerbude weder die Partys noch der Shishatabak je zu Ende. Dort hängen Kat und Maxim auf dem Mauervorsprung rum, kippen den Wodka runter und pöbeln Passanten an. Dort, wo Leonardo dem Adrenalin h...