Festivalstuff die Zweite

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"Hey", erklang eine männliche Stimme. Ich hob meinen Kopf und sah einen Typen in meinem Alter mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. "Darf ich mich zu dir setzen?"

"Klar." Ich erwiderte sein Grinsen und musterte ihn flüchtig. Irgendein bedrucktes Shirt, zerissene Jeans.

Im Schneidersitz ließ er sich neben mir nieder. "Is so, dass ich meine Freunde gerade nich finden kann. Aber du siehst nett aus, da dachte ich, ich setz mich einfach mal zu dir", erzählte er, während er eine Zigarettenschachtel hervorkramte. Seine Augen bleiben einen Moment auf mir ruhen. Ziemlich hell waren sie, unpassend zu seinem doch eher südländischen Aussehen. "Wenn ich dich nerv, musst es sagen. Dann hau ich wieder ab."

"Alles okay", meinte ich. Ich war froh über ein bisschen Gesellschaft und es gab doch eh nichts Cooleres, als auf einem Festival Leute kennenzulernen. "Du nervst nicht."

"Dann is gut", meinte er und streckte mir die Zigarettenschachtel entgegen. Er rauchte Pall Mall. "Kippe?"

Dankend nahm ich eine entgegen. Auf der Bühne schrie sich ein Sänger gerade die Seele und seine ganze Wut über den Kapitalismus aus dem Leib.

"Feuerzeug hast keines, oder?", fragte er weiter und reichte mir dann auch schon das seine, als ich verneinte.

"Wenn du'n Kerl mit blauem Iro siehst, dann sag mir bitte Bescheid. Das is nämlich Vince, mein bester Kumpel. Ich hab ihn irgendwie verloren", meinte er grinsend und ließ seinen Blick über die Leute um uns gleiten.

"Mach ich", versprach ich ihm und zog an meiner Zigarette. Es war ein fucking Punkfestival.  Menschen mit blauem Iro gabs hier unzählige.

"Was machstn du hier so alleine?", fragte er und kratzte sich an dem Bandana, das er um sein Handgelenk trug.

"Meine Freunde holen gerade Bier", erklärte ich und deutete zu dem Getränkestand, vor dem sich eine lange Schlange gebildet hatte.

"Sprich: Sie werden wohl vor Ende des Festivals nicht zurück sein", lachte er, als er meinem Blick folgte.

"Definitiv", bestätigte ich grinsend.

"Wie heißt'n eigentlich?", fragte er.

"Lu. Und du?", erwiderte ich.

"Freut mich." Er grinste breit. "Ich bin Leonardo."

"Wie Leonardo diCaprio?"

"Alter, ich kann diesen Namen nicht mehr hören", seufzte er, grinste dabei aber. "Ich höre das ständig, Alter, ständig."

"Wieso? Is doch ein toller Schauspieler."

"Trotzdem." Er zuckte mit den Schultern. Wir unterhielten uns ein wenig über Filme. Während ich Star Wars und Doctor Who über alles liebte, hatte er keinen wirklichen Lieblingsfilm. Von Komödien bis Splatter guckte er alles.

Auch wenn er viel lachte, konnte er nicht verhindern, dass er irgendwie einen traurigen Eindruck machte. Vielleicht waren es seine Augen, die so müde wirkten oder die zerbissene Unterlippe, die ihn so sensibel erschienen ließ.

"Leonardo!", erklang auf einmal eine Stimme hinter uns. Sie gehörte einer jungen Frau, das sich bei uns niederließ. Ihre blonden Haare waren in zwei Zöpfen geflochten. Dazu trug sie ein gelbes T-Shirt mit einem Bugs Bunny-Motiv und einen Jeansrock. Ihre Füße steckten in blauen Chucks mit weißen Pünktchen,  aus denen ihre mit kleinen Ananas gemusterten Socken herausschauten.

"Das ist Lu", stellte Leonardo mich vor."Hab sie eben kennengelernt."

"Und nicht vertrieben. Respekt, Leonardo", erwiderte die junge Frau. "Hi, Lu!"

Ich erwiderte ihren Gruß mit einem Lächeln. Das liebte ich so an Festivals. Da war man ein paar Minuten allein und schon hatte man ein paar neue Leute um sich herum versammelt. 

"Das ist Sophia, die Freundin von Vince. Von dem hab ich dir ja eben erzählt."

"Du enttäuscht mich. Sind wir denn keine Freunde?", meinte Sophia.

"Ne", erwiderte Leonardo grinsend, woraufhin sie ihm lachend gegen die Schulter boxte.

"Verdammt", fluchte er und rieb sich über die Stelle, an der sie ihn erwischt hatte.

"Wirst du wieder sterben?" Sie sah ihn mit gespielt bedauerndem Blick an.

"Mindestens", gab er zurück.

"Es gibt eine Steigerung von Sterben?" Sie hob ihre Augenbrauen.

"Natürlich."

Sophias Augenbrauen wanderten weiter nach oben, während ich die beiden belustigt betrachte und an meiner Kippe zog.

"Du kannst entweder einfach einschlafen oder du kannst auch ziemlich krass zerstückelt werden. Das machtn Unterschied." Leonardo nickte ernsthaft.

"Okay", sagte sie gedehnt und lachte kopfschüttelnd.

Von Helden und VerlierernWo Geschichten leben. Entdecke jetzt