29. Kapitel

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Ich hatte lange keine hohen Schuhe mehr getragen. Das war meine erste Feststellung als ich meine neue Rolle bekommen hatte.
"Bella Sinclair", hatte Zemo angefangen zu erklären. "Sie ist ein beliebter Gast bei allen Gangsterbossen, offiziell jedoch ist sie Model, bekannt dafür gerne zu feiern und zu flirten." Dann hatte er mir die blonde Perücke hingehalten.
"Ich wollte schon immer mal blond sein", meinte ich jetzt, als wir über eine Brücke auf eine beleuchtete Stadt zuliefen und zupfte die Perücke zurecht.
"Sicher das du nicht frierst?", meinte Sam, der einen bunt gemusterten Anzug trug. Miss Sinclair zog offenbar knappere Kleidung vor und so steckte ich ich in einem glitzernden Jumpsuit, welcher meinen Hintern eher schlecht als Recht bedeckte.
"Nein, es ist warm genug aber ich muss schon sagen, mein Hintern sieht gut in diesem Teil aus, ich sollte es mir mal leihe, wenn ich feiern gehe", ich spürte einen frostigen Blick auf mir aber ich ignorierte Bucky gekonnt. Ihm schien das Outfit oder meine Tarnung gar nicht zu gefallen aber ich scherte mich nicht darum. Er hatte das losgetreten, jetzt musste er ertragen, dass ich die Rolle völlig auslebte.
"Behalten Sie es, Lyla. Es steht Ihnen", meinte Zemo. Ich nickte ihm zu. Seit ich in diese Zeit gestolpert war, hatte ich kaum einen Grund gehabt mich schick anzuziehen oder Makeup zu tragen, der einzige Grund war meine Krönung vor einer Ewigkeit gewesen. Ein Auto wartete auf uns und fuhr uns in die Stadt. Es war ein wenig heruntergekommen aber die Neonlichter gaben dem ganzen eine gefährliche und doch hypermoderne Atmosphäre. Ich blickte mich um und an jeder Ecke entdeckte ich illigale Geschäfte. Die Musik, die aus verschiedenen Nachtclubs drang ließ die Elektrizität unter meiner Haut vibrieren und auf eine Art von Weise fühlte ich mich wach. Vielleicht war es die Gefahr, die meine Sinne aktivierte. In der kleinen, zum Kleid passenden Handtasche hatte ich einige der Akkus versteckt, nur für alle Fälle. Wir wurden angestarrt, als wir durch die Straßen liefen, zum Teil, weil Bucky bei uns war, zum Teil, weil ich mir besonders Mühe gab, meine Hüften schwingen zu lassen. Einen flirtenden Pfiff quittierte ich, nur meiner Rolle willen, mit einem koketten Zwinkern und einen lockeren Wurf einer Haarsträhne über meine Schulter. Wir betraten noch einer Weile eine Bar über deren Eingang ein Schild hing, auf dem ein Affe zu erkennen war. Zielsicher steuerten wir auf die Bar zu.
"Ich traue meinen Augen nicht", meinte der Barkeeper. "Ich habe Ewigkeiten darauf gewartet, dass sich die umwerfende Bella Sinclair in diesen Laden verirrt."
"Nun", meinte ich mit einer zuckersüßen Stimme. "Es ist dein Glückstag, dass meine Freunde dieses Etablismant schätzen." Ich lehnte mich ein wenig gegen Sam und blinzelte einmal öfter als ich gemusst hätte. Die Augen des Barkeepers wanderten einmal über mich, dann zu meiner Begleitung.
"Ich habe dich gar nicht erwartet, Smiling Tiger", damit war Sam gemeint. Seine Rolle schien eine ziemlich große Nummer zu sein und eine Vorliebe für bunt gemusterte Anzüge zu haben.
"Seine Pläne haben sich geändert, wir sind geschäftlich hier", erklärte Zemo ohne zu zögern. "Wir sind hier um Selby zu sprechen." Er kam nicht weiter, da ein Mann sich zwischen Zemo und mich quetschte. Er war entweder angetrunken oder aber hatte mehr Selbstbewusstsein als gut für ihn war.
"Hey Puppe, Lust ein wenig zu tanzen? Ich gebe dir auch einen Trink aus", er grinste breit. Das wäre ihm vergangen, hätte er den Blick bemerkt, den Bucky in seine Richtung warf. Ich wäre vermutlich aus meiner Haut und meiner Rolle gefahren, doch ich war in den späten Dreißigern groß geworden. Typen wie diesen kannte ich.
"Sie...", wollte Zemo einschreiten, doch ich hob die Hand.
"Nicht doch. Ich lasse euch Jungs das Organisatorische regeln. Da das sicher einen Moment dauert, werde ich solange diesem Herrn ein wenig Gesellschaft leisten", ich warf dem Baron ein übertrieben süßes Lächeln zu und er nickte, beinah als würde er mich loben. Na soweit kam es wohl noch. Ich folgte dem Mann, nahm mir aber vor ihm ziemlich fest in die Kronjuwelen zu treten, sollte er auf die Idee kommen seine Hände an Orte zu legen, an die sie nicht gehörten. Aus dem Augenwinkel behielt ich die drei Männer an der Bar im Auge. Ein bärtiger Mann mit einer Mütze ging auf Zemo zu, doch im nächsten Moment packte Bucky zu und schob den Mann in den Raum. Die gute Stimmung war augenblicklich vorbei und im nächsten Moment brach eine Schlägerei aus, wobei die Gegner dem Dunkelhaarigen nicht viel entgegen bringen konnten. Entweder spielte Buck seine Rolle verdammt gut oder ich sollte mir ernsthaft Sorgen machen, denn für einen Moment erkannte ich den Mann, den ich zuletzt in Berlin gesehen hatte, als er sich mit der Hälfte der Avengers angelegt hatte, weil er nicht er selbst gewesen war. Nur einen Augenblick später war es auch schon wieder vorbei, als Bucky den Angreifer auf die Theke drückte, die metallene Hand an seiner Kehle. Der Barkeeper sagte etwas und Sam deutete mir an ihm zu folgen. Ich schob den angetrunkenen Kerl von mir weg und schloss zu ihnen auf.
"Na hattest du Spaß?", meinte Buck leise, dass nur ich es hören konnte und ich spürte einen vorwurfsvollen Blick, der über mich huschte.
"Und du?", erwiderte ich und hob das Kinn ein wenig an. Ich wusste nicht, warum ich das Bedürfnis hatte zu provozieren, vielleicht, weil ich noch immer sauer war, dass er Zemo aus dem Gefängnis geholt hatte ohne mit mir oder Sam zu sprechen. Wir betraten einen kleineren Raum, auf einem Sofa saß eine Frau mit grauen Haaren.
"Ich muss schon sagen, es bedarf Mut in meinen Club zu kommen, Forderungen zu stellen und dann Ärger zu machen", ihre Finger trommelten ungeduldig auf der Armlehne des Sofas. Zemo ließ sich in einem Sessel nieder.
"Ich habe dir ein Angebot zu machen", meinte er und wirkte völlig in seinem Element.
"Seit unserem letzten Treffen ist viel passiert und im übrigen dachte ich du verrottest in einem deutsche Gefängnis", sie überschlug die Beine. "Wie bist du da raus gekommen?"
"Leute wie wir finden doch immer einen Weg", meinte Zemo und fast hätte ich laut gegrummelt, während ich mich gegen einen Tisch lehnte, doch die Jahre voller Ratsitzungen erlaubten mir, eine neutrale Mine zu behalten und scheinbar wenig interessiert den Raum zu betrachten.
"Also schön, was ist dein Angebot?", fragte Selby dann.
"Erzähl uns etwas über das Supersoldaten-Serum", meinte Zemo und erhob sich. "Und dafür bekommst du ihn." Er legte Bucky eine Hand auf die Schulter. "Und die Codewörter, die ihn kontrollieren."
"Es war eine gute Entscheidung, dich nicht zu töten", grinste Selby zufrieden. "Und zu mir zu kommen, es war arrogant aber klug. Das Serum ist tatsächlich in Madripoor, der Power Broker hat einen Doktor Wilfred Nagel daran forschen lassen aber es lief nicht wie geplant."
"Ist Nagel noch hier?", fragte Zemo nach.
"Na na, die Krumen gibt es umsonst, für die Bäckerei musst du zahlen", ich tauschte einen besorgten Blick mit Sam aus, als plötzlich das Geräusch einer Vibration die angespannte Stille zerriss. Sam zog sein Handy aus der Tasche. "Gehen sie ruhig ran, auf Lautsprecher." Das war keine freundliche Bitte gewesen. Als Sam den Anruf annahm ertönte Sarahs Stimme. Sam versuchte zu schauspielern und vielleicht wären wir haarscharf davon gekommen, wenn Sarah ihren Bruder nicht im nächsten Moment beim Namen genannt hätte. "Sam? Wer ist Sam? Tötet sie!" Ein Schuss fiel, doch er traf nicht einen von uns sondern die Frau. Jemand von außerhalb musste auf sie geschossen haben. Ich wirbelte herum und verpasste dem Mann neben mir einen kräftigen Stromschlag.
"Das werden die uns anhängen", meinte Sam, nachdem er einen weiteren Wachmann ausgeschaltet hatte.
"Jetzt haben wir ein Problem, lasst eure Waffen hier und folgt mir", meinte Zemo und ging mit Sam in den hinteren Teil des Zimmers.
"Bin gleich da", meinte ich, lehnte mich an die Wand und versuchte die Schuhe so schnell wie möglich von den Füßen zu bekommen, denn ich hatte so das Gefühl, wir würden rennen müssen.
"Was sollte das vorhin?", ich sah auf und bemerkte erst jetzt, dass Bucky Sam und Zemo nicht gefolgt war, stattdessen stand er direkt vor mir.
"Was sollte was? Ich habe mich lediglich an meine Rolle gehalten", ich sah nach unten und schob den ersten Schuh vom Fuß.
"Sah mir nach ein bisschen zu viel Spaß aus", grummelte er und ich schnaubte spöttisch, während ich auch den zweiten Schuh achtlos bei Seite warf.
"Eifersüchtig?", meinte ich provozierend süß und wollte mich an ihm vorbei schieben, kam aber nicht weit, denn er zog mich zurück, den linken Arm gegen die Wand gestemmt, die rechte Hand lag an der Seite meines Halses, während sein Daumen mein Kinn nach oben drückte.
"Hör auf mich zu provozieren, Lyla", grummelte er. Er wirkte wütend, angespannt und die Eifersucht lag überdeutlich in seinem Blick.
"Sonst was?", reizte ich die Situation noch weiter. Er öffnete den Mund um zu antworten, doch wurde unterbrochen. Er musste auch nichts sagen, ich konnte an seinem Blick erahnen, was er getan hätte, wären wir alleine und nicht in einer Stadt, in der uns in ein paar Minuten vermutlich jeder umbringen wollte.
"Seid ihr fertig?", hörte ich Sam rufen. Ich legte den Kopf schief und blickte zu Bucky auf.
"Sind wir das oder willst du noch das Bein heben um dein Revier zu markieren?", ich zog eine Augenbraue nach oben und sah, wie sich sein Kiefer anspannte, während sein Daumen über meinen strich.
"Hier sind wir fertig", er stieß dich von der Wand ab und ging zu Sam. Ja, hier waren wir fertig aber das Thema war noch lange nicht durch.

»The unbroken girl« // Bucky BarnesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt