25. Kapitel

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Die Welt dreht sich weiter, sie kümmert sich nicht, ob wir hinter kamen. Die Zeit rannte und sah sich nicht um, ob wir mithalten konnten.
Mir schlug ein angenehmer Geruch entgegen, als ich die Tür des kleinen Restaurants öffnete und hinein huschte. Im New York wurde es langsam Winter und natürlich hatte mich direkt eine Erkältung erwischt, die ich fleißig ignorierte. Ich hatte zu viel zu tun. Nach der Rückkehr meines Onkels hatte es viele offene Baustellen gegeben. Die Anhänger meiner Mutter, die zu mir übergelaufen waren, lehnten seine Rückkehr auf den Thron vehement ab und ich lehnte es ab weiter zu herrschen, also musste ein Kompromiss her und so entstand der Rat. Den Vorsitz teilten wir uns. Zum Rat gehörten die Minister aber auch Hauptmann Rhysen und drei vom Volk gewählte Vertreter. Neue Verordnungen geschahen nun durch Abstimmung, wobei sowohl mein Onkel als ich zwei Stimmen hatten. Einmal im Monat tagte der Rat und bisher funktionierte das ganz gut. Als wäre es noch nicht genug Arbeit war ich außerdem zur Botschafterin von Asterion für die USA ernannt wurden. In letzter Zeit setzte mir die ganze Arbeit zu und ich fühlte mich ständig müde oder schlapp. Das ging nun seit einigen Wochen so, aber ich hatte wenig Zeit krank zu werden.
"Entschuldige, du weißt ja nicht, wie viel Minister plappern können, wenn sie keiner stoppt", ich ließ meine Lederjacke von den Schultern gleiten, dann beugte ich mich nach vorne und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen.
"Ich habe es mir schon fast gedacht", meinte er achselzuckend und ich setzte mich. Sofort machte sich das schlechte Gewissen in mir breit. Seit Steves Reise in die Vergangenheit war die Situation zwischen uns distanzierter, was vermutlich vor allem an mir und meinem Versäumnis lag, ihm die eine Nacht zu beichten. Statt es anzusprechen, taten wir lieber, als würden wir es nicht bemerken. Nicht nur ich kapselte mich ab, sondern auch Bucky. Seit er mit der Therapie angefangen hatte, die eine Bedingung für seine Begnadigung gewesen war, schien er sich zu isolieren. Er war grüblerisch und ständig war er unterwegs, um seine Schuld zu tilgen, was meinte, dass er jede Person der Polizei übergab, die mit der Hilfe des Winter Soldier zu Macht gelangt waren.
"Es tut mir wirklich leid, Bucky", mindestens einmal in der Woche trafen wir uns. Nach meiner Rückkehr von Asterion waren wir uns einig, dass jeder seinen Raum brauchte, um sich in die neue Welt einzugewöhnen, also wohnten wir getrennt. Zuerst war es merkwürdig gewesen, ich war nachts aufgewacht, weil ich geträumt hatte, er wäre noch immer verschwunden, doch mit der Zeit erkannte ich auch, dass es im Moment die richtige Entscheidung gewesen war. "Hey, Sam hat nach dir gefragt, als wir gestern gesprochen haben. Er meinte, du reagierst nicht auf seine Anrufe."
"Ich...ich hatte zu tun", meinte er ausweichend.
"Was sagt deine Therapeutin dazu?", ich zog eine Augenbraue nach oben.
"Wir sollten bestellen", lenkte er ab. Ich hatte eines der verbotenen Themen angeschnitten. Es gab eine Handvoll Dinge, die wir nicht ansprachen. Von meiner Seite aus war das der vergangene Krieg, er mied das Thema Therapie und beinah alles, was mit dem Winter Soldier zu tun hatte.
"Ich schaffe heute nur eine Kleinigkeit, mir ist schon den ganzen Tag übel", seufzte ich und überflog die Karte.
"Du siehst auch ein wenig blass aus. Geht es dir gut?", er klang ehrlich besorgt. Man könnte glauben, dass die letzten Monate etwas an unseren Gefühlen geändert hätten, doch das war als einziges beim Alten geblieben. Ich wollte in meinem Leben nicht ohne ihn sein, auch wenn es im Moment nötig war ein wenig Abstand zu halten.
"Die Arbeit, ich glaube ich verschleppe eine Erkältung. Du wirst sehen, in ein paar Wochen liege ich krank im Bett", scherzte ich und konnte ihm ein kurzes Lächeln entlocken.
"Wenn dem so ist, dann werde ich mich aufopfernd um dich kümmern", entgegnete er und ich lachte leise, dann bestellte ich.
"Hast du Sam's Rede im Fernsehen gesehen?", fragte ich. Nach langem hin und her hatte Sam entschieden den Schild in die neue Ausstellung zu geben, die zu Steves Ehren eröffnet hatte.
"Nein, sie soll gut gewesen sein. Warst du da?", er fragte es zwar, schien aber nicht wirklich darüber sprechen zu wollen. Noch ein verbotenes Thema für Beide von uns: Steve. Ich nickte lediglich und ließ das Thema fallen. Während wir aßen, unterhielten wir uns über banale Dinge, wie über meine Arbeit und die letzten Meldungen in der Zeitung. Es war unbeschwert. Nach dem Essen bezahlte ich, wir wechselten uns ab und gingen noch eine Runde um den Block spazieren. "Hey, soll ich dich noch nach Hause bringen oder willst du nochmal mit zu mir nach oben kommen? Du siehst aus, als könntest du einen warmen Tee vertragen." Ich überlegte. Ich hatte den nächsten Vormittag frei, also wäre es nicht schlimm, käme ich etwas später oder gar nicht nach Hause, aber andererseits sollte ich mich vermutlich in mein Bett verkriechen und ausruhen.
"Tee klingt nicht schlecht", beschloss ich kurzerhand und er nickte. Seine Wohnung lag nur ein paar Minuten von dem asiatischen Restaurant entfernt und so traten wir kurz darauf in die kleine Wohnung. Sie war eher praktisch als luxuriös aber bei weitem besser als der Verschlang in Bukarest. Als ich meine Jacke auszog fiel mein Blick auf ein paar Decken, die hinter dem Sofa hervor lugten. "Kannst du noch immer nicht richtig schlafen?" Ich blickte zu Bucky, der gerade eine Kanne Wasser aufgesetzt hatte. Sein Blick huschte zu den Decken und ein feiner roter Schimmer lag auf seinen Wangen.
"Entschuldige, ich kam nicht dazu aufzuräumen und...", ich schüttelte den Kopf.
"Buck, ist schon okay. Das ist kein Urteil", ich ließ mich auf der Armlehne des kleinen Sofas nieder. Er schlief auf dem Boden, ich wusste nicht weshalb, ob es ihm half. Er tat es nur dann nicht, wenn ich über Nacht blieb. "Hast du noch Alpträume?"
"Du kannst penetranter sein als meine Therapeutin", er verdrehte die Augen und wandte sich dem Wasser auf dem Herd zu, in der Hoffnung, ich würde das Thema fallen lassen.
"Ich habe welche", entgegnete ich lediglich und blickte auf meine Finger. An einer Hand glänzte noch immer der Verlobungsring. Ich hatte das Gefühl, er hätte ihn mir in einem anderen Leben gegeben, so wie er es schon einmal getan hatte. "Nicht jeder Nacht aber doch recht regelmäßig. Ich schließe die Augen und wenn ich sie öffne, bin ich voll mit Blut, ich stehe vor einem Berg aus Asterianern die ich auf dem Gewissen habe und ich will Schreien oder mich entschuldigen, aber ich habe keine Stimme. In diesem Moment wünsche ich mir, dass es mich erwischt hätte, nicht sie. Dann wache ich auf." Ich sah seine Schuhe in meinem Blickfeld und erkannte daran, dass er zu mir getreten war, dann spürte ich seine Hände, die mein Gesicht umfassten, ein warm und rau, die andere kühl und glatt. Ich blickte auf und nur einen Moment später spürte ich seine Lippen auf meinen. Manchmal überraschte es mich, wie viel seine Küsse noch immer in mir auslösten. Meine Hand wanderte in seinen Nacken, meine Finger in seine Haare, die er seit einiger Zeit wieder kurz trug. Ich musste mich erst wieder daran gewöhnen. Es erinnert mich an den Mann, der er früher war und war doch ganz anders. Sanft ließ ich mich auf die Füße ziehen und spürte seinen Arm, wie er sich um mich legte, nur einen Augenblick später wurde ich hochgehoben und er trug mich in das Nebenzimmer. Auf eine wortlose Art fühlte ich mich getröstet, ich wusste, dass er verstand, wie ich mich fühlte, auch wenn er nicht darüber sprechen wollte oder konnte. In diesem flüchtigen, zerbrechlichen Moment war da keine Distanz, wir waren uns so nah wie nie zuvor auf allen Ebenen. Natürlich pochten in meinem Hinterkopf die Schuldgefühle aber das Bedürfnis ihm nahe zu sein und für einen Moment zu vergessen, was war und was passieren könnte, das Verlangen nach dem einzigen Menschen, dem ich mich völlig hingeben konnte, war lauter. Ich wünschte mich in die Zeit zurück als es immer so gewesen war, unkompliziert, vertraut, aber ich wusste auch, dass der Weg zurück keine Option war. Ich hatte mich entschieden, und zwar gegen den einfachen Weg. Ich hatte mich entschieden mich darauf einzulassen, was auch immer die Zukunft bringen mochte und genau in diesem Augenblick glaubte ich, dass wir es überstehen würden, dass wir es überstehen mussten, nach allem, was wir bereits überstanden hatten. Es musste einen Weg geben. Jeder von uns hatte ein wenig Glück verdient und wenn auch nur für einen winzigen Augenblick.
"Lyla...", ich blickte zu dem Mann neben mir, diesem wunderschönen Mann, der so viel hatte ertragen müssen. Er musste nichts sagen, es lag in seinen Augen, tief verborgen und doch gut zu erkennen, wenn man ihn kannte. Ich lächelte und verschränkte sanft meine Finger mit seinen.
"Ich dich auch", antwortete ich leise und schmiegte mich an ihn, ausgelaugt von der Arbeit und erschöpft von den letzten Monaten und ich genoss die Ruhe, die er in mir auslöste, wie es sonst niemals jemand können würde.

»The unbroken girl« // Bucky BarnesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt