Ich mochte Tonys Hütte. Es war eine Holzhütte. Simpel aber wie ich ihn kannte vermutlich vollgestopft mit der neuesten Technik. Sie lag weit außerhalb der Stadt und die Stille des Waldes war sowohl unangenehm ungewohnt als auch traumhaft entspannend. Ich verstand, warum er hierhergezogen war. Sie erinnerte mich ein wenig an Buckys Hütte in Wakanda. Zumindest in diesem Punkt ähnelte sie sich wohl mehr, als sie sich bewusst waren. Allerdings plante ich nicht ihm das zu sagen, nachdem ich nicht wusste, wie sich seine Meinung zu Bucky seit dem Kampf in Sibirien entwickelt hatte. Als wir aus dem Auto stiegen, stand Tony auf seiner Terrasse, seine kleine Tochter Morgan auf dem Arm. Sie sah ihm ähnlich, hatte seine dunklen Haare und Augen. Als er uns sah, wich ein Schatten über sein Gesicht. Ein wenig nervös richtete ich den Stirnreif und zupfte meine Jacke zurecht.
"Setzt euch, ich bin gleich bei euch", rief er dann und verschwand in der Hütte.
"Zumindest hat er uns noch nicht von seinem Grundstück gejagt", murmelte ich und bekam prompt einen Klaps auf den Arm. "Au." Ich warf Steve einen vorwurfsvollen Blick zu und rieb mir über den Oberarm. Natasha und Scott liefen inzwischen zu der Terrasse und ließen sich auf den Stühlen nieder. Steve folgte ihnen und lehnte sich gegen einen Pfeiler, während ich mich auf das hölzerne Geländer setzte.
"Also, womit kann ich d'Artagnan und den drei Musketieren behilflich sein?", fragte Tony als er die Hütte verließ und zu uns trat, ein Tablett mit ein paar Gläsern und einer Glaskarave in den Händen.
"Wann hast du die letzte physikalisch unmögliche Erfindung gemacht?", fragte ich und nahm dankend eines der Gläser entgegen.
"Ist eine Weile her, denke ich", ging Tony auf meine Frage ein und warf mir einen neugierigen Blick zu.
"Scott, dein Auftritt", die Aufmerksamkeit wanderte jetzt zu dem Dunkelhaarigen. Dieser räusperte sich.
"Vor fünf Jahren, vor Thanos bin ich in die Quantenebene eingetaucht. Die Leute, die mich hätten zurückholen sollen, Hank Pym, Hope van Dyne und ihre Mutter, sind mit dem Snap verschwunden also bin ich geblieben, wo ich war", erklärte er. "Als ich wieder in diese Zeit gestolpert bin, dachte ich, ich wäre nur fünf Stunden verschwunden gewesen. Ich habe quasi einen Zeithüpfer gemacht. Kann man das nicht wiederholen nur diesmal navigiert."
"Das ist erstaunlich, weißt du wie viel Glück du hattest?", fragte Tony und runzelte die Stirn.
"Tony, ist es möglich?", erhob jetzt Natasha die Stimme, die, bis eben geschwiegen hatte.
"Die Quantenfluktuation kollidiert mit der Planck-Skala und dann gilt das Deutsch-Theorem. Sind wir uns soweit einig?", begann er aufzuschlüsseln.
"Nein, aber ich bekomme jetzt schon Kopfschmerzen von diesem Gespräch", murmelte ich und spürte schon wieder einen Klapps auf meinen Oberarm. "Verdammt, Steven, lass das oder ich grille dich wie eine Insektenfalle eine Mücke." Ich funkelte ihn warnend an und rieb meinen Arm.
"Seid ihr dann fertig?", fragte Stark und verkniff sich ein Zucken in den Mundwinkeln.
"Ja, kannst du es nochmal für Schulabbrecher erklären?", murmelte ich.
"Einfach ausgedrückt heißt das", seufzte er und schüttelte den Kopf. "Du kannst nicht mehr nach Hause."
"Ich konnte es", meinte Scott ernst.
"Weil du Glück hattest", nickte Tony. "Dafür stehen die Chancen eine Milliarde zu eins. Daraus macht ihr jetzt...wie nennst du das?" Er blickte zu Scott, dem der Name plötzlich mehr als dämlich vorzukommen schien. Verständlich.
"Einen Zeithüpfer", murmelte er.
"Ja genau", nickte Tony. "Ich habe keinen handfesten Weg wie ich es machen sollte. Es ist unmöglich."
"Ich bin durch die Zeit gefallen", entgegnete ich. Alle Augen richteten sich nun auf mich.
"Das war Magie, Lyla. Das war keine Wissenschaft. Die Asterianer wissen nicht, wie und warum das funktioniert, was ihre Gabe ausmacht", der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. "Ich wünschte, ihr hättet mich um etwas anderes gebeten. Irgendwas." Steve versuchte noch einen Moment auf Tony einzureden, doch dieser lehnte weiter ab. Die Geräusche von Schritten unterbrachen uns und Morgan kletterte auf den Schoss ihres Vaters.
"Mommy sagt, ich soll dich retten", murmelte sie, ein wenig eingeschüchtert durch all die fremden Gesichter. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Die Kleine war zuckersüß und Tony als Vater zu sehen beinah herzerwärmend. Er gehörte zwar zu den Avengers, die ich eher flüchtig kannte, aber ich wusste, dass er für lange Zeit ein Frauenheld und ein Partylöwe gewesen war. Steve hatte mir erzählt, wie unausstehlich Tony gewesen war, als er ihn das erste Mal getroffen hatte. Großkotzig, überheblich und absolut von sich überzeugt. Doch die Jahre, und seine Frau Pepper, hatten ihm ruhiger werden lassen. Ich war mir sicher, dass er ein guter Vater war, nicht, dass ich eine Ahnung von guten Vätern hätte, aber das merkte man deutlich, wenn man seinen Umgang mit Morgan beobachtete. Ich könnte wetten, dass sie Pepper oftmals den letzten Nerv raubten. Für einen Moment drängten sich mir die Worte meiner Mutter in meinen Kopf, doch ich wischte sie mit einem Kopfschütteln bei Seite.
"Gut gemacht, du hast mich gerettet", lächelte er. "Es tut mir leid, aber ich kann euch nicht helfen." Seufzend erhoben wir uns. Ich konnte es Tony nicht einmal verübeln. Er hatte gewonnen, nach all den Niederlagen hatte er gewonnen. Wäre ich in seiner Situation, wäre ich an seiner Stelle, hätte geheiratet und ein Kind bekommen, dann würde ich ebenfalls nichts tun, dass das gefährden könnte und schon gar nicht mit der Zeit spielen. Die Niederlage gegen Thanos war schon bitter genug aber durch einen weiteren Fehler seine Familie zu verlieren erschien mir unnötig grausam.
"Er hat Angst", seufzte Natasha.
"Ich kann es verstehen", gestand ich leise. Sie blickte zu mir und schien zu versuchen meine Mimik lesen zu wollen.
"Na schön", seufzte Scott. "Und was machen wir jetzt?"
"Wir sollten mit jemanden sprechen, der ein ähnlich großes Gehirn hat", meinte der Blonde und wechselte einen Blick mit Natasha.
"Wo sollen wir ein Gehirn wie seins finden?", seufzte Scott. Ich musste für einen Moment an Shuri denken und wie gut wir sie jetzt gebrauchen könnten. Ich stand mit Okoye und der Königin von Wakanda in einem relativ guten Kontakt, Asterion befand sich in einem wissenschaftlichen Austausch mit dem Land, außerdem betrieben wir Handel miteinander. Beide Kinder verloren zu haben setzte der Königin zu, aber sie hielt sich souverän. Sie war stärker als ihre Trauer. Ich bewundere sie.
"New York", erklärte Natasha und zückte ihr Handy. Seufzend ließ ich auf die Rückbank fallen, blickte aus dem Fenster und warf einen letzten Blick auf die Holzhütte. Für einen Moment wünschte ich, dass es mir erlaubt wäre, mich in einer Hütte im Nirgendwo zu verkriechen, dass ich es mir selbst erlauben könnte. Der Snap hatte mir nicht nur so viele geliebte Menschen genommen, sondern auch meine Freiheit. Ich wusste nicht, wie mein Onkel das all die Jahre geschafft hatte, aber vielleicht war der Unterschied, dass er zumindest Sol an seiner Seite hatte. Ich mochte sie, sie war mir eine gute Freundin und an manchen Tagen beinah eine Mutter geworden, aber sie kannte mich nicht so gut, wie ich es bräuchte, um mit ihr über all das zu sprechen, das mich bewegte. Es gab nur zwei Menschen, denen ich so vertraute, im Moment nur einen. Ich war des Kämpfens schon lange überdrüssig und ich sehnte mich nach nichts mehr als die Aufgaben der Herrschaft jemand anderen überlassen. Einige der Adligen und die meisten meiner Berater versuchten mich nun seit drei Jahren zu einer Heirat und der Zeugung eines Erben zu drängen, aber nichts lag mir ferner. Patroklos' Kind würde von klein auf für diese Aufgabe trainiert werden und ich war mir sicher, mit seinen Genen, würde er ein guter König werden. Meine Aufgabe lag darin, ihm ein Land zu bereiten, dessen Frieden er nur erhalten musste, dessen Wohlstand zu vermehren sein Bestreben sein würde. Er sollte niemals in einen Krieg gegen die eigenen Leute ziehen müssen. Mein eigenes Kind, von der Möglichkeit abgesehen, dass es mich unnötig früh verlieren könnte, wenn es das Kind eines Asterianers wäre, würde immer der Nachfolge der eisernen Königin bleiben, die die den Thron bestieg und den Krieg losbrach. Auch wenn nicht alle so dachten, dann würde die wenigen, die es taten, sich doch immer gegen seine Herrschaft stellen. Ich konnte kaum erwarten den Thron abzugeben, wenn mein Neffe bereit war zu herrschen.
"Ist alles in Ordnung?", fragte Natasha leise, die neben mir auf der Rückbank saß. Müde lehnte ich meinen Kopf an den Rahmen des Autos, neben der Scheibe.
"Ja", entgegnete ich. "Ich habe mich nur gefragt, wie es wohl auf Asterion läuft. Ob alles in Ordnung ist. Vielleicht sollte ich Sol heute Abend kontaktieren."
"Lyla komm schon", seufzte die Rothaarige. "Wenn etwas wäre, dann hätten sie sich bereits gemeldet, denkst du nicht? Du hast frei."
"Wann habe ich das jemals wirklich?", meinte ich. "Das hier ist ja nun nicht gerade ein Urlaub."
"Nein, aber den kannst du dir nehmen, wenn dein Onkel wieder da ist, nachdem wir alle zurückgeholt haben", lächelte sie. "Vielleicht sollten wir dann alle einen langen Urlaub machen." Sie warf mir einen aufmunternden, hoffnungsvollen Blick zu.
"Das wäre schön. Ich würde gerne einmal ans Meer fahren...also irgendwo, wo es warm ist", gestand ich und ließ mich ein wenig von Natashas Optimismus anstecken. Besser als den Kopf in den Sand zu stecken war es allemal.
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»The unbroken girl« // Bucky Barnes
Hayran KurguFortsetzung zu "The vanished girl". 2018, Wakanda Gerade als James „Bucky" Barnes seine Freiheit erlangt und nach zwei Jahren die Dinge sich zum Besseren zu wenden scheinen, bricht der Infinity War los. Seine Folge: Die Hälfte des Universum verschwi...