Prolog

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Der Mond strahlte vom Himmel, es war kurz nach Vollmond. Das weiße Licht leuchtete Aquene den Weg, durch den sich ihre Pfoten wanden. Tief atmete sie ein. Die vertrauten Gerüche des Waldes drangen ihr in die Nase. Ein angenehmes Kribbeln durchzog sie und ihre Pfoten wollten schneller laufen. Sie gestatte ihnen und so jagte sie nach kurzer Zeit durch den Wald. Ein Gefühl der Sorglosigkeit machte sich in ihrem Kopf breit. Als würde der Wind der ihr um die Ohren fegte, alles was schlecht und böse war vertreiben. Langsam wurde der Wald dichter, das Licht wurde spärlicher und kleine Tautröpfchen legten sich auf ihren Pelz. Und doch zitterte sie nicht, ganz im Gegenteil, eine wohlige Wärme durchzog ihre Adern. Ihre Muskeln fühlten sich weich und geschmeidig an und sprühten vor Energie. Es war der Trieb, der Trieb der Nacht. Aquene liebte die klare Nachtluft, die aufgehende Sonne, der Geruch der Bäume im Tau am Morgen, wenn sie von ihren Ausflügen zurückkam. Sie mochte die Stille. Die Harmonie, in der die Tiere, der Wald und die Wiesen lebten. Es war wichtig zuzuhören, zu verstehen und zu genießen. Eine der wichtigsten Gaben, die die Geister der Bäume ihnen geschenkt hatten.

Aquene wurde langsamer. Im gleichmäßigen Tempo trabte sie durch den Wald. Mit wachsam aufgestellten Ohren und geöffnetem Maul, um auch keinen Geruch zu übersehen, bahnte sie sich anmutig einen Weg durch das dichte Gestrüpp. Alles so wie immer, stellte Aquene zufrieden fest. Langsam näherte sie sich dem Rand ihres Territoriums. Wachsam schlich sie durch das Unterholz. Das von ihrem Rudelführer und gleichzeitig auch Gefährten gelegte Territorium endete hier, mitten im tiefen Gestrüpp, noch knappe zehn Sprünge des lichteren Weltteils entfernt. Er war der Ansicht, dass sie so ihre Grenzen gut kontrollieren und gegen Eindringlinge verteidigen konnten. Aquene war zwar nicht der Meinung, dass sie jemals große Schwierigkeiten mit der Verteidigung ihrer Grenzmakierung haben werden, aber an seiner Autorität zu zweifeln würde es nicht bessern. Er wusste schon was er tut, er vertraute seinen Instinkten und niemals würde er einem aus ihrem Rudel Gefahr aussetzen und so vertraute sie ihm, wie sie es schon immer getan hatte. Das nächste Wolfsrudel lag zwei Tagesreise entfernt, so brauchte Aquene keine Angst habe, auf andere Wölfe zu stoßen und überschritt unbedacht die Markierung. Sie tat es schon tausende Male zuvor, so fürchtete sie sich nicht davor. Es wäre auch nicht schlimm, wenn man sie erwischen würde, auch wenn ihr Gefährte es ihr verboten hatte. Er kannte sie. Bei dem Gedanken durchzog eine angenehme Wärme ihre Brust. Sie kannten sich schon seit sie jung waren. Es ist, als wäre es gestern gewesen, dass sie ihn das erste Mal gesehen hat; groß, stark, nett und doch war sie am Anfang recht unfreundlich und abweisend gewesen. Sie wusste jetzt nicht Mal mehr warum. Aber er hatte sich von ihrer kalten Art nie abschrecken lassen und nun war sie dankbar dafür. Aquene näherte sich dem Waldrand. Ein Teil ihres Territoriums lag auf der anderen Seite des Waldes auf dem Moor. Es war ein wunderschönes Gefühl durch das Gras zu jagen und Kaninchen zu fangen, doch der Wald war immer noch ihr Lieblingsort. Er war einfach, bezaubernd! Ein leises winseln ließ Aquene schlagartig in die Gegenwart zurückkehren. Erstarrt blieb sie stehen, die Ohren gespitzt, die Muskeln angespannt. Erneut ertönte das Geräusch. Sie öffnete das Maul und sog tief die Luft ein. Es roch nach Wald, nach Schlamm, nach Moor, und noch irgendetwas. Schwächer, nicht so leicht identifizierbar. Alt. Geduckt schlich Aquene durch das Unterholz. Als wäre sie ein Geist. Ihr Pelz streifte leicht das Gestrüpp, ihre Pfoten trugen sie lautlos durch die Nacht. Aquene glaubte ihr eigenes Herz schlagen hören zu können. Ihr Atem produzierte Dampfwolken. Ganz in der Nähe winselt etwas erneut. Aquene war sich sicher es würde ein Junges sein. Es musste ein Wolf sein, schoss es ihr durch den Kopf. Sie erinnerte sich an das Gejammer, welches manchmal von den Jungen aus dem Rudel kam. Erneut ertönte das Winseln. Aquene zuckte zusammen. Zwei Baumreihen weiter lag ein feuchtes Fellbündel, welches über und über mit Schlamm bedeckt war, zwischen den Wurzeln einer großen Eiche. Es zitterte heftig. Mitleidig betrachtete Aquene das kleine Junge. Als es sie sah bellte es freudig, schaffte aber nicht sich aufzurichten, nicht Mal, sie richtig anzusehen. Das Kleine war nicht Mal einen Tag alt, mit diesem Gedanken zündete sich eine Flamme in ihrer Brust. Wut überkam sie, wie ein überraschendes Gewitter. Sie wollte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn nicht sie sondern ein Bär oder ein Schwein zuerst hier gewesen wäre, oder eine Eule. Beruhigend beginnt sie dem kleinen das Fell zu putzen, und ihn zu wärmen. "Keine Sorge mein Kleiner, ich werde auf dich achten! Nie wieder wird dich jemand dem Tode überlassen!" Das Kleine starrte zu ihr hoch, seine Augen waren groß und - dunkel. Aquene wurde bewusst, dass es kein richtiger Wolf war, es musste ein Halbwolf sein, doch es war ihr egal. Es wäre grausam das Kleine erneut sich selbst zu überlassen. Es wäre sein Todesurteil gewesen. Das Kleine schmiegte sich fest an ihren Bauch. Es zitterte kaum noch, seine Augen sind halbgeschlossen. Aquene schnüffelte an ihm, der Geruch, den sie vorhin gerochen hatte, war nun fast vollständig verflogen, doch sie wusste was es gewesen war; Hund. Liebevoll leckte sie dem Kleinen die Öhrchen. "Du bleibst bei mir, egal was die anderen sagen. Ich nenne dich Paco, das heißt weißer Seekopfadler. Das sind ganz besondere Seekopfadler. - So wie du auch etwas ganz Besonderes bist. " Der kleine Welpe grunzte, sein Atem ging tief und ruhig. Mit einer kaum zu übersehender Fürsorglichkeit und Liebe leckte Aquene weiterhin den kleinen Körper und wachte über ihn.

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