Kapitel 1

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Der Duft von verdunstendem Tau liegt in der Luft. Tief nehme ich ihn in mich auf. Der halb dunkle Himmel beginnt sich langsam hell zu sprenkeln. Die Sonne würde bald aufgehen. Ich setze mich entspannt auf den Hügel, von dem aus ich einen super Überblick habe. Die Gräser wiegen leicht in der aufkommenden Prise. Ich weiß, dass die Waldgeister mit ihr reisen, auf dem Weg zur aufgehenden Sonne. Manchmal laufe ich mit ihnen, aber manchmal, so wie heute, will ich einfach nur beobachten. Ich beobachte viel und gerne. Es ist wichtig zu beobachten, so kann man schneller erkennen und verstehen. Und das ist etwas, was ich will - verstehen. Ich seufze. Die Sonne schaut vorsichtig hinter den Grashalmen hervor. Man könnte meinen, sie würde schauen ob die Luft herein ist. Natürlich weiß ich, dass sie es nicht nötig hätte. Jeder mag sie, keiner will ihr je etwas tun, selbst der Mond geht jedes Mal aufs Neue, damit wir sie wiedersehen können. Warm fallen ihre ersten Strahlen auf meinen grauen Pelz. Ewigkeiten könnte ich hier so sitzen. Plötzlich erregt etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Nicht weit entfernt; ein Rascheln. Kaninchenduft strömt in meine Nase. Ich schaue in die entsprechende Richtung und lege den Kopf schief. Es ist nah. Ich kann hören wie es sich vorwärtsbewegt und dabei die langen Stängel raschelnd teilt. Ein helles Puschelschwänzchen erscheint in meinem Blickwinkel, verschwindet aber sofort wieder. Kurz kribbeln meine Pfoten. Ich könnte es kriegen, ich bin schnell. Automatische stelle ich auf, um mich in eine Kauerstellung fallen zu lassen und mich an das Kaninchen anzupirschen. Doch bevor das passieren kann ermahne ich mich zur Vernunft und setze mich wieder. Ich bin gekommen, um zu beobachten, nicht um zu jagen, rufe ich mir ins Gedächtnis. Und selbst wenn ich es jagen und fangen würde, was dann? Dann lasse ich es wieder frei, weil ich es ja doch nicht töten können würde. Eine seltsame Angewohnheit, wegen der ich oft verhöhnt werde. Doch ich steh zu dieser Angewohnheit, auch wenn ich sie nicht mag, ich kann sie nicht leugnen, so muss ich mit ihr klarkommen. Leicht schüttle ich meinen Kopf, um die trüben Gedanken zu verscheuchen und beobachte weiter die Landschaft. Die Sonne verlässt langsam ihr Nachtlager. Mein Blick schweift über das weite Moor, die Spinnennetze glitzern im Sonnenschein. Es verwundert mich immer wieder, wie geschickt die Spinnen ihre Netze doch weben. Was für eine geschickte Gabe die Waldgeister ihnen gegeben haben, wohingegen die Wölfe nur Klauen und Zähne bekamen. Und ihre Gefährten natürlich. Die Wölfe sind eben eine große Familie und ich bin stolz ein Teil von dieser Familie zu sein. Meistens zumindest. Auch wenn ich nicht töten oder lange Zeit schnell laufen kann, bin ich schlau. Ich weiß mit den Dingen anders umzugehen. Auf eine Weise, die Gemunkel und Geflüster erregt. Doch das ist nichts, was ich will, es gibt auch andere schlaue Wölfe sag ich immer wieder, aber sie schütteln nur die Köpfe und werfen mir einen mitleidigen Blick zu. Doch ich weiß es gibt sie, die Wölfe so wie ich, die schlauer sind, und - anders. Manchmal Zweifel ich an der Gabe die ich von den Waldgeistern bekommen habe, aber meine Mutter sagt, ich bin nicht anders, ich bin besonders. Wenn ich an diese Worte denke breitet sich eine wohlige Wärme in mir aus, durchströmt meine Adern, bis in die Schwanzspitze. Auch wenn ich zugeben muss, ich will weder anders noch besonders sein. Die kleine Prise, welche von den Waldgeistern aufgewirbelt wird, zaust meinen Pelz und ich schließe die Augen. Alles ist so wunderbar, wunderbar im Gleichgewicht. Nie sollte es anders sein! Meine Ohren zucken nach hinten, ich höre Schritte auf mich zukommen. Ich brauche weder bewusst zu schnüffeln noch meine Augen zu öffne, denn ich weiß schon, es ist mein Vater, Langundo. Sein Pelz streift sachte den meinen. Er setzt sich neben mich. Eine Weile schauen wir auf das Moorland.

Er räuspert sich: "Paco, möchtest du heute mit auf Jagd kommen?"

Ich überlege einen Moment: "Glaubst du nicht, dass ihr mehr erbeutet, wenn ihr ohne mich geht?"

Ich spüre den Seitenblick meines Vaters auf meinem Pelz.

"Ich wünsche mir aber, dass du dabei bist."

Ich sehe ihm in die Augen, sein Blick war eindringlich. Ich mag diesen Blick nicht wirklich: "Wenn du es dir wünscht dann komm ich natürlich mit."

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