Der Umschlag

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Erschöpft ließ sie ihren Hinterkopf gegen die Wand fallen, während ihre Finger immer noch an dem mittlerweile ganz abgenutzten Papier spielten.

So oft hatte sie sich hinsetzen und die wenigen, gedruckten Zeilen lesen wollen, doch jedes Mal hatte sie diese Angst. Zu große Angst vor einer  Enttäuschung.

Der Boden war vielleicht nicht das Bequemste und die Wand sicherlich auch nicht das beste Kissen, aber der sternenbesetzte Nachthimmel hatte sie schon immer entspannt. Egal, was es gewesen war. Egal, was sie bis tief in die Nacht wach hielt. Egal, worüber sie nachdenken musste.

Seufzend schloss sie die Augen, so schwer waren sie schon, und genoss das silberne Mondlicht, das ihre Umgebung in eine magische Atmosphäre tauchte und ihr ein Gefühl von Geborgenheit gab. Eine sanfte Brise streifte die von einer Wollstrickjacke bedeckten Schultern. Der zarte Geruch von dem Morgentau auf den frischen Schöpfungen des Frühlings stieg ihr in die Nase. Das vertraute Heulen eines Wolfes erfüllte die Nacht.

Auf einmal ertönten schwere Schritte in dem verlassenen Vorgarten; sie hielt es trotzdem nicht für nötig, die Auge zu öffnen. 

"Was machst du denn so spät noch hier draußen?", fragte eine tiefe Stimme, die sie dazu bewegte, die Augen auf den jungen Mann zu richten, der sich zu ihr in den Türrahmen setzte.

"Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich sitze vor meiner eigenen Haustür, was ist deine Entschuldigung?" Sie musterte den jungen Mann genau. Er fuhr sich verlegen mit den Fingern durch die Haare.

"Konnte nicht schlafen."

Sie runzelte die Stirn. "Und dann denkst du dir, warum störe ich nicht irgendein fremdes Mädchen, das in einem Türrahmen sitzt." Genau als das sah sie sich noch: Als kleines, schwaches Mädchen.

"Wie es aussieht waren wir gerade auf der gleichen Abschlussparty, also bist du nicht fremd", stellte er fest und zeigte dabei auf ihr mitternachtsblaues Ballkleid. Stimmt, sie hatte sich ja bloß eine Strickjacke übergezogen.

"Komisch, Biologiekurs? Der Junge aus der letzten Reihe?", fragte sie nachdenklich und versuchte, die Bilder ihrer Mitschüler im Kopf durchzugehen.

"Wahrscheinlich, das Mädchen aus der ersten Reihe?" Er stellte die Gegenfrage, raffiniert. Jetzt erinnerte sie sich, Bio schien nicht sein liebstes Fach zu sein.

"Ich heiße Namira." Sie reichte ihm die Hand und lächelte müde. Er schmunzelte und sagte nur:"Miran"

Eine unangenehme Stille breitete sich aus, sodass Namira wieder anfing, das Papier zu quälen. Sie fragte sich, wann sie den Umschlag endlich öffnen würde. Spätestens in zwei Wochen musste sie es sowieso. 

"Was ist in dem Umschlag?", fragte Miran neugierig und schielte auf das Papier. Namira biss auf ihre Unterlippe. Das war wirklich nicht ihr Lieblingsthema.

"Das ist nicht ganz klar. Entweder mein Glück oder meine größte Enttäuschung.", antwortete sie und lieferte Miran damit nicht wirklich, was er als Antwort akzeptiert hätte. Also hakte er weiter nach: "Hat es vielleicht etwas mit der Uni zu tun? Oder warum sitzt hier ein hübsches Mädchen im Ballkleid und quält unschuldiges Papier?"

Sie seufzte laut auf, nicht gewillt, darauf zu antworten. Ja, er hatte ins Schwarze getroffen. Volle Kanne. War es denn wirklich so offensichtlich?

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«, murmelte Namira gedankenverloren und richtete ihren Blick wieder auf das mysteriöse Firmament, das ihre Aufmerksamkeit magisch anzog, wenn sie alleine war. Doch jetzt konnte sie sich kein Bisschen darauf konzentrieren, immer wieder lenkte Miran sie einfach dadurch ab, dass er neben ihr saß.

»Willst du denn gar nicht wissen, was in dem Brief steht?«, fragte er vorsichtig, während er verlegen auf seiner Unterlippe kaute. So kannte er sich überhaupt nicht, so schüchtern. Anderen hätte er wahrscheinlich entweder den Brief aus den Händen gerissen oder es ignoriert. Es war ja nur ein Brief.

»Ich traue mich nicht.«, gab sie kleinlaut zu und reichte ihm den weißen Umschlag,»Öffne du ihn doch für mich.«

Verwirrt schüttelte er den Kopf. »Du musst es selbst öffnen, das kann ich nicht machen. Was kann dir denn passieren?« Aus großen Augen starrte sie ihn an. Damit hatte sie ganz sicher nicht gerechnet.

»Du musst dich selber überwinden, Namira.«, hallte seine melodische Stimme erneut durch die erleuchtete Nacht.

Mit zitternden Finger fuhr sie unter die Lasche des Briefes und zog Kleber und Papier langsam auseinander. Sie wollte schon die Augen zusammen kneifen, als ihre Fingerspitzen das Papier aus der Hülle zogen und es entfalteten.
Was sie dort las, konnte sie bei bestem Willen nicht glauben. Angenommen.

»I-ich wurde an meiner Wunsch-Universität angenommen.«, stotterte sie unbeholfen. Bedacht darauf, ihre eigenen Worte zu begreifen. Das war doch unmöglich.

Ein breites Grinsen breitete sich auf Miran's Gesicht auf, als er Namira in eine feste Umarmung zog. Langsam verstand sie, was diese Zusage für sie bedeutete, und erwiderte seine Umarmung überglücklich.

»Dann bis morgen, um 9:00 Uhr im Café Magnificent.«, gähnte sie einige Zeit später zum Abschied und zog langsam und mit einem zufriedenen Lächeln die Haustür zu.

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