Das olympische Netz

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"Hol bitte die Dekoration von dem Dachboden, Yara!", schrie meine Mutter durch das ganze Haus.
Schnell rief ich ein kurzes "Ja" nach unten.
Wir, meine Mutter, meine kleine Schwester und ich, wohnten zusammen in einem Haus mit zwei Etagen und einem staubigen, alten Dachboden.
Das Haus war eigentlich sehr freundlich und hell eingerichtet, nur der Dachboden entsprach dem kompletten Gegenteil.
Der Dachboden war staubig, dunkel und verlassen.
eigentlich war der Dachboden groß genug, um ein weitere Zimmer daraus zu machen, aber wir benötigten keines.
Als ich oben angekommen war, bereute ich es, nicht einmal eine Strickjacke angezogen zu haben.
Ich stand in meinem leichten Sommerkleid im Frühling auf dem kalten Dachboden meines Zuhauses.
Ich zitterte leicht und beschloss so schnell wie nur möglich die Kiste zu suchen.
Ich rieb meine Arme und schaute mich gründlich um.
Der Dachboden sah noch schlimmer aus, als ich in Erinnerung hatte.
Überall hingen Spinnenweben und ich wirbelte bei einem einzigen Schritt so viel Staub auf, dass ich heftig Niesen musste.
Unglücklicherweise wirbelte mein Niesen nochmal viel mehr Staub auf.
Vorsichtig wagte ich weitere Schritte.
Doch eine andere Sache hatte ich nicht bedacht: Die Spinnennetze!
Ich lief mitten in ein riesiges Spinnennetz hinein.
Die seidenen Fäden verfingen sich in meinen türkis-blau gefärbten Haaren.
Wie ekelhaft!
Ich wollte die Fäden aus meinen Haaren ziehen, doch weitere Netze flogen auf mich zu.
Es war, als zöge ich die Netze magnetisch an, es war magisch.
Noch mehr Staub wirbelte auf, jedoch war der Staub auf einmal golden.
Ein Gefühl von Angst kam in mir auf und lief mir wie ein kalter Regenschauer langsam und sadistisch den Rücken hinunter.
Ich zitterte nicht vor Kälte, sondern aus Angst.
Verzweifelt versuchte ich mich aus den Netzen zu befreien, doch je mehr ich mich wehrte, desto mehr Netze und goldener Staub flogen auf mich zu.
Ich war hoffnungslos gefangen.
Ich presste meine Augenlider zusammen und hoffte, dass ich aufwachte und sich herausstellte, dass ich das nur geträumt hatte.
Plötzlich begann ich mich zu drehen. Nicht absichtlich, es geschah einfach.
Es wurde wärmer um mich herum und ich nahm einen leichten Olivenduft wahr.
Hoffnung machte sich bemerkbar, vielleicht war das wirklich nur ein Traum.
Die Spinnenweben lagen immer noch wie Fesseln um meinen Körper.
Pech gehabt, Yara, dachte ich.
Vorsichtig öffnete ich erst ein und schließlich auch das zweite Auge.
Meine Augen wurden vor Erstaunen groß.
Ich stand, zwar gefesselt, in einer riesigen Halle aus hellem, anteils auch goldenem Mamor.
Erst jetzt bemerkte ich die riesigen Throne, die in einem Halbkreis standen.
Auf den Thronen saßen riesige Menschen, die mich verwundert oder bei manchen auch gelangweilt ansahen.
Liebes Schicksal, wie soll ich so bloß meine Angst verlieren, dachte ich verzweifelt.
Ein kräftiger Mann mit einem weißen Bart und einem furchteinflößenden Blick erhob seine drönende Stimme:
"Besucher sind auf dem Olymp nicht gestattet!"
Olymp?
War das nicht der Berg der Götter in der griechischen Mythologie?
In welchem Irrenhaus war ich denn hier gelandet?
"Bringt sie um!", schrie ein Mann, der aussah, als verkleide er sich als Gladiator.
Angenommen das wäre der Olymp, dann wäre dieser Gott...
...Ares!
Ich erstarrte, es fühlte sich an als würden meine Adern gefrieren.
Ares, der Gott des Krieges und so ziemlich allem, das mit Gemetzeln zu tun hatte.
Lass es nur ein traum sein, bitte!
"Wir sollten die Situation erst genauer betrachten.", sagte eine blonde Frau, die einen wunderschönen, mit Gold durchwobenen Chiton trug.
Alle redeten durcheinander. Manche stimmten der Frau zu und manche nicht.
Der Mann mit dem Vollbart brachte sie zum Schweigen.
Wenn das hier der Olymp ist, ist das Zeus, der Göttervater, überlegte ich.
"Morgen mittag wird ein Prozess stattfinden. Heute habe ich noch zu tun. Es wäre besser für dich, wenn du von einem Gott vertreten wirst, Kleine",er deutete auf mich,"Was ist mit deinem göttlichen Elternteil?"
"Meinem göttlichen... Was?", fragte ich verwirrt.
Meine Eltern waren Menschen, sie glaubten nicht einmal an die griechischen Götter.
Naja, ich kannte nur meine Mutter.
"Deinem göttlichen Elternteil. Du musst eine Halbgöttin sein, sonst warst du gar nicht durch das Portal gekommen.", erklärte Zeus genervt.
"Ich kenne meinen Vater nicht, vielleicht... vielleicht ist er ein Gott.", stotterte ich nervös.
"Meine Herrschaften, wer von euch hat dieses Kind zu verantworten?", fragte Zeus in die Runde.
Die meisten Männer sahen mich kurz an und schüttelten die Köpfe.
"Poseidon?", fragte zeus noch genervt an einen Gott gerichtet, der schon die ganze Zeit an seiner Waffe rumspielte.
Aufgeschreckt sah er hoch und ließ seinen Blick zwischen Zeus und mir hin und her schweifen.
"Da war mal etwas vor 16 Jahren. Ich hab eine Tochter namens Yara bekommen.", nuschelte Poseidon.
Bei meinem Namen horchte ich auf.
"Dann haben wir das ja geklärt.", rief Zeus.
Dann mischte sich noch einmal Athene, die Göttin der Weisheit, ein:
"Obwohl ich nur ungerne mit Poseidon zusammen arbeite, möchte ich dem mädchen gerne helfen."
"Gut.", sagte er unbeteiligt,"Sperrt das Mädchen in den Kerker. Die Sitzung ist beendet."
In den Kerker?
Sie wollten mich bis morgen mittag in den Kerker sperren?
Der Kriegsgott schnipste einmal und schon fand ich mich in einem dunklen, dreckigen Verließ wieder.
Es war kalt.
Ich kauerte mich ängstlich in eine Ecke und hoffte, dass dieser Albtraum endlich vorüber ging.
Naja, ich kauerte mich so gut wie möglich zusammen.
Mit einem riesiges Spinnennetz am ganzen Körper war das nicht gerade einfach.
Wenigstens wärmte es mich noch ein wenig.
Stunden des Wartens und Zweifelns vergingen, bis mit einer kleinen, goldenen Explosion Poseidon auftauchte.
"Wir müssen uns dringend auf den Prozess morgen vorbereiten. Der olympische Rat ist noch gerade fair.", drängte er.
Haha, schließlich war er erst jetzt aufgetaucht.
Dieses Mal hatte der Gott die Größe, die für einen menschlichen Man normal war, angenommen, wenigstens musste ich mich deshalb nicht mehr fürchten.
Eine weitere goldene Explosion kündigte Athene an.
"So, lasst uns direkt loslegen. Erklär uns erstmal, wieso du so plötzlich auf dem Olymp gelandet bist, Kind.", sagte sie hastig.
"Ich wollte nur auf den Dachboden", begann ich,"und dann waren da überall die Spinnenweben."
Das genügte Athene schon.
"Arachne, diese hinterhältige Spinne. Sie wollte, dass ich verklagt werde.", murmelte sie kochend vor Wut.
"Wenn ich richtig liege, und das tue ich meistens, wusstest du nichts von den Göttern und deinem Vater. Richtig?", fragte sie.
Ich nickte schüchtern.
"Davon müssen wir den Olympischen Rat überzeugen.", sagte Athene zuversichtlich.
"Aber wie überzeugt man einen Haufen gelangweilte Götter davon, dass Yara unwissend war?", grübelte Poseidon, mein Vater.
Es war ein komisches Gefühl meinem Vater, den ich jahrelang gehasst hatte, weil er uns verlassen hatte, gegenüber zu stehen.
Irgendwie freute ich mich, aber ein Teil meiner gemischten Gefühle machte auch die Wut auf ihn aus.
"Mit dir und ein wenig Überredungskunst.", sie sah zu Poseidon,"Wenn du beim Styx schwörst, werden sie es dir glauben müssen. Jetzt muss ich aber los, schließlich habe ich auch anderes zu tun, als einem Mädchen aus dem Schlamassel zu helfen. Wir sind gut vorbereitet. Bis morgen."
Und schon war sie in einer kleinen, goldenen Explosion verschwunden.
Eine unangenehme Stille breitete sich aus.
Was sollte ich zu meinem Vater sagen?
Warum war er überhaupt noch hier?
Es war doch alles geklärt, also was hielt ihn in diesem dreckigen Loch?
"Yara, es tut mir wirklich leid, dass ich dich nie besucht habe.",setzte er an,"Ich hoffe, du verzeihst deinem Vater. Ich habe deine Mutter sehr geliebt, aber Götter und Menschen, das hält nie lange. Deshalb habe ich deine Mutter verlassen, bevor irgendeine Wut aufkommen konnte. Du bist wunderschön, genau wie sie."
Er strich väterlich über meine Haare.
Ich fühlte mich wirklich wohl bei ihm.
Ich spürte eine magische Anziehungskraft.
Er schien alles an mir zu sein, das ich nie verstanden hatte.
Ich hatte nie verstanden, warum mich das Meer so anzog, warum ich sogar von Wasser träumte.
Ich schenkte ihm ein Lächeln.
"Oh, vielleicht sollte ich dich aus dem Netz befreien."
Er lockerte das Netz, bis ich es irgendwann einfach wie eine alte Haut abstreifen konnte.
Ich bedankte mich freundlich und überlegte fieberhaft, was ich sagen sollte.
"Bitte lass uns nicht wieder allein, wenigstens zu Festen könntest du doch kommen, oder nicht?", flehte ich ihn an.
Mein Vater grinste schief und nickte.
Ich unterhielt mich am Abend noch lange mit Poseidon.
Dabei vergaß ich vollkommen, in welcher unglücklichen Lage ich mich befand.
Dann ließ er mich irgendwann alleine.
Ich hatte kein Zeitgefühl mehr, ich sah nicht einmal das Tageslicht.
Ich schlief nur wenige Stunden.
Für den Rest des Tages hieß es warten.
Warten und warten.
Ich war so neugierig, dass ich fast platzte. Nur die Angst vor dem Urteil konnte meine Aufregung eindämmen.
Ich musste warten, bis der Herr des Himmels mich zur Urteilsverkündung rief.
Poseidon und Athene verhandelten für mich.
Ich saß in der Zelle und bangte um mein Leben.
Ich sehnte mich nach einer einfachen Umarmung meiner Mutter.
"So, nun verkünde ich das Urteil.", rief Zeus herrisch.
Ich war gespannt wie ein Bogen kurz vor dem Abschießen.
Würde ich gleich sterben?
Man sagt, dass einem sein ganzes Leben noch einmal vor Augen geführt wird, wenn man stirbt.
Und das stimmte.
Ich dachte fieberhaft über alles nach, das ich in den 16 Jahren meines Lebens falsch gemacht hatte.
"Yara wird freigesprochen.", sagte der Gott und widmete sich dann seinem Mittagessen.
Ich begriff erst einige Sekunden später, was das bedeutete.
Ich war frei.
Ich konnte nach Hause und meine Mutter und meine Schwester in die Arme schließen. Endlich.
"Ich bringe dich nach Hause, Kind", flüsterte Poseidon mir zu.

Mit dieser Geschichte habe ich den dritten Platz des Schreibwettbewerbs meiner Schule gemacht ^^

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