[4] Ruhe vor dem Sturm

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Wie jeden Morgen stehst du relativ spät auf, sodass deine Freunde schon an einem Tisch beim Frühstück sitzen, bevor du da bist. Als du den Raum betrittst, führen dich deine Schritte zielstrebig zu ihnen und du setzt dich, so wie immer, neben Gally.

Chuck sitzt gegenüber von dir und sieht froh darüber aus, dass du jetzt hier bist. Dein Kopf ist gesenkt, als du beginnst zu essen, da du dich nicht traust, den Baumeister anzusehen. Dieser unterhält sich gerade mit einem anderen Baumeister über irgendein Projekt, das sie planen.

Alles ist genau so, wie sonst auch, nur dass du von dir aus weniger redest. Damit hast du auch kein Problem, da du dir nicht sicher bist, was aus deinem Mund kommen würde, würdest du ihn öffnen.

Die Methode, mit einem nervösen Kribbeln im Magen schweigend am Tisch sitzen zu bleiben, funktioniert jedoch nur so lange, bis Gally sich dir zuwendet und dich gezielt anspricht.

"Hast du irgendwas spezielles geplant für heute? Es sieht so aus, als werden wir anderen einen ziemlich langweiligen Tag haben." Er sagt es so unbeschwert, dass du dich für den Bruchteil einer Sekunde fragst, ob das gestern wirklich passiert ist. Oder hast du es dir doch nur vorgestellt?

Doch dann glänzt ein wissendes Funkeln in seine Augen und dir wird bewusst, dass er sehr genau weiß, was er da macht. Ihm ist klar, dass du Angst vor dem Moment hast, an dem du deinen ersten Wunsch äußerst. Er könnte alles Mögliche von dir verlangen und das wühlt dich auf- die Unwissenheit darüber, wann du erfahren wirst, was du machen musst.

~~~
Genau so, wie gestern, stehst du im Garten und arbeitest, doch deine Gedanken sind nicht bei den Pflanzen, die du bewässerst, sondern bei Gally. Nur, dass du heute keine Angst hast, verpetzt zu werden, sondern eine schlimme Aufgabe gestellt zu bekommen.

Das Schlimmste an deiner Situation ist, dass die Baumeister heute den kleinen Schuppen im Garten reparieren müssen, weswegen Gally den ganzen Tag in deiner Nähe ist. Seine Anwesenheit macht sich jedoch nur durch das bedrängende Gefühl in deiner Brust bemerkbar, das dich daran erinnert, dass du Schuld an der Situation bist, in der du feststeckst.

Im Minutentackt wirfst du einen mehr oder weniger unauffällig Blick über deine Schulter, um zu sehen, was der Hüter gerade macht und ob er dich beachtet. Bis jetzt hat er dich kein einziges Mal angesehen, als du dich umgedreht hast, was einen- aus dir unerklärlichen Gründen- Stich in deinem Herzen auslöst.

Doch als du dieses Mal flüchtig in die Richtung des Schuppens siehst, fängst du seinen Blick ein. Es vergehen kaum drei Sekunden, dennoch brennt sich dir sein Anblick ins Gehirn, sodass du ihn noch immer vor dir siehst, als du dich hochrot wieder deiner Arbeit widmest.

Du siehst noch, wie er auf einem Baumstumpf sitzt, einer seiner Ellenbogen ist auf sein Knie gestützt, die Hand zu einer lockeren Faust geballt. In der anderen Hand hält er eine geöffnete Flasche, seine Augen sind auf dich gerichtet, bohren sich in deinen Körper hinein und erfassen alles, was sie können. Sein Ausdruck ist merkwürdiger Weise sanft, dennoch wissend- so, wie beim Essen auch schon.

Deine Hände umklammern den Griff der Gießkanne fester, als würdest du im offenen Wasser treiben und sie sei ein Rettungsring. Ist es sein Plan, dich damit verrückt zu machen, dir seine Wünsche nicht zu verraten oder braucht er nur so lange, sich drei Aufgaben auszudenken? Du tippst eher auf Ersteres.

~~~
Etwas, das nicht viele von dir wissen ist, dass du sehr gerne Tagebuch schreibst. Erstens kannst du über deine meisten Probleme mit niemandem hier reden und sie aufzuschreiben hilft dir dabei, sie zu verarbeiten. Zweitens hast du in der Zeit, in der du deine Erlebnisse nieder schreibst, Ruhe und kannst deinen Gedankenstrom ununterbrochen fließen lassen.

Genau das machst du gerade. Du sitzt an den Baumstamm gelehnt im weichen Gras, an dem Ort, an dem du dich oft mit Chuck triffst. Nur, dass dieser gerade nicht hier ist und du ganz alleine, in deiner eigenen kleinen Welt schwebst.

Der Wind lässt die Äste über deinem Kopf tanzen, was die Blätter zum Rascheln bringt. Zusammen mit dem Zwitschern der Vögel erzeugt dies eine sanfte Melodie, die dir dabei hilft, dich fallen zu lassen und dich nur auf eine Sache zu konzentrieren, die dir gerade wirklich wichtig ist; die drei Wünsche.

In deinem Tagebuch stehen schon die Ereignisse der letzten Abende und deine Reaktionen auf das, was Gally gesagt hat. Darin hast du auch ausdrücklich klar gemacht, dass es Chucks Idee war, diesen Streich zu spielen und du jetzt trotzdem die Konsequenzen dafür trägst.

Seufzend lässt du den Stift weiterhin über das Papier gleiten, immer mehr Worte füllen die Seite. Darunter auch alle Fragen, die du hast- vor allem die, wie die Zukunft aussehen wird. In deine Gedanken vertieft merkst du nicht, wie sich jemand neben dich in das weiche Gras setzt und sich, genauso wie du, an den Baumstamm lehnt.

Erst, als die Person ihren Kopf über dein Büchlein beugt, bemerkst du ihn und noch bevor du ihn erkennst, schlägst du das Tagebuch mit einem lauten Knallen zu. Irgendwie hätte dir klar sein müssen, dass Gally neugierig darüber ist, was du schreibst.

Doch er scheint deine Privatsphäre zumindest so weit zu respektieren, dass er sich nicht sofort von dir wünscht, dass du ihm zeigst, was du geschrieben hast. So wichtig ist es ihm dann wohl doch nicht, einen Wunsch dafür zu verschwenden. Als er sich, noch immer schweigend, wieder nach hinten lehnt, legst du dein Buch zur Seite und starrst auf die gigantischen Mauern des Labyrinths.

Nach einer kurzen Zeit des Schweigens ergreift er das Wort. "Fragst du dich auch manchmal, wie es hinter den Mauern aussieht?"

Perplex siehst du ihn an. Du hast wirklich mit allem gerechnet, mit jeder komischen oder peinlichen Aufgabe, jedoch ganz sicher nicht mit dieser Frage.

"Ja, natürlich.", antwortest du dann schulterzuckend. Danach herrscht wieder Stille, in der du verwirrt die unangenehme Stimmung zwischen euch wahrnimmst.

"Wie stellst du dir das Leben da draußen vor?" Warum stellt er so komische Fragen? Obwohl du dich darüber wunderst, überlegst du trotzdem nach der richtigen Antwort.

"Irgendwie lebendig, wenn du verstehst, was ich meine.", entscheidest du dich dann zu sagen. Nachdenklich ist sein Blick auf den Boden gerichtet, seine Finger spielen unterbewusst mit dem Gras.

"Bunt?" Erstaunt drehst du deinen Kopf zu ihm.

"Ja. Viele verschiedene Farben, egal wo man hin sieht."

"Ich glaube, es macht keinen Unterschied, ob wir hier sind oder nicht. Wir wissen nichtmal, warum wir hier sind. Vielleicht haben wir etwas Schlimmes gemacht." Seine Worte verletzen dich. Hat er wirklich so wenig Hoffnung? Gerade möchtest du ihm wiedersprechen, da setzt er erneut zum Sprechen an.

"Du solltest jetzt aber schlafen gehen. Die nächsten drei Tage werden anstrengend für dich." Augenblicklich hast du alle Gedanken an die Welt außerhalb der Lichtung verdrängt und ziehst verwirrt die Augenbrauen zusammen. Hast du irgendetwas verpasst?

"Warum?", sprichst du die Frage aus, die durch deinen Kopf geistert.

Gally schnaubt belustigt. "Mein erster Wunsch ist es, dass du in den nächsten drei Tagen mit mir bei den Baumeistern arbeitest."

"Ernsthaft?" Mit so einer harmlosen ersten Aufgabe hättest du nicht gerechnet, doch als er nickt, fällt dir ein Stein vom Herzen. Wie schwer kann es schon werden, drei Tage lang eine Baumeisterin zu sein?

***
Hey! Was haltet ihr von seinem ersten Wunsch? Was denkt ihr, wie ihr euch als Baumeisterin schlagen werdet?

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Hab einen schönen Tag/ eine gute Nacht! <3
~Emily

Drei Wünsche [Gally x reader] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt