||-20°C

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Und dann war er auch schon wieder aus dem Raum verschwunden. Ich machte mir aber nicht groß was draus und griff nach den Handschuhen. Meine Finger zitterten, ich wollte endlich Wärme spüren. Der Stoff war weich und schmiegte sich an meine Haut. Als wieder die Stimme aus dem Lautsprecher ertönte, zuckte ich zusammen und sah auf.

"Das sind jetzt -20°C. Wenn du den Tag überstehst, bekommst du einen Schal. Viel Vergnügen."

Es knackste und der Ton war weg. Meine Wut stieg. Können die das nicht lassen?! Die Kälte fraß sich in meine Glieder und wieder zitterte ich. Ich glaubte, dass das zum Alltag werden könnte. Die Handschuhe taten gut, gaben mir das Gefühl, wärmer zu sein, obwohl es nicht so war. Mein Pulli war eiskalt und schützte mich nicht vor den eisigen Temperaturen. Ich sah eine leichte Luftschwade aus dem Ding an der Decke strömen und schloss die Augen. Es wurde mit einem Mal kälter und ich rollte mich noch fester zusammen, die Handschuhe an meinen Kopf gepresst. So blieb ich eine Weile liegen, bis wieder irgendwas knackste. Doch ich sah nicht auf, zuckte nicht zusammen. Blieb einfach so liegen, in meiner Starrre. Sie sollen sehen, was sie mir antun!

Ich war völlig leer von Emotionen, doch mein Herz schmerzte. Warum tun sie das?! Wissen sie eigentlich, wie bescheuert das ist? Mein Verstand schrie NEIN, doch mein Herz schrie JA. In diesem Fall hat wohl mein Herz recht, denn welcher Mensch ist so gewalttätig und sperrt andere Leute in Tiefkühlbehältern ein? Genau, keiner. Das dachte ich zumindest. Irgendeinen Grund müssen sie doch haben! Wenn ich sie fragen würde? Ich würde keine Antwort bekommen. Wenn ich betteln würde? Würde ich immer noch nicht. Blieb ja nur übrig, nichts zu tun.

Ich seufzte, rollte mich noch enger zusammen, obwohl dies eigentlich gar nicht mehr möglich war und zitterte. Es tat wirklich weh. Meine Nasenspitze spürte ich kaum noch, meine Zehen schon gar nicht mehr. Ich hatte ja nur ganz normale Straßenschuhe an.

"Du musst noch vier Stunden aushalten.", riss mich diese widerliche Stimme aus meinem Halbschlaf. Ich stöhnte und rutschte von dem "Bett". Man konnte es eigentlich nicht Bett nennen, dafür war es zu menschenunterwürdig. Mein Hintern landete auf dem Boden, ich schrie schmerzerfüllt auf. Verdammt, tut das weh! Doch schon bald strömte Blut durch das zähe Fleisch und ich seufzte auf. Vielleicht halte ich das doch aus. Vielleicht schaffe ich das.

Wie gestern - ich nehme an, es war gestern - schloss ich die Augen, aber die eisige Kälte hinderte mich am Schlafen und so zitterte ich weiter vor mich hin. Mein Herz hatte noch ein wenig Hoffnung, dass ich hier rauskommen würde. Ein wenig. Aber nicht mehr viel. Mein Selbstbewusstsein war jedoch um einiges größer geworden. Komisch, nicht? Wenn die Hoffnung stirbt, wächst das Selbstbewusstsein. Merkwürdig. Aber wahr. Mit wackeligen Knien stand ich auf, ignorierte das Stechen in meinen Oberschenkeln und lief ein wenig in dem großen Raum umher. Auf dem Tisch entdeckte ich einen Block und einen Stift. Warum ist mir das nicht früher aufgefallen? Ich setzte mich auf den kalten Marmor, den Bleistift bekam ich nur mit Mühe zwischen meine Finger, da ich ja die Handschuhe noch anhatte. Mein Atem, der weiße Wölkchen in der Luft bildete, benebelte kurz meine Sicht und ich schloss die Augen. Sie waren ein wenig nass. Tränen.

Ich setzte jedoch den Stift an und zeichnete. Zeichnete irgendein Bild, das ich in dem Moment nicht sah. Ich sah nur meine jetzige Situation und "schrieb" somit meine Gedanken und Gefühle wider. Als ich endete, war meine Hand warm und mein Bild fertig. Unbewusst hatte ich einen Eisblock gezeichnet. Mit einem Herz in der Mitte. Der Eisblock - mitsamt dem Herz - war gespalten, somit war das Herz auch nicht mehr ganz. Passend, oder? Ich lächelte schwach und rieb meine Hände aneinander. Wenn sie jetzt schon warm waren, wollte ich das ausnutzen. Und wieder ertönte die Stimme, diesmal gelangweilter als sonst.

Die schwere Tür ging auf und ich sah nach rechts. Der Mann von gestern kam herein und lächelte mich zaghaft an, doch ich verzog keinen Mundwinkel. Seine Freundlichkeit kann er sich sonstwo hinstecken! Ich brauche sie nicht.

"Hey."

Ich schwieg.

"Ich - ich wollte dir den Schal bringen."

Ich nickte.

"Ähm - ich gehe dann mal wieder."

Ich schwieg, sagte nichts. Starrte nur weiterhin auf die Wand und wartete, bis er rausging. Dann schnappte ich mir den Schal, legte ihn um meinen Hals und seufzte auf. Wann habe ich mich jemals so über einen Schal gefreut? Und wieder dröhnte die Stimme aus dem Lautsprecher, dieses Mal gelangweilter als sonst.

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