Harry P.o.V.
"Harry! Los, wach auf!" Eine Stimme drang zu mir durch. Sie hörte sich komisch an, benebelt, und dennoch da. Doch dann war sie wieder weg und ich sah meine Mutter an mir vorbeigehen. Die Erinnerung überrollte mich.
//Sie ging neben mir her und sah auf den Boden. Ihre schwarzen Locken hingen ihr ins Gesicht und ihre wunderschönen grünen Augen, von dichten Wimpern umrahmt, starrten gedankenverloren auf den schwarzen Asphalt. Als hätte sie meinen Blick gesehen, hob sie den Kopf und lächelte mich leicht an. "Was ist los, Harry?" Ihre Stimme klang so weich, so lieblich. So, wie sie mich immer beruhigen konnte, wie es keiner schaffte. Sie war für mich da, wenn ich alleine war. Wenn ich traurig war und nicht mehr weiter wusste. Dann war sie ein Anker, der sich in den Sturm stellte. "Ich liebe dich, Mom." Meine Augen waren auf ihre gerichtet und grün versank in grün. Mom sagte, ich hätte wundeschöne Augen, aber ihre waren um Einiges schöner. Meine glänzten nicht so wie ihre. Und ihre hatten am Rand der Pupille nochmals einen dunkelgrünen Ring, nicht so wie ich. Sie lächelte mich an, nahm meine Hand und ihr Blick wanderte über die zarte Haut meiner Finger. "Ich dich auch, Harry. Und ich werde immer für dich da sein, egal was passiert"//
"Harry!" Doch ich hörte nicht hin, zu sehr war ich in der Erinnerung gefangen.
//"Mom?", flüsterte ich. Ich stand vor ihrem Bett und strich über ihre Nasenspitze, was sie sonst immer weckte. Ihre Augenlider flatterten und sie sah mich verschlafen an. "Harry?", murmelte sie und setzte sich halb auf. "Was ist denn los?" Sie rieb sich den Schlaf weg und ich sah sie entschuldigend an. Immer wecke ich sie, immer ich ... ich sollte definitiv von dieser Welt gehen. "Konnte nicht schlafen ... " Sie wusste, was mir helfen würde und stand seufzend auf. Da sie im Bademantel geschlafen hatte, musste sie nichts mehr anziehen und ging mir hinterher auf unsere Terasse. Der Himmel war tiefblau, ein paar Sterne blitzten hindurch und der Mond schien auf unsere Gegend herab. Fasziniert blickte ich hoch und lächelte. Es erinnerte mich an meinen Vater. "Schatz?" Ich sah zu ihr und lächelte. "Ja, Mom?" Sie sah ebenfalls zum Mond, auch sie war fasziniert und in Gedanken versunken. "An was denkst du?" Meine Augen leuchteten. Ich zog die frische Sommernachtluft ein und genoss den leichten Wind auf meiner Haut. "An Dad. Du?" "Ich auch." So standen wir also an unserer Terasse, sahen in den Himmel und dachten an die alten Zeiten zurück. "Weißt du noch, was er immer gesagt hat, wenn Vollmond war?" Ich lächelte. "Ja. Wenn du dich jemals alleine fühlst, schau in den Mond, denn irgendwo tut das jemand auch und dann bist du nicht alleine. Du wirst nie alleine sein. //
"Harry!" Ich stöhnte und öffnete die Augen, als mich erneut eine Erinnerung aus der Realität zog.
//Ich saß neben meinem Dad auf der Couch, der Fernseher lief ununterbrochen, und doch sah niemand zu. "Harry?" Ich drehte den Kopf in seine Richtung und sah ihn fragend an. "Dad?" Er lächelte. "Du weißt, dass ich dich lieb habe, oder?" Verwirrt nickte ich. "Und Mom auch." Wieder nickte ich. "Ja. Was ist los, Dad?" Er lächelte und sah mich mit glänzenden Augen an. "Wenn ich einmal nicht mehr da sein werde, dann bleib' stark für Mom, ja?" Stirnrunzelnd und mit offenem Mund saß ich vor ihm, die Augen weit aufgerissen. "Wirst du denn irgendwann g - gehen?" Meine Stimme war zittrig, ich war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. "Ja, das werde ich. Aber du wirst nie alleine sein."//
Und das war ich eigentlich nie. Denn immer war irgendwer bei mir gewesen, immer. Auch wenn ich mich so gefühlt habe. In meinem Herzen sind meine Eltern immer präsent und das wird auch immer so bleiben.
"Harry?!", schrie Niall mir wieder ins Ohr, ich zuckte zusammen und setzte mich jetzt, wieder in der Realität, auf. Ich öffnete die Augen und sah strahlendes Blau. Nachdem ich ein paar mal geblinzelt hatte, lehnte ich mich an die Wand und Niall plapperte los.
"Was war los, Harry?"
"Nix. Ich - ach egal."
Es ging ihn einfach nichts an. Das alles hier waren meine persönlichen Dinge, die auch persönlich bleiben sollten.
"Nicht egal!", nervte er mich aber weiter. Angepisst sah ich ihn mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen an und presste zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor:
"Lass. Mich. Jetzt. Bitte. In. Ruhe!"
Und von da an war er still. Mein Atem wurde an der eiskalten Luft weiß, zitternd kuschelte ich mich enger in die Winterklamotten. Stiefel ... Der Gedanke an schöne, warme Schuhe. Dann könnte ich meine Zehen wieder spüren, würde keine Schnerzen mehr an den Füßen haben.
"Rein!", schnauzte jemand. Verwirrt öffnete ich die Augen und sah zwei Gestalten, welche sich auf uns zubewegten. Niall schlief, war zu einer Kugel zusammengerollt und hatte sich in die Jacke gekuschelt. Es sah niedlich aus. Seine blondierten Haare standen ihm in alle Richtungen vom Kopf ab und man könnte ihn mit einem Koala vergleichen. Klein, süß, knuffig. Ich lächelte, doch es fiel, als die Tür zugeschlagen wurde und ich jemanden am Boden entdeckte. Ein Zittern durchlief meinen Körper und ich stand langsam auf, wobei mir ein Ächzen entkam.
"W - wer bist du?", schluchzte er. Als ich seine Tränen sah, musste ich mich sehr zusammenreißen, um nicht auch loszuweinen. Ich konnte noch nie Menschen weinen sehen. Ohne ihm zu antworten, zog ich den Jungen in meine Arme und merkte schon sehr früh, dass meine Jacke nass wurde. Seine Hände krallten sich in meine Schulter und immer wieder durchlief ein Beben seinen Oberkörper. Er roch gut. So frisch. Nicht, als wäre er schon fünf Tage hier gewesen.
"Geht's wieder?", fragte ich sanft und lächelte ihn an. Auch Niall war wegen dem Schluchzen aufgewacht und sah uns interessiert zu. Seine Augen waren wieder groß und über die Schulter des Jungen zwinkerte ich ihm zu. Lange hatte ich das schon nicht mehr gemacht, aber es fühlte sich gut an.
"Hmm.", murmelte er etwas schüchtern und seine braunen Teddy-Augen funkelten mich an. Fast sofort verzogen sich meine Mundwinkel zu einem Lächeln. Der Anblick war einfach zu süß, um wahr zu sein.
"W - wie heißt d - du?", fragte er schließlich bibbernd.
"Ich bin H - Harry. Und d - das ist Niall." Mittlerweile war es zum Alltag geworden, dass ich zitterte und langsam verklang auch der Schnerz deswegen. Aber die Starre blieb.
"I - Ich L - Liam."
Auch er zitterte stark, obwohl er auch eine Winterjacke besaß. Sein Gesicht erhellte sich plötzlich, als er zu Niall sah.
"Nialler!"
Niall lachte und öffnete seine Arme. Anscheinend kennen sie sich ... Seufzend ließ ich mich wieder an der Wand hinabgleiten und schloss die Augen. Ein paar Stunden noch hörte ich den beiden Turteltauben zu, bis die Tür woeder geöffnet wurde und Luke hereinkam.
Seine Augen leuchteten auf, als er mich sah und auch auf meine Lippen legte sich ein schwaches Lächeln. In seinen Händen hatte er drei Paar Stiefel. Sehr dicke Winterstiefel, die verdammt gemütlich aussahen.
"Danke.", hauchte ich und nahm sie mit zitternden Fingern entgegen. Gleich darauf hatte ich sie an und seufzte wieder wohlig auf. Luke ließ sich neben mich fallen und rieb sich die Arme.
"W - wie hältst du es denn hier aus?", murmelte er verständnislos, ich zuckte mit den Schultern. Kurz bevor er ging, beugte er sich plötzlich vor und küsste mich. So perplex wie ich war, riss ich nur die Augen auf und sah ihn mit offenem Mund an. Er zwinkerte mir noch zu und verschwand aus dem Raum.
"Wir steigen jetzt auf die -60°C um. Wenn ihr überlebt, gibt es eine Schneehose."
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Frozen Hearts
FanfictionEin Projekt. Fünf Opfer. Zwei Wochen. Ein Raum. Eine Skala von -10°C bis -110°C. Ein Türsteher. Ein Computer. Ein Herz, das aufhört zu schlagen. Frozen. ©Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte liegen bei der Autorin.