Kapitel 5

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Ich rannte durch die menschenleeren Straßen, bis ich das Tor zu unserem Vorgarten sehen konnte. Meine Schritte wurden automatisch langsamer, als ich mich meinem Zuhause näherte. Ich nahm mir die Zeit, um tief Luft zu holen, und versuchte gleichzeitig dabei an nichts zu denken oder zu fühlen, sondern konzentrierte mich lediglich auf meine Atmung.

Doch es gelang mir nicht, Hinata aus meinem Kopf zu bekommen. Immer wieder sah ich ihn vor mir mit seinen geröteten Wangen stehen, spürte noch ganz genau den sanften Druck seiner weichen Lippen, die sich gegen meine pressten. Energisch wischte ich mir mit dem Handrücken über den Mund, in der Hoffnung, das Gefühl wegrubbeln zu können. Doch die geisterhafte Empfindung blieb, genauso wie das Hämmern in meiner Brust, das nicht zur Ruhe kommen wollte.

Ich, verliebt in einen Jungen! Der Gedanke war so absurd, so befremdlich, dass es mich innerlich schüttelte. Und ich fragte mich, wann sich diese Faszination für ihn zu diesem starken Gefühl entwickelt hatte. Ich konnte den Zeitpunkt nicht wirklich festmachen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich so viel mehr als nur Freundschaft für ihn empfand.

Hinata lockte mich mit seinem Charakter, seiner Wärme und der Art und Weise, wie er mich verstand. Aber doch sträubte sich ein Teil von mir, diese Gefühle so einfach zu akzeptieren. Denn ich wusste, diese Leichtigkeit, die ich in seiner Gegenwart empfand, war gefährlich. Denn sie ließ mich nicht klar denken, war wie ein Vollrausch, unkontrollierbar.

Und genau so hatte es sich vorhin angefühlt, als mein Körper einfach reagierte, ohne sich mit meinem Verstand abzusprechen. Ich hatte bereitwillig zugelassen, dass er mir unter mein Shirt fasste, dass es mich erregte, wie er auf meine Berührungen reagierte, und dass ich eine Gänsehaut bekam, als er meinen Namen flüsterte. Die bloße Erinnerung an seine sanfte Stimme beschleunigte meinen Puls und ich fühlte mich so unglaublich ausgeliefert, war schutzlos gegen das wilde Pochen in meiner Brust.

Ich musste etwas dagegen tun. Am besten war es wohl, dieses dämliche Gefühl im Keim zu ersticken, es auszumerzen, bevor es die Oberhand gewann und mein Verstand erneut aussetzte. Jemanden zu lieben, war gefährlich, rief ich mir in Erinnerung, denn ich sah täglich, was Liebe aus einem machen konnte.

Meine Mutter liebte meinen Vater immer noch, egal was er ihr antat, und das war wohl das abschreckendste Beispiel überhaupt. Niemals würde ich so sein wie sie. Jemanden so nah an sich heranzulassen, war riskant und ich war nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. Nicht einmal für Hinata.

Ich konnte das nicht zu lassen, zu sehr fürchtete ich mich vor den Konsequenzen. Und so würde ich das tun, was ich am besten konnte: Menschen aus meinem Leben ausschließen. Ich würde die Mauern, die er niedergerissen hatte, wieder errichten. Ich würde auf Abstand gehen, auch wenn das bedeutete, wieder einsam zu sein. Aber das war ich schließlich gewohnt.

Erleichtert, einen Plan zu haben, kam ich vor dem Gartentor zum Stehen und gab den Code ein. Ich schlüpfte geräuschlos in den Vordergarten. Anders als Hinatas Zuhause war unseres erst vor zwei Jahren fertiggestellt worden und besaß allen möglichen technischen Schnickschnack, den kaum einer von uns nutzte. Aber mein Vater legte viel Wert auf dieses Statussymbol, für das er angeblich so schwer arbeiten musste.

Zu meiner Erleichterung brannte kein Licht im Haus. Ich wollte meiner Mutter heute nicht mehr begegnen. Nicht nur wegen dem, was sie vorhin gesagt hatte, sondern weil ich wusste, dass ich einer weiteren Auseinandersetzung in meinem aktuellen Zustand nicht Stand halten würde.

Ich gab den Zugangscode für die Vordertür ein, zog sie auf und lauschte. Kein Laut kam aus der Dunkelheit. Erleichtert schloss ich die Tür hinter mir und glitt aus meinen Schuhen. Doch weit kam ich nicht, denn im nächsten Moment wurde das Licht angeknipst und ich sah mich meiner leicht schwankenden Mutter gegenüber.

Safe place - Buch 1 KageHinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt