Kapitel 2

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Es war Samstag und ich lag ausgestreckt auf meinem Bett und starrte gegen die Zimmerdecke. Aber in meinem Kopf war ich im Geräteraum der Schulturnhalle. Wie in Dauerschleife sah ich Hinata vor mir stehen, mit dem Rücken zur Wand, den Blick gesenkt und da war er wieder dieser undefinierbare Drang ihn zu berühren. Ich meinte immer noch sein weiches Haar unter meinen Fingerspitzen zu spüren, als ich ihm sanft, ja fast schon zärtlich über seinen Kopf gestreichelt hatte. Ich hatte mich nicht mehr länger beherrschen können, das Verlangen ihn nochmal zu berühren war zu groß gewesen.

Dabei hatte ich mir doch selbst nur beweisen wollen, dass dieses komische Gefühl in meinen Brustkorb nichts mit Hinata zu tun hatte. Es war nur seine plötzliche Nähe, die mich unvorbereitet getroffen hatte. Doch ich hatte mich geirrt, denn jetzt gerade in diesem Moment wäre ich so gerne bei ihm und ich fragte mich, wieso ich mich so sehr nach ihm sehnte. Lag es daran, dass wir Teamkollegen waren? Oder daran, dass wir dasselbe Ziel im Volleyball verfolgten? Woran lag es, dass er mich einfach nicht mehr losließ?

Frustriert sprang ich aus dem Bett und war mit wenigen Schritten an der Tür. Ich musste raus aus diesem Zimmer, musste mich irgendwie ablenken. Ich ging runter in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich war überrascht meine Mutter am Herd stehen zu sehen. Sie hatte heute Geburtstag. Nicht das wir ihn groß feiern würden, denn Geburtstage waren keine Ereignisse, die man in unserem Haus feierte. Doch der gedeckte Tisch und die Tatsache, dass sie noch nicht auf dem Sofa lag und ihren Rausch ausschlief, sprachen eine andere Sprache.

„Essen wir heute zusammen?" fragte ich und angelte mir ein Glas aus dem Hängeschrank über der Spüle. Ihre hellblauen Augen wirkten leicht gläsern, sie hatte heute schon was getrunken. Die Frage war nur, wie viel? „Ja, dein Vater hat sich für heute Abend angekündigt. Das kann doch nur bedeuten, dass er meinen Geburtstag nicht vergessen hat.", ein glückliches Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.

Ich glaubte nicht daran, dass mein Vater sich an ihren Geburtstag erinnerte. Viel wahrscheinlicher war es, dass seine aktuelle Geliebte ihm den Laufpass gegeben hatte. Aber das behielt ich für mich, denn genau in diesem Moment betrat mein Vater die Küche. Ich spürte augenblicklich wie sich mein komplettes Inneres verkrampfte. Es kostete mich meine gesamte Selbstbeherrschung nicht ängstlich zusammenzuzucken.

Er überragte mich noch immer um einen Kopf. Seine dunkelblauen Augen, die meinen so ähnlich waren, blickten sich suchend in der Küche um, dabei schien er uns nicht wahrzunehmen. „Suchst du etwas Schatz?" fragte meine Mutter mit zuckersüßer Stimme. Ich musste an mich halten nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen. Wie konnte sie so nett zu ihm sein, obwohl er ihr so viel Leid angetan hatte?

Schließlich hatte er sie zu dem gemacht, was sie heute war. Ein menschliches Wrack, das seinen Schmerz mit Alkohol betäubte, während sie verzweifelt versuchte an ihrer großen Liebe festzuhalten. Schon meine ersten Erinnerungen, waren davon geprägt, dass mein Vater nur noch selten nach Feierabend nach Hause kam. Er machte nie ein Geheimnis daraus eine Affäre zu haben und meine Mutter, zerbrach an dem Gedanken nicht die einzige Frau in seinem Leben zu sein. Deswegen gab es oft Streit und ich wünschte es wäre nur beim Anschreien geblieben.

Jedoch war er eines Tages einen Schritt weitergegangen. Ich erinnerte mich noch ganz genau an diesen Tag so als wäre es gestern gewesen. Mein Vater hatte an jenem Abend die komplette Beherrschung verloren. Ich war nach einem Volleyballturnier in der Mittelstufe nach Hause gekommen. Schon im Flur hatte ich ihre lauten Stimmen gehört. Meine Nackenhaare hatten sich aufgestellt, als ich den aggressiven Tonfall meines Vaters hörte. Ich rannte in die Richtung aus der ihre Stimmen kamen und da sah ich es zum ersten Mal, wie mein Vater die Hand gegen meine Mutter erhob.

Ich weiß nicht was sie gesagt, oder getan hatte, dass er dermaßen die Kontrolle verlor. Er war schon immer sehr schnell, sehr wütend geworden, aber so tobend hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen. Übelkeit war in mir hochgestiegen, als ich tatenlos dabei zu sah wie er erbarmungslos immer wieder auf sie einschlug, bis sie wimmernd am Boden lag. Selbst dann hatte er nicht von ihr abgelassen.

Safe place - Buch 1 KageHinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt