K A P I T E L 17

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E d w a r d

Träge öffne ich meine Lider. Feiner Staub fliegt durch das Zimmer, in dem ich mich befinde. Neben mir nehme ich das stetige Piepen einer Maschine wahr. Mir wird klar, dass ich mich in einem Krankenhauszimmer befinde. Leise wird eine Tür geöffnet und eine etwas kleinere Frau mit blonden Haaren betritt das Zimmer. „Oh, Sie sind wach!", ihre Wangen färben sich stark rot. Schnell versteckt sie sich hinter ihrem Klemmbrett und notiert sich etwas. „Was ist passiert?", brumme ich tief. „S- Sie sind im Krankenhaus, Sir. Sie wurden angeschossen. Man hat sie operiert und die zweite Kugel, die noch in Ihnen war, wurde erfolgreich entfernt. Sie hatten unfassbares Glück, dass sie keine lebenswichtigen Organe getroffen hat. Die andere war lediglich ein Streifschuss. Sie werden keine Narben davontragen!"
Mit einem Blick, der so viel wie ‚Ihr Ernst?' bedeutet, sehe ich sie an. Ich schaue an mir hinab und bemerke den riesigen Verband um meine Mitte, sonst jedoch ist mein Oberkörper unbedeckt. „Tut mir leid, so ... so habe ich das nicht gemeint. I- Ich ...", nervös fährt sie sich durchs Haar. Jedoch bleibt mein Blick auf dem zierlichen Wesen hängen, das neben mir liegt und ihren Kopf an meiner Schulter gebettet hat. „Ihre Schwester wollte Ihnen keine Sekunde von der Seite weichen. Kein Arzt, Pfleger oder ihre anderen Geschwister konnten sie dazu bewegen, von Ihnen zu weichen", lieblich betrachtet sie Ellie und streicht mütterlich über ihren Kopf. „Wie lange bin ich hier?" „Gerade einmal zwei Tage", erzählt sie mir. „Ich muss Ihnen sagen, dass Sie überall als Held gefeiert werden." Verwirrt sehe ich sie an. „Wieso das denn?" „Sie haben all diese Kinder gerettet und die Täter aufgehalten." „Wie viele sind gestorben?", frage ich sie und streiche immer wieder über Ellie's Rücken. „Aber Sir-" „Wir viele?", unterbreche ich sie. „Drei. Drei Kinder. Ein paar andere waren schwer verletzt, konnten aber gerettet werden." Das sind drei zu viel. Ich nicke und schließe die Augen. „Bitte nennen Sie mich nie wieder einen Helden." Schwer schluckt sie und verlässt das Zimmer. Seufzend verfalle ich wieder meiner eigenen Traumwelt.

~

Müde schließe ich die Tür zu unserem Haus auf. Fest umklammere ich den Griff meiner Tasche und fasse mir schmerzerfüllt an meinen Verband. Hektisch schlittert jemand um die Ecke und sofort schlingen sich zwei Arme um mich. Keuchend stauche ich ein Schritt zurück. „Edward! Was machst du denn hier? Ich wollte gerade zu dir ins Krankenhaus fahren." „Sie haben mich entlassen", erkläre ich ihr. Skeptisch sieht sie zu mir auf, genauso Alex, der um die Ecke kommt und vor uns stehen bleibt. „Die können dich doch nicht schon nach drei Tagen entlassen?!", mit zusammen gekniffenen Augen sieht er zu mir.
„Die Krankenschwester hat mir gesagt, dass du frühestens in einer Woche entlassen wirst", mit großen Augen sieht Ellie zu mir auf. „Ich habe mich selbst entlassen. Mir geht es gut", sage ich leise. „Aber das kannst du doch nicht machen! Du musst dich ausruhen und dein Zustand muss von professionellem Personal beobachtet werden! Ich werde dich jetzt wieder zurückbringen", bestimmt zieht sie an meiner Hand. „Ellie bitte ich-" „Du kannst noch nicht nach Hause! Dir geht es augenscheinlich noch nicht gut!" Müde starre ich neben mir in mein Spiegelbild und betrachte mein blasses, eingefallenes Gesicht. „Ellie-", wieder unterbricht sie mich. „Nein, das kannst du doch nicht machen! Wir-" „ELLIE!", brülle ich ungewollt. Erschrocken lässt sie mich los und geht einen Schritt zurück. Erschöpft streiche ich mir durchs Gesicht. „Es... Es tut mir leid", entschuldige ich mich leise, ehe ich ohne ein weiteres Wort die Treppen nach oben gehe. Ich schließe hinter mir die Tür, lasse meine Tasche einfach fallen. Penetrant scheint die Sonne durch mein Fester und hinterlässt eine widerwärtige Gänsehaut auf meinem Körper. Langsam entledige ich mich meiner Jacke und meinem Pullover. Angewidert betrachte ich mich in meinem Spiegel. Ich öffne meinen Kleiderschrank, schmeiße alle meine Klamotten raus, ehe ich mich in ihm verkrieche und die Türen schließe. Genießerisch werde ich eins mit der Dunkelheit und empfange sie mit wohlwollen. Man könnte denken, nach all den Monaten in Dunkelheit und Einsamkeit sei sie mein größter Feind, doch dies ist nicht wahr. Im Gegenteil. Sie ist zu meinem Verbündeten geworden. Zu meinem Freund. Die Dunkelheit hat mich verschlungen, bis ich ein Teil von ihr geworden bin. Ich bestehe förmlich aus ihr, bin eins mit ihr. Müde lehne ich mein Kopf an die Wand und schließe die Augen. Ruhe.

„E-Edward?", höre ich eine zarte Stimme weit entfernt. „Eddie? Kann... Kann ich reinkommen?", nicht weiter beachtend, presse ich meine Beine näher an mich und schlummere vor mich hin. „I-Ich komme jetzt rein..." Leise höre ich, wie eine Tür sich öffnet und Schritte ertönen. „Was ist denn hier passiert?", flüstert jemand. Licht dringt zu meinen Augen hervor. „Edward...", wispert sie. Blinzelnd sehe ich zu ihr auf. Ohne es wirklich zu realisieren, setzt sie sich auf mich und macht die Schranktür wieder zu. Dunkelheit umhüllt uns, nur der Atem von uns ist zu hören. Sie ist zu nahe und doch kann ich sie nicht wegstoßen. Im Gegenteil. Ich schlinge meine Arme um ihren zierlichen Körper und spüre, wie sie ihren Kopf auf meine Schulter bettet. Vergessen ist der Schmerz, der mir durch diese Position durch den Körper zuckt. Geborgen schließe ich die Augen, nehme ihre Wärme, ihre Nähe in mich auf. „Es tut mir leid, dass ich eben laut geworden bin", flüstere ich. Dieser Momentnerscheint mir so surreal. Wir sind in meinem Zimmer, in meinem Kleiderschrank, nahe aneinander gepresst. Nicht gewillt, sich voneinander zu trennen. Ein Beben geht durch ihren Körper. Schluchzer durchbrechen die Stille. Nässe dringt an meine nackte Haut. Ich lasse meine Hand in ihr Haar gleiten und presse sie nah an mich. „Sch... Ich bin hier", murmle ich in ihr Ohr. „I-Ich habe solch große Angst, Eddie."
„Ich beschütze dich! Das werde ich immer", beruhigend streiche ich über ihren Rücken. „Du hättest sterben können", schluchzt sie. „Das bin ich aber nicht, Ellie. Ich bin hier." Ich nehme ihre Hand und lege sie auf mein kräftig schlagendes Herz. „Dich zu verlieren, hätte ich nicht ertragen." „Dich zu verlieren, hätte ich nicht überlebt", erwidere ich. „Versprich mir, dass wir immer zusammenbleiben." Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Oh Ellie...", seufze ich. Denn ich kann ihren Schmerz spüren, bis tief in mein Herz. Sie hat für ihr junges Alter schon zu viel Leid erfahren. Doch ich kann ihr nichts versprechen, was ich nicht halten kann. So sehr ich es mir auch wünsche, sind wir dazu verdammt, niemals glücklich zu werden. Nicht auf die Art, nach der ich trachte. „Versprich es mir!" Plötzlich spüre ich, wie sie ihre Stirn an meine legt. Fest halte ich sie im Arm, in der Hoffnung, ihr all meine Kraft schenken zu können. Schwer atme ich ein und aus. „Ich verspreche dir... ich gehöre ganz dir", murmle ich. Stille. Nicht erdrückend, sie ist angenehm. Erfüllt uns mit Hoffnung. Bilde ich es mir nur ein? Mein vernebelter Versand ist geblendet von Gefühlen, von Schmerz und Tabletten. Doch ich könnte schwören, zu spüren, wie ihre Lippen nur Millimeter vor mir sind. Wie ein warmer Schleier. Was würde ich geben, nur einmal zu kosten. Doch nur ein einziges Mal. Ich bin doch eh schon verflucht und in der Hölle bin ich bereits gewesen. Wer behauptet, es sei doch ganz einfach diese Millimeter zu überbrücken, der hat keine Ahnung von wahrhafter, verbotener Liebe. Natürlich stellt man es sich jede freie Sekunde vor. Wünscht es sich in seinen dunkelsten Träumen. Es beherrscht den Verstand. Betäubt jegliche Sinne. Man lebt nur noch für dieses Gefühl tief in einem und diesem Verlangen. Doch egal wie sehr ich es will, egal wie schmerzhaft ich danach trachte, bei ihr kann ich einfach nicht egoistisch sein. Denn egal was ist, ich werde sie immer und auf ewig vor allem stellen, auch vor meinen Gefühlen. Deshalb wäre es nicht richtig, diesem Verlangen nachzugeben. Ich habe geschworen sie zu beschützen. Und vor was ich sie am meisten beschützen muss, das bin ich selbst.

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