K A P I T E L 29

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E l i z a b e t h

Weiß. Überall. Dieser Ausblick. Dieser Moment. Er ist alles, was ich gerade besitze und es ist mehr, als ich verdiene. Mein Körper füllt sich mit Freude. Strahlende, reine Freude. Freude zu leben. Freude, dass mir ein Leben ermöglicht wurde, so etwas zu erleben, so etwas zu sehen nach all den schlimmen Dinge, die mir in meinem früheren Leben passiert sind. Doch diese dunklen Gedanken beherrschen gerade in diesem Moment keinen Zentimeter meiner Seele. Nein. Ich fühle mich frei, lebendig, glücklich. So glücklich, dass ich platzen könnte. Viele würden mich auslachen. Mich als albern und kindlich bezeichnen, aber das ist mir egal. Meine Fingerspitzen tauchen in das kalte, weiche Nass. Es ist rein, schön und vom Himmel geschickt. Kichernd lasse ich mich in den fluffigen Schnee fallen und lasse mich wie auf Wolken tragen, während ich in den Himmel starre und mit der Zunge weiter Flocken auffange. Ich liebe den Schnee. So sehr, dass es mir manchmal peinlich ist. Es kommt mir nach all den Jahren noch immer traumhaft vor, wenn er vom Himmel fällt. Ist es peinlich?
Genießerisch schließe ich die Augen, spüre die kleinen Flocken auf meinem glühenden Gesicht landen. Meine Arme und Beine bewege ich hin und her, sodass ein kleiner Schneeengel auf dem Berg entsteht, auf den ich gestiegen bin, als ich aus meinem Fenster den Schnee gesehen habe. Es ist Sonntag und Alex hat mir versichert noch am Samstag alles geklärt zu haben, dass ich am Montag zum Start des zweiten Halbjahres wieder in die Schule gehen und meinen Abschluss machen kann. Ich habe nicht lange überlegt, ob ich doch wieder nach Australien will. Mein Inneres hat bereits entschieden hier zu bleiben, als ich den Anruf von Alex entgegengenommen habe. Meine Gastfamilie hat es verstanden und mir ganz lieb noch viel Glück für meinen Abschluss gewünscht. Diese Leute sind auch wirklich nett zu mir gewesen. Was das angeht, habe ich wirklich riesiges Glück gehabt. Soweit es durch meine Handschuhe möglich ist, ziehe ich meine Mütze tiefer ins Gesicht, um alles in eine angenehme Dunkelheit zu tauchen und mich nur auf die nassen Flocken auf meiner Haut zu konzentrieren. Noch immer spukt das geschehene von gestern Nacht durch meinen Kopf. Oh Gott. Wenn ich nur daran denke, muss ich sofort meine Beine fest zusammenpressen. Wieso hat er das getan? Wieso hat es mir nur so sehr gefallen? Und wieso kann ich seitdem an nichts anders mehr denken. Es ist so frustrierend, da ich einfach nicht weiß, was das zu bedeuten hat. Edward und ich haben schon immer eine besondere Verbindung gehabt. Ob es daran liegt, dass er mich damals gefunden hat oder daran, dass er mich seit dem Moment, als ich das erste Mal in seine besonderen Augen gesehen habe, immer beschützt hat. Er hat mir gezeigt, dass Männer auch anders sein können. Sie können auch beschützend und lieb sein. Ich habe früher schreckliche Angst vor Männern gehabt. So schrecklich, dass ich immer angefangen habe zu weinen, wenn mein Vater, der mich so liebenswert in der Familie aufgenommen hat, den Raum betrat. Ich habe keine Angst vor ihm gehabt, nur vor seinem Geschlecht und der Kraft die dahinter steckte. Selbst Alex hat sich mir nicht nähern können, auch wenn er zu der Zeit noch sehr jung war. Der einzige, bei dem ich mich sicher gefühlt habe, war Edward. Er hat mich gerettet. Manchmal fühle ich mich dafür noch immer schuldig und würde mich gerne dafür revanchieren, auch, wenn er mir immer versichert, dass das eine Selbstverständlichkeit war. Für mich ist es das nicht. Ich habe es nicht anders gekannt. Das Beste, was mir jemals passieren konnte, war er. Das kann und werde ich auch niemals abstreiten. Er ist für mich die wichtigste Person auf dem Planeten. Ich liebe Alex und Clair natürlich auch, aber es ist anders. Es ist, als würde Ed und mich ein unsichtbares Band verbinden. Es ist kaum zu erklären. Ich kann nicht mit dem Gewissen leben, ohne ihn zu sein. Ich schulde ihm mein Leben. Das ist keine Untertreibung. Es ist genau das, was ich sage. Wortwörtlich. Ohne ihn würde ich diese weiße Pracht, die auf mich niederrieselt, nicht genießen können. Vielleicht liebe ich diese kleinen Dinge im Leben, da ich weiß, wie es ist, nichts zu haben für das es sich zu leben loht. Ich war fünf, als er mich fand. Zu jung um zu wissen, dass es anders sein kann. Dass es besser sein kann. Er hat es mir gezeigt. Mir beigebracht das Leben zu lieben. Seitdem genieße ich Momente wie diese, wenn der kühle Schnee auf mich niederfällt und mir zeigt, dass ich nicht träume. Dass ich das alles wirklich erlebe. Dass ich lebe. Es gibt noch so viele Dinge zu erleben. Farben, Momente, Orte, Menschen, die ich kennenlernen will. Die ich fühlen will. Gefühle wie wahre Liebe, ein Hochgefühl, sodass ich nicht mehr aufhören kann, breit zu lächeln und... Erregung. Heiße, wollende Erregung, die sich durch meinen ganzen Körper zieht. Von den Zehnspitzen bis in meine Haarwurzeln. Ich möchte wissen, wie es ist Sex zu haben, mit einer Person, die ich wahrhaftig liebe. Ich bereue es nicht, dass ich mit Tony diesen Schritt nicht gegangen bin. Ich habe ihn geliebt und ich liebe ihn noch immer. Nur nicht auf die Art wie man eine Person lieben sollte, mit der man gerne schlafen würde. Ich empfinde für ihn nicht wie für einen Bruder, auch nicht wie ein bester Freund. Es ist etwas anders, etwas Unentdecktes, Beruhigendes, was mich hoffen lässt, dass ich noch immer mit ihm befreundet sein darf. Da er mir gut getan hat, mich zum Lachen gebracht hat und für mich da gewesen ist, als der Himmel über mir einstürzte.
Und dann ist da noch die Liebe zu Edward. Ich werde wohl nie genug Zeit in meinem Leben haben, um zu wissen, was das für eine Liebe ist. Ich liebe ihn nicht so wie ich Alex liebe. Das habe ich nie und das wusste ich auch immer. Die Liebe zu ihm ist etwas altes, etwas, was sich jeder Mensch im Leben einmal und das für immer wünscht. Er ist mein bester Freund, meine haltende Hand, die Person, die ich am meisten liebe. Ich habe nicht gewusst, dass meine Gefühle zu ihm etwas sexuelles haben. Bis zu meinem Geburtstag... Nun ist alles so verwirrend und kompliziert, dass diese Liebe mir Angst macht. Sie schmerzt und beflügelt mich zugleich. Doch am meisten habe ich davor Angst, dass Edward nicht so empfindet und ich dies nur tue, weil ich ihm mein Leben verdanke. Trotzdem weiß ich ganz tief in mir, dass es nicht so ist. Diese Liebe ist gereift, über Jahre. Wie eine alte, wunderschöne Blume, die mal ihre guten, aber auch schlechten Tage hat. Sie ist noch lange nicht vollkommen erblüht. Doch sie hat das Potenzial, zu etwas Reinem, etwas Wunderschönem zu werden, wenn man sie pflegt. Das Leben hat mir keinen schönen Start geschenkt, doch ich habe es in der Hand, es zu dem zu machen, was ich will, denn es ist mein Leben. Und das ist wohl das Elementarste, was ich je von ihm gelernt habe. Dafür liebe ich ihn, so sehr, dass es schmerzt, doch das ist okay. Es ist okay.

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