Teil 4

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Sicht Sahra Wagenknecht

Der kleine Saal war noch leer als ich eintrat. Ich war ein wenig aufgeregt, denn aufgrund der Pandemie hatte ich lange keine Autorenlesung mehr gemacht. Was mich aber noch nervöser machte ist, dass ich nicht wusste, ob Alice Weidel kommen würde oder nicht.

Ich hatte sie vor einer Woche per Mail eingeladen zu kommen, aber sie hatte nicht geantwortet. Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie kommen würde, da mein Buch sie wahrscheinlich nicht ansprach. Aber irgendetwas sagte mir, dass sie trotzdem kommen würde. Und das freute mich. Mein Hotelzimmer war ziemlich ranzig und ich hoffte, dass ich sie dazu bringen könnte in ihrer Wohnung übernachten zu dürfen. Vielleicht könnte ich sogar in ihrem Bett schlafen...OK STOP.

später

Der Saal hatte sich langsam gefüllt, eigentlich war er ziemlich voll, aber von Weidel war noch immer keine Spur. Es war eine dumme Idee gewesen, sie einzuladen. Sie würde sich bestimmt vorkommen wie der größte Idiot zwischen diesen ganzen Menschen, die alle andere Meinungen hatten als sie. Mit Sicherheit kannte man sie aus den Medien und würde sie verspotten.

Ich schaute auf die Uhr. Es war schon 5 nach. Ich sah mich nochmal suchend um, aber dann gab ich es auf und begann schließlich zu lesen.

Alice Weidels Sicht

Ich verfluchte die Autos auf der Straße. Ich verfluchte die ganze Welt, weil ich einfach nicht voran kam. In der nächsten Sitzung würde ich vorschlagen, größere Straßen zu bauen, damit ich nicht mehr im Stau stehen muss. Oder eine extra Spur, auf der nur Reiche fahren dürfen. Zwischen solchen Schrottkarren von Geringverdienern zu fahren war ja wohl eine Zumutung! Eine extra Spur nur für Porsche, Lambos und meine Mercedes, das wär doch mal was wirklich sinnvolles.

Tatsächlich kam ich aber ein paar Minuten später an, obwohl es keine extra Spur für mich gab. Ich stieg aus und lief zum Eingang. Mittlerweile war mir klar, dass das eine Falle war. Aber ich ließ nicht mit mir spielen ohne zu gewinnen!
Sahra Wagenknecht wollte mich sicherlich bewusst in eine unangenehme Situation bringen, indem sie mich zu dieser Kommunistenveranstaltung einlud.

Ich öffnete die Tür und trat in den Saal ein. Alle saßen bereits auf ihren Plätzen. Als ich eintrat hörte Sahra plötzlich auf zu lesen und schaute mich an und auch alle anderen sahen mich an. Aber auf diese Situation hatte ich mich vorbereitet, also blieb ich selbstbewusst und ließ mich nicht einschüchtern. Dann setzte ich mich in eine der letzten Reihen, um zu symbolisieren, dass ich absolut kein Bock auf die scheiße habe. Natürlich auf die rechte Seite, denn links saß eine Frau mit Kopftuch und vor solchen Menschen habe ich Angst.

Nachdem ich mich gesetzt hatte las Frau Wagenknecht weiter. Ich meinte ein kleines Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen und musste plötzlich auch ein wenig Grinsen. Was machte ich hier eigentlich?

Knecht WeidelbrechtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt